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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Kobert Mayer.
(f am 20. März 1878.)

Die Geschichte der Wissenschaft lehrt, daß die Natur höchst selten einen
Genius hervorzubringen vermag, dem es gelingt, ihre Geheimnisse zu ent¬
schleiern. Sind doch bald drei Jahrhunderte verflossen, seitdem Galilei den
Grund legte zu einer exakten Naturforschung, und nur vier bis fünf Geister
sind seit jenem denkwürdigen Tage über die Erde gegangen, die an seine Größe
heranreichten; nnr einer war es, der seinen Grundbau erweiterte und würdig
ist, an seiner Seite zu stehen. Dieser eine ist Julius Robert Mayer.
Die große Entdeckung, die wir seinein Genie verdanken -- die größte, welche
unserm Jahrhundert bisher gelungen ist -- wird keinem der Leser dieser
Blätter unbekannt geblieben sein. Sie betrifft das mechanische Aequivalent
der Wärme.

Die Grundpfeiler der Naturwissenschaft sind Größenbestimmungen, die aus
sorgfältigen Untersuchungen der Naturerscheinungen abgeleitet werden und sich
durch einfache Zahlen ausdrücken lassen. Die mechanische Aequivalentzahl der
Wärme ist eine derartige Zahl. Von der Größe und Wirkungsart der Kräfte
geben uns erst diese Größeubeziehuugen Vorstellungen von hinreichender
Schärfe, um darauf weiter bauen zu köunen. So lange solche Zahlenbestim¬
mungen nicht gemacht sind, mag über die Naturerscheinungen in unbestimmten
und vagen Begriffen noch so viel hin und her gestritten werden -- für die wirk¬
liche Erkenntniß der Natur wird etwas Ersprießliches dadurch uicht zu Tage
gefördert. So hat alle Naturphilosophie älteren und neueren Datums, welche
die Welt aus bloßen Begriffen zu konstruiren sich abmühte, nur hohle Nüsse
hervorgebracht, Mißgeburten, die oftmals kaum den Tag auslebten, der sie
gebar.

Unter allen Naturprozeffeu ist der freie Fall der Körper der häufigste,
der einfachste und darum -- und weil er von universeller Tragweite ist --
zugleich auch der wichtigste. Man beobachtet, daß der fallende Körper um so


Grenzboten I. 1379. "
Kobert Mayer.
(f am 20. März 1878.)

Die Geschichte der Wissenschaft lehrt, daß die Natur höchst selten einen
Genius hervorzubringen vermag, dem es gelingt, ihre Geheimnisse zu ent¬
schleiern. Sind doch bald drei Jahrhunderte verflossen, seitdem Galilei den
Grund legte zu einer exakten Naturforschung, und nur vier bis fünf Geister
sind seit jenem denkwürdigen Tage über die Erde gegangen, die an seine Größe
heranreichten; nnr einer war es, der seinen Grundbau erweiterte und würdig
ist, an seiner Seite zu stehen. Dieser eine ist Julius Robert Mayer.
Die große Entdeckung, die wir seinein Genie verdanken — die größte, welche
unserm Jahrhundert bisher gelungen ist — wird keinem der Leser dieser
Blätter unbekannt geblieben sein. Sie betrifft das mechanische Aequivalent
der Wärme.

Die Grundpfeiler der Naturwissenschaft sind Größenbestimmungen, die aus
sorgfältigen Untersuchungen der Naturerscheinungen abgeleitet werden und sich
durch einfache Zahlen ausdrücken lassen. Die mechanische Aequivalentzahl der
Wärme ist eine derartige Zahl. Von der Größe und Wirkungsart der Kräfte
geben uns erst diese Größeubeziehuugen Vorstellungen von hinreichender
Schärfe, um darauf weiter bauen zu köunen. So lange solche Zahlenbestim¬
mungen nicht gemacht sind, mag über die Naturerscheinungen in unbestimmten
und vagen Begriffen noch so viel hin und her gestritten werden — für die wirk¬
liche Erkenntniß der Natur wird etwas Ersprießliches dadurch uicht zu Tage
gefördert. So hat alle Naturphilosophie älteren und neueren Datums, welche
die Welt aus bloßen Begriffen zu konstruiren sich abmühte, nur hohle Nüsse
hervorgebracht, Mißgeburten, die oftmals kaum den Tag auslebten, der sie
gebar.

Unter allen Naturprozeffeu ist der freie Fall der Körper der häufigste,
der einfachste und darum — und weil er von universeller Tragweite ist —
zugleich auch der wichtigste. Man beobachtet, daß der fallende Körper um so


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[0049] Kobert Mayer. (f am 20. März 1878.) Die Geschichte der Wissenschaft lehrt, daß die Natur höchst selten einen Genius hervorzubringen vermag, dem es gelingt, ihre Geheimnisse zu ent¬ schleiern. Sind doch bald drei Jahrhunderte verflossen, seitdem Galilei den Grund legte zu einer exakten Naturforschung, und nur vier bis fünf Geister sind seit jenem denkwürdigen Tage über die Erde gegangen, die an seine Größe heranreichten; nnr einer war es, der seinen Grundbau erweiterte und würdig ist, an seiner Seite zu stehen. Dieser eine ist Julius Robert Mayer. Die große Entdeckung, die wir seinein Genie verdanken — die größte, welche unserm Jahrhundert bisher gelungen ist — wird keinem der Leser dieser Blätter unbekannt geblieben sein. Sie betrifft das mechanische Aequivalent der Wärme. Die Grundpfeiler der Naturwissenschaft sind Größenbestimmungen, die aus sorgfältigen Untersuchungen der Naturerscheinungen abgeleitet werden und sich durch einfache Zahlen ausdrücken lassen. Die mechanische Aequivalentzahl der Wärme ist eine derartige Zahl. Von der Größe und Wirkungsart der Kräfte geben uns erst diese Größeubeziehuugen Vorstellungen von hinreichender Schärfe, um darauf weiter bauen zu köunen. So lange solche Zahlenbestim¬ mungen nicht gemacht sind, mag über die Naturerscheinungen in unbestimmten und vagen Begriffen noch so viel hin und her gestritten werden — für die wirk¬ liche Erkenntniß der Natur wird etwas Ersprießliches dadurch uicht zu Tage gefördert. So hat alle Naturphilosophie älteren und neueren Datums, welche die Welt aus bloßen Begriffen zu konstruiren sich abmühte, nur hohle Nüsse hervorgebracht, Mißgeburten, die oftmals kaum den Tag auslebten, der sie gebar. Unter allen Naturprozeffeu ist der freie Fall der Körper der häufigste, der einfachste und darum — und weil er von universeller Tragweite ist — zugleich auch der wichtigste. Man beobachtet, daß der fallende Körper um so Grenzboten I. 1379. «

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/49>, abgerufen am 06.05.2024.