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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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politische Iriese.
v.
Die Würde eines deutschen Parlaments.

Als die Vorlage über die Strafgewalt des Reichstages am 4.', 5. und
7. März berathen wurde, da war es namentlich Herr Lasier, welcher das Be¬
dürfniß, den Schutz der Würde des Reichstages zu verstärken, rund ableugnete.
Ein solches Bedürfniß sei in keinem einzigen vorgekommenen Fall begründet.
Er habe schon schlimme Dinge im Hause gehört, aber die schärfsten vom Tische
des Buudesraths, Die Debatte werde stets erregter und nähere sich der Grenze,
welche von der Vorlage getroffen werden solle, sobald Fürst Bismarck theil¬
nehme. Man dürfe nicht eine Verfassung ändern auf die Möglichkeit eines
Falles, der in zwölf Jahren nicht vorgekommen, eines Falles nämlich, der zur
Ausschließung eines Abgeordneten Veranlassung geben könne. Der Schutz
Außensteheuder wegen Beleidigung durch Abgeordnete sei in die Motive nur
ornamental eingeschaltet, weil dieser Grund sich populär erwiesen habe. Eng¬
länder haben dem Redner gesagt, sie hätten vom Reichstage den Eindruck einer
Versammlung von Senatoren u. s. w. Darauf nun wurden seitens der Abge¬
ordneten v. Goßler und Graf Frankenberg eine Anzahl Beispiele angeführt,
die man für genügend erachten könnte für den Beweis, daß Aeußerungen vorge¬
kommen, welche mit dem Ordnungsruf und selbst mit der Entziehung des
Wortes nicht geahndet sind. Z. B. "Ehe einige Jahrzehnte vergehen, wird
der Schlachtruf: ,Krieg den Palästen und Friede den Hütten^ von dem ge-
sammten europäischen Proletariat erhoben werden"; "dieser Reichstag ist nichts
als das Feigenblatt des nackten Absolutismus, die Jasagemaschine des Fürsten
Bismarck"; "meine Freunde und Parteigenossen chaben in dem Kommunekampf
gegen die Ordnungsbanditen gefochten, der unversöhnliche Gegensatz von Kapital
und Arbeit ist auch in Deutschland da"; "Tessendorf und Madai sind typische
Gestalten für den gewerbsmäßigen Mißbrauch der Amtsgewalt" u. f. w. Zu
diesen Aeußerungen sozialdemokratischer Redner kommt die berufene Aeußerung
eines wölfischen Redners, "die preußische Herrschaft in Hannover sei eine
schlimmere Fremdherrschaft als die napoleonische", als schlimmste, aber nicht
als einzige ihrer Art. Genügt es nun, wenn solche Aeußerungen durch eine
matte Rüge des Präsidenten begleitet werden? Der Gegenstand der Frage
wird völlig verschoben, wenn man ihm die persönliche Geschäftsführung des
einen oder des anderen Präsidenten unterschiebt. Der eine Präsident kann sehr
rasch und energisch sein in der Hemmung solcher Aeußerungen, eine Sühne


politische Iriese.
v.
Die Würde eines deutschen Parlaments.

