Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

früheren Plan gewährt hätte. Er fragt triumphirend, ob, wenn die in der
Sammlung von Ludwig Hahn mitgetheilte Rede für den französischen Han¬
delsvertrag nach dem Konzept eines Rathes gehalten worden, nicht alle Reden
dieser Sammlung nach den Konzepten vortragender Räthe gehalten worden?
Aber Falstaff lügt. Die angebliche Rede vom 2. Oktober 1862 ist eine Er¬
klärung, die neunzehn Zeilen einnimmt, im Amtsstil verfaßt, wie ihn Jeder
handhabt. Wenn Falstaff die Reden des Fürsten den Konzepten vortragender
Räthe gleichstellen will, so fällt er aus der Rolle des Erzählers, der gewisse
Bedingungen der Wahrheit einhalten muß, wie hoch sein Flug auch steigt.
Dann soll es eine Mißachtung des Wirthschaftslebens sein, daß der Kanzler ge¬
äußert hat, er würde, um Delbrück für den Reichsdienst zu erhalten, seine
Ansicht nöthigenfalls modifizirt haben. Als ob es in der Politik überall nur
eiuen Weg gäbe, als ob es nicht erlaubt wäre, an der Hand eines bewährten
Führers lieber einen unsicheren Weg zu gehen, als den sicheren auf eigene
Verantwortung. Muß man jedoch allein gehen, wäre es Wahnsinn, nicht den
sichersten Weg zu wählen. Endlich soll der Kanzler gesagt haben: Ich bin
der Fürst Bismarck, wie wenig seid dagegen Ihr! Falstaff lügt. Der Fürst
hatte auf seine politischen Erfolge, durch welche schon einmal abfällige Urtheile
widerlegt wurden, nur hingewiesen, um nicht vor Prüfung seiner Vor¬
lagen des Dilettantismus überführt gelten zu müssen.

Um den sinnberaubenden Schmerz eines betrogenen Helden zu schildern,
hat ein Dichter des Alterthums das Trauerspiel vom "Rasenden Ajax" ge¬
dichtet. Im deutschen Reichstage werden wir in der nächsten Zeit wohl öfters
die Komödie vom "Rasenden Falstaff" aufführen sehen.




Literatur.

David Friedrich Strauß und die Theologie seiner Zeit von v. A. Hcius-
rath. Zweiter Theil. Heidelberg, Verlag von Fr. Basiermann. 1878.

Der zweite Band, welcher den Schluß dieses gediegenen und vortrefflich
geschriebenen Buches bildet, beginnt mit der Lösung von der Theologie, die
Strauß mit der Glaubenslehre vollzog. Dann wird die politische Laufbahn
desselben und seine publizistische und landständische Thätigkeit geschildert, darauf
sein Wanderleben. Zwei weitere Kapitel beschäftigen sich mit seiner Rückkehr
zur Theologie und feinem Kampfe gegen den kirchlichen Liberalismus, und das
letzte behandelt sein Alter, seinen Uebergang zum Materialismus und sein
Lebensende. Hausrath's Urtheil über Strauß faßt sich etwa in folgende Sätze


früheren Plan gewährt hätte. Er fragt triumphirend, ob, wenn die in der
Sammlung von Ludwig Hahn mitgetheilte Rede für den französischen Han¬
delsvertrag nach dem Konzept eines Rathes gehalten worden, nicht alle Reden
dieser Sammlung nach den Konzepten vortragender Räthe gehalten worden?
Aber Falstaff lügt. Die angebliche Rede vom 2. Oktober 1862 ist eine Er¬
klärung, die neunzehn Zeilen einnimmt, im Amtsstil verfaßt, wie ihn Jeder
handhabt. Wenn Falstaff die Reden des Fürsten den Konzepten vortragender
Räthe gleichstellen will, so fällt er aus der Rolle des Erzählers, der gewisse
Bedingungen der Wahrheit einhalten muß, wie hoch sein Flug auch steigt.
Dann soll es eine Mißachtung des Wirthschaftslebens sein, daß der Kanzler ge¬
äußert hat, er würde, um Delbrück für den Reichsdienst zu erhalten, seine
Ansicht nöthigenfalls modifizirt haben. Als ob es in der Politik überall nur
eiuen Weg gäbe, als ob es nicht erlaubt wäre, an der Hand eines bewährten
Führers lieber einen unsicheren Weg zu gehen, als den sicheren auf eigene
Verantwortung. Muß man jedoch allein gehen, wäre es Wahnsinn, nicht den
sichersten Weg zu wählen. Endlich soll der Kanzler gesagt haben: Ich bin
der Fürst Bismarck, wie wenig seid dagegen Ihr! Falstaff lügt. Der Fürst
hatte auf seine politischen Erfolge, durch welche schon einmal abfällige Urtheile
widerlegt wurden, nur hingewiesen, um nicht vor Prüfung seiner Vor¬
lagen des Dilettantismus überführt gelten zu müssen.

