Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
ur Henefts der Jossreform des KeichsKanzlers.

Merkwürdig ist es, wie die liberale Opposition im Reichstage in der Regel
sich dem Reichskanzler gegenüber verhält. In der Kürze hat bereits der "Poli¬
tische Brief" in der vorigen Nummer d. Bl. darauf hingewiesen. Aber es ist
zeitgemäß, noch einmal darauf aufmerksam zu machen, da die Freihändler in
der Debatte über den Handelsvertrag mit Oesterreich-Ungarn dieses eigenthüm¬
liche Verfahren in besonders auffallender Weise einschlugen. Die Fragen, welche
die Herren Richter und Bamberger sich in ihren Reden vorlegten und zu be¬
antworten versuchten, bewegten sich viel weniger auf dem Gebiete des sach¬
lichen als auf dem des Persönlichen. Mit anderen Worten, es schien ihnen
mehr um eine Charakteristik des Fürsten Bismarck, und zwar um eine un¬
günstige, zu thun zu fein, als um die Beurtheilung des eigentlichen Gegenstandes
der Verhandlung. Hatte der Reichskanzler sich schon früher zu seinem jetzigen
Glauben in Betreff der Zollpolitik bekannt oder nicht vielmehr zu dessen Gegen¬
theil? War er konsequent gewesen und aufrichtig? Waren ihm nicht Wider¬
sprüche zwischen feinen jetzigen Aeußerungen und Handlungen und denen, die
man vor zwei, zehn oder siebzehn Jahren von ihm aufgezeichnet, nachzuweisen?
Er war, wie man andeutete oder offen erklärte, sich nicht treu geblieben. Er
hatte ungenirt als genialer Dilettant bald nach dieser, bald nach jener Richtung
hin Versuche gemacht. Er hatte sich täuschen und verführen lassen. Er hatte
sich verstellt. Er hatte früher versprochen, nothwendige Lebensbedürfnisse mit
keiner Steuer belegen zu wollen, und dies jetzt nicht gehalten. Er war zu
aller Welt Erstaunen über Nacht Schutzzöllner geworden, weil der Reichstag
ihm die Einführung des Tabaksmonopols nicht gestattet. Mit Unrecht warf
er, so bemerkte Herr Bamberger, den Liberalen vor, daß sie sich ihm in
frivoler Weise entgegenstellten, wobei man annehmen durfte, der Vorwurf der
Frivolität treffe die andere Seite.

Diese und ähnliche wenig mit einander harmonirende Behauptungen zu be¬
gründen, lag den Herren von der Opposition augenscheinlich mehr um Herzen als


Gnuizlwtm I. 1879. 47
ur Henefts der Jossreform des KeichsKanzlers.

Merkwürdig ist es, wie die liberale Opposition im Reichstage in der Regel
sich dem Reichskanzler gegenüber verhält. In der Kürze hat bereits der „Poli¬
tische Brief" in der vorigen Nummer d. Bl. darauf hingewiesen. Aber es ist
zeitgemäß, noch einmal darauf aufmerksam zu machen, da die Freihändler in
der Debatte über den Handelsvertrag mit Oesterreich-Ungarn dieses eigenthüm¬
liche Verfahren in besonders auffallender Weise einschlugen. Die Fragen, welche
die Herren Richter und Bamberger sich in ihren Reden vorlegten und zu be¬
antworten versuchten, bewegten sich viel weniger auf dem Gebiete des sach¬
lichen als auf dem des Persönlichen. Mit anderen Worten, es schien ihnen
mehr um eine Charakteristik des Fürsten Bismarck, und zwar um eine un¬
günstige, zu thun zu fein, als um die Beurtheilung des eigentlichen Gegenstandes
der Verhandlung. Hatte der Reichskanzler sich schon früher zu seinem jetzigen
Glauben in Betreff der Zollpolitik bekannt oder nicht vielmehr zu dessen Gegen¬
theil? War er konsequent gewesen und aufrichtig? Waren ihm nicht Wider¬
sprüche zwischen feinen jetzigen Aeußerungen und Handlungen und denen, die
man vor zwei, zehn oder siebzehn Jahren von ihm aufgezeichnet, nachzuweisen?
Er war, wie man andeutete oder offen erklärte, sich nicht treu geblieben. Er
hatte ungenirt als genialer Dilettant bald nach dieser, bald nach jener Richtung
hin Versuche gemacht. Er hatte sich täuschen und verführen lassen. Er hatte
sich verstellt. Er hatte früher versprochen, nothwendige Lebensbedürfnisse mit
keiner Steuer belegen zu wollen, und dies jetzt nicht gehalten. Er war zu
aller Welt Erstaunen über Nacht Schutzzöllner geworden, weil der Reichstag
ihm die Einführung des Tabaksmonopols nicht gestattet. Mit Unrecht warf
er, so bemerkte Herr Bamberger, den Liberalen vor, daß sie sich ihm in
frivoler Weise entgegenstellten, wobei man annehmen durfte, der Vorwurf der
Frivolität treffe die andere Seite.