Als die Vorlage über die Strafgewalt des Reichstages am 4.', 5. und
7. März berathen wurde, da war es namentlich Herr Lasier, welcher das Be¬
dürfniß, den Schutz der Würde des Reichstages zu verstärken, rund ableugnete.
Ein solches Bedürfniß sei in keinem einzigen vorgekommenen Fall begründet.
Er habe schon schlimme Dinge im Hause gehört, aber die schärfsten vom Tische
des Buudesraths, Die Debatte werde stets erregter und nähere sich der Grenze,
welche von der Vorlage getroffen werden solle, sobald Fürst Bismarck theil¬
nehme. Man dürfe nicht eine Verfassung ändern auf die Möglichkeit eines
Falles, der in zwölf Jahren nicht vorgekommen, eines Falles nämlich, der zur
Ausschließung eines Abgeordneten Veranlassung geben könne. Der Schutz
Außensteheuder wegen Beleidigung durch Abgeordnete sei in die Motive nur
ornamental eingeschaltet, weil dieser Grund sich populär erwiesen habe. Eng¬
länder haben dem Redner gesagt, sie hätten vom Reichstage den Eindruck einer
Versammlung von Senatoren u. s. w. Darauf nun wurden seitens der Abge¬
ordneten v. Goßler und Graf Frankenberg eine Anzahl Beispiele angeführt,
die man für genügend erachten könnte für den Beweis, daß Aeußerungen vorge¬
kommen, welche mit dem Ordnungsruf und selbst mit der Entziehung des
Wortes nicht geahndet sind. Z. B. „Ehe einige Jahrzehnte vergehen, wird
der Schlachtruf: ,Krieg den Palästen und Friede den Hütten^ von dem ge-
sammten europäischen Proletariat erhoben werden"; „dieser Reichstag ist nichts
als das Feigenblatt des nackten Absolutismus, die Jasagemaschine des Fürsten
Bismarck"; „meine Freunde und Parteigenossen chaben in dem Kommunekampf
gegen die Ordnungsbanditen gefochten, der unversöhnliche Gegensatz von Kapital
und Arbeit ist auch in Deutschland da"; „Tessendorf und Madai sind typische
Gestalten für den gewerbsmäßigen Mißbrauch der Amtsgewalt" u. f. w. Zu
diesen Aeußerungen sozialdemokratischer Redner kommt die berufene Aeußerung
eines wölfischen Redners, „die preußische Herrschaft in Hannover sei eine
schlimmere Fremdherrschaft als die napoleonische", als schlimmste, aber nicht
als einzige ihrer Art. Genügt es nun, wenn solche Aeußerungen durch eine
matte Rüge des Präsidenten begleitet werden? Der Gegenstand der Frage
wird völlig verschoben, wenn man ihm die persönliche Geschäftsführung des
einen oder des anderen Präsidenten unterschiebt. Der eine Präsident kann sehr
rasch und energisch sein in der Hemmung solcher Aeußerungen, eine Sühne


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[0530] politische Iriese. v. Die Würde eines deutschen Parlaments. Als die Vorlage über die Strafgewalt des Reichstages am 4.', 5. und 7. März berathen wurde, da war es namentlich Herr Lasier, welcher das Be¬ dürfniß, den Schutz der Würde des Reichstages zu verstärken, rund ableugnete. Ein solches Bedürfniß sei in keinem einzigen vorgekommenen Fall begründet. Er habe schon schlimme Dinge im Hause gehört, aber die schärfsten vom Tische des Buudesraths, Die Debatte werde stets erregter und nähere sich der Grenze, welche von der Vorlage getroffen werden solle, sobald Fürst Bismarck theil¬ nehme. Man dürfe nicht eine Verfassung ändern auf die Möglichkeit eines Falles, der in zwölf Jahren nicht vorgekommen, eines Falles nämlich, der zur Ausschließung eines Abgeordneten Veranlassung geben könne. Der Schutz Außensteheuder wegen Beleidigung durch Abgeordnete sei in die Motive nur ornamental eingeschaltet, weil dieser Grund sich populär erwiesen habe. Eng¬ länder haben dem Redner gesagt, sie hätten vom Reichstage den Eindruck einer Versammlung von Senatoren u. s. w. Darauf nun wurden seitens der Abge¬ ordneten v. Goßler und Graf Frankenberg eine Anzahl Beispiele angeführt, die man für genügend erachten könnte für den Beweis, daß Aeußerungen vorge¬ kommen, welche mit dem Ordnungsruf und selbst mit der Entziehung des Wortes nicht geahndet sind. Z. B. „Ehe einige Jahrzehnte vergehen, wird der Schlachtruf: ,Krieg den Palästen und Friede den Hütten^ von dem ge- sammten europäischen Proletariat erhoben werden"; „dieser Reichstag ist nichts als das Feigenblatt des nackten Absolutismus, die Jasagemaschine des Fürsten Bismarck"; „meine Freunde und Parteigenossen