Um den sinnberaubenden Schmerz eines betrogenen Helden zu schildern,
hat ein Dichter des Alterthums das Trauerspiel vom „Rasenden Ajax" ge¬
dichtet. Im deutschen Reichstage werden wir in der nächsten Zeit wohl öfters
die Komödie vom „Rasenden Falstaff" aufführen sehen.




Literatur.

David Friedrich Strauß und die Theologie seiner Zeit von v. A. Hcius-
rath. Zweiter Theil. Heidelberg, Verlag von Fr. Basiermann. 1878.

Der zweite Band, welcher den Schluß dieses gediegenen und vortrefflich
geschriebenen Buches bildet, beginnt mit der Lösung von der Theologie, die
Strauß mit der Glaubenslehre vollzog. Dann wird die politische Laufbahn
desselben und seine publizistische und landständische Thätigkeit geschildert, darauf
sein Wanderleben. Zwei weitere Kapitel beschäftigen sich mit seiner Rückkehr
zur Theologie und feinem Kampfe gegen den kirchlichen Liberalismus, und das
letzte behandelt sein Alter, seinen Uebergang zum Materialismus und sein
Lebensende. Hausrath's Urtheil über Strauß faßt sich etwa in folgende Sätze


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0419" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141830"/>
          <p xml:id="ID_1228" prev="#ID_1227"> früheren Plan gewährt hätte. Er fragt triumphirend, ob, wenn die in der<lb/>
Sammlung von Ludwig Hahn mitgetheilte Rede für den französischen Han¬<lb/>
delsvertrag nach dem Konzept eines Rathes gehalten worden, nicht alle Reden<lb/>
dieser Sammlung nach den Konzepten vortragender Räthe gehalten worden?<lb/>
Aber Falstaff lügt. Die angebliche Rede vom 2. Oktober 1862 ist eine Er¬<lb/>
klärung, die neunzehn Zeilen einnimmt, im Amtsstil verfaßt, wie ihn Jeder<lb/>
handhabt. Wenn Falstaff die Reden des Fürsten den Konzepten vortragender<lb/>
Räthe gleichstellen will, so fällt er aus der Rolle des Erzählers, der gewisse<lb/>
Bedingungen der Wahrheit einhalten muß, wie hoch sein Flug auch steigt.<lb/>
Dann soll es eine Mißachtung des Wirthschaftslebens sein, daß der Kanzler ge¬<lb/>
äußert hat, er würde, um Delbrück für den Reichsdienst zu erhalten, seine<lb/>
Ansicht nöthigenfalls modifizirt haben. Als ob es in der Politik überall nur<lb/>
eiuen Weg gäbe, als ob es nicht erlaubt wäre, an der Hand eines bewährten<lb/>
Führers lieber einen unsicheren Weg zu gehen, als den sicheren auf eigene<lb/>
Verantwortung. Muß man jedoch allein gehen, wäre es Wahnsinn, nicht den<lb/>
sichersten Weg zu wählen. Endlich soll der Kanzler gesagt haben: Ich bin<lb/>
der Fürst Bismarck, wie wenig seid dagegen Ihr! Falstaff lügt. Der Fürst<lb/>
hatte auf seine politischen Erfolge, durch welche schon einmal abfällige Urtheile<lb/>
widerlegt wurden, nur hingewiesen, um nicht vor Prüfung seiner Vor¬<lb/>
lagen des Dilettantismus überführt gelten zu müssen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1229"> Um den sinnberaubenden Schmerz eines betrogenen Helden zu schildern,<lb/>
hat ein Dichter des Alterthums das Trauerspiel vom &#x201E;Rasenden Ajax" ge¬<lb/>
dichtet. Im deutschen Reichstage werden wir in der nächsten Zeit wohl öfters<lb/><note type="byline"/> die Komödie vom &#x201E;Rasenden Falstaff" aufführen sehen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Literatur.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1230"> David Friedrich Strauß und die Theologie seiner Zeit von v. A. Hcius-<lb/>