Diese und ähnliche wenig mit einander harmonirende Behauptungen zu be¬
gründen, lag den Herren von der Opposition augenscheinlich mehr um Herzen als


Gnuizlwtm I. 1879. 47
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0373" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141784"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> ur Henefts der Jossreform des KeichsKanzlers.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1087"> Merkwürdig ist es, wie die liberale Opposition im Reichstage in der Regel<lb/>
sich dem Reichskanzler gegenüber verhält. In der Kürze hat bereits der &#x201E;Poli¬<lb/>
tische Brief" in der vorigen Nummer d. Bl. darauf hingewiesen. Aber es ist<lb/>
zeitgemäß, noch einmal darauf aufmerksam zu machen, da die Freihändler in<lb/>
der Debatte über den Handelsvertrag mit Oesterreich-Ungarn dieses eigenthüm¬<lb/>
liche Verfahren in besonders auffallender Weise einschlugen. Die Fragen, welche<lb/>
die Herren Richter und Bamberger sich in ihren Reden vorlegten und zu be¬<lb/>
antworten versuchten, bewegten sich viel weniger auf dem Gebiete des sach¬<lb/>
lichen als auf dem des Persönlichen. Mit anderen Worten, es schien ihnen<lb/>
mehr um eine Charakteristik des Fürsten Bismarck, und zwar um eine un¬<lb/>
günstige, zu thun zu fein, als um die Beurtheilung des eigentlichen Gegenstandes<lb/>
der Verhandlung. Hatte der Reichskanzler sich schon früher zu seinem jetzigen<lb/>
Glauben in Betreff der Zollpolitik bekannt oder nicht vielmehr zu dessen Gegen¬<lb/>
theil? War er konsequent gewesen und aufrichtig? Waren ihm nicht Wider¬<lb/>
sprüche zwischen feinen jetzigen Aeußerungen und Handlungen und denen, die<lb/>
man vor zwei, zehn oder siebzehn Jahren von ihm aufgezeichnet, nachzuweisen?<lb/>
Er war, wie man andeutete oder offen erklärte, sich nicht treu geblieben. Er<lb/>
hatte ungenirt als genialer Dilettant bald nach dieser, bald nach jener Richtung<lb/>
hin Versuche gemacht. Er hatte sich täuschen und verführen lassen. Er hatte<lb/>
sich verstellt. Er hatte früher versprochen, nothwendige Lebensbedürfnisse mit<lb/>
keiner Steuer belegen zu wollen, und dies jetzt nicht gehalten. Er war zu<lb/>
aller Welt Erstaunen über Nacht Schutzzöllner geworden, weil der Reichstag<lb/>
ihm die Einführung des Tabaksmonopols nicht gestattet. Mit Unrecht warf<lb/>
er, so bemerkte Herr Bamberger, den Liberalen vor, daß sie sich ihm in<lb/>
frivoler Weise entgegenstellten, wobei man annehmen durfte, der Vorwurf der<lb/>
Frivolität treffe die andere Seite.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1088" next="#ID_1089"> Diese und ähnliche wenig mit einander harmonirende Behauptungen zu be¬<lb/>
gründen, lag den Herren von der Opposition augenscheinlich mehr um Herzen als</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Gnuizlwtm I. 1879. 47</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0373] ur Henefts der Jossreform des KeichsKanzlers. Merkwürdig ist es, wie die liberale Opposition im Reichstage in der Regel sich dem Reichskanzler gegenüber verhält. In der Kürze hat bereits der „Poli¬ tische Brief" in der vorigen Nummer d. Bl. darauf hingewiesen. Aber es ist zeitgemäß, noch einmal darauf aufmerksam zu machen, da die Freihändler in der Debatte über den Handelsvertrag mit Oesterreich-Ungarn dieses eigenthüm¬ liche Verfahren in besonders auffallender Weise einschlugen. Die Fragen, welche die Herren Richter und Bamberger sich in ihren Reden vorlegten und zu be¬ antworten versuchten, bewegten sich viel weniger auf dem Gebiete des sach¬ lichen als auf dem des Persönlichen. Mit anderen Worten, es schien ihnen mehr um eine Charakteristik des Fürsten Bismarck, und zwar um eine un¬ günstige, zu thun zu fein, als um die Beurtheilung des eigentlichen Gegenstandes der Verhandlung. Hatte der Reichskanzler sich schon früher zu seinem jetzigen Glauben in Betreff der Zollpolitik bekannt oder nicht vielmehr zu dessen Gegen¬ theil? War er konsequent gewesen und aufrichtig? Waren ihm nicht Wider¬ sprüche zwischen feinen jetzigen Aeußerungen und Handlungen und denen, die man vor zwei, zehn oder siebzehn Jahren von ihm aufgezeichnet, nachzuweisen? Er war, wie man andeutete oder offen erklärte, sich nicht treu geblieben. Er hatte ungenirt als genialer Dilettant bald nach dieser, bald nach jener Richtung hin Versuche gemacht. Er hatte sich täuschen und verführen lassen. Er hatte sich verstellt. Er hatte früher versprochen, nothwendige Lebensbedürfnisse mit keiner Steuer belegen zu wollen, und dies jetzt nicht gehalten. Er war zu aller Welt Erstaunen über Nacht Schutzzöllner geworden, weil der Reichstag ihm die Einführung des Tabaksmonopols nicht gestattet. Mit Unrecht warf er, so bemerkte Herr Bamberger, den Liberalen vor, daß sie sich ihm in frivoler Weise entgegenstellten, wobei man annehmen durfte, der Vorwurf der Frivolität treffe die andere Seite. Diese und ähnliche wenig mit einander harmonirende Behauptungen zu be¬ gründen, lag den Herren von der Opposition augenscheinlich mehr um Herzen als Gnuizlwtm I. 1879. 47

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/373
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/373>, abgerufen am 06.05.2024.