rath.  Zweiter Theil.  Heidelberg, Verlag von Fr. Basiermann. 1878.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1231" next="#ID_1232"> Der zweite Band, welcher den Schluß dieses gediegenen und vortrefflich<lb/>
geschriebenen Buches bildet, beginnt mit der Lösung von der Theologie, die<lb/>
Strauß mit der Glaubenslehre vollzog. Dann wird die politische Laufbahn<lb/>
desselben und seine publizistische und landständische Thätigkeit geschildert, darauf<lb/>
sein Wanderleben. Zwei weitere Kapitel beschäftigen sich mit seiner Rückkehr<lb/>
zur Theologie und feinem Kampfe gegen den kirchlichen Liberalismus, und das<lb/>
letzte behandelt sein Alter, seinen Uebergang zum Materialismus und sein<lb/>
Lebensende. Hausrath's Urtheil über Strauß faßt sich etwa in folgende Sätze</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0419] früheren Plan gewährt hätte. Er fragt triumphirend, ob, wenn die in der Sammlung von Ludwig Hahn mitgetheilte Rede für den französischen Han¬ delsvertrag nach dem Konzept eines Rathes gehalten worden, nicht alle Reden dieser Sammlung nach den Konzepten vortragender Räthe gehalten worden? Aber Falstaff lügt. Die angebliche Rede vom 2. Oktober 1862 ist eine Er¬ klärung, die neunzehn Zeilen einnimmt, im Amtsstil verfaßt, wie ihn Jeder handhabt. Wenn Falstaff die Reden des Fürsten den Konzepten vortragender Räthe gleichstellen will, so fällt er aus der Rolle des Erzählers, der gewisse Bedingungen der Wahrheit einhalten muß, wie hoch sein Flug auch steigt. Dann soll es eine Mißachtung des Wirthschaftslebens sein, daß der Kanzler ge¬ äußert hat, er würde, um Delbrück für den Reichsdienst zu erhalten, seine Ansicht nöthigenfalls modifizirt haben. Als ob es in der Politik überall nur eiuen Weg gäbe, als ob es nicht erlaubt wäre, an der Hand eines bewährten Führers lieber einen unsicheren Weg zu gehen, als den sicheren auf eigene Verantwortung. Muß man jedoch allein gehen, wäre es Wahnsinn, nicht den sichersten Weg zu wählen. Endlich soll der Kanzler gesagt haben: Ich bin der Fürst Bismarck, wie wenig seid dagegen Ihr! Falstaff lügt. Der Fürst hatte auf seine politischen Erfolge, durch welche schon einmal abfällige Urtheile widerlegt wurden, nur hingewiesen, um nicht vor Prüfung seiner Vor¬ lagen des Dilettantismus überführt gelten zu müssen. Um den sinnberaubenden Schmerz eines betrogenen Helden zu schildern, hat ein Dichter des Alterthums das Trauerspiel vom „Rasenden Ajax" ge¬ dichtet. Im deutschen Reichstage werden wir in der nächsten Zeit wohl öfters die Komödie vom „Rasenden Falstaff" aufführen sehen. Literatur. David Friedrich Strauß und die Theologie seiner Zeit von v. A. Hcius- rath. Zweiter Theil. Heidelberg, Verlag von Fr. Basiermann. 1878. Der zweite Band, welcher den Schluß dieses gediegenen und vortrefflich geschriebenen Buches bildet, beginnt mit der Lösung von der Theologie, die Strauß mit der Glaubenslehre vollzog. Dann wird die politische Laufbahn desselben und seine publizistische und landständische Thätigkeit geschildert, darauf sein Wanderleben. Zwei weitere Kapitel beschäftigen sich mit seiner Rückkehr zur Theologie und feinem Kampfe gegen den kirchlichen Liberalismus, und das letzte behandelt sein Alter, seinen Uebergang zum Materialismus und sein Lebensende. Hausrath's Urtheil über Strauß faßt sich etwa in folgende Sätze

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/419
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/419>, abgerufen am 06.05.2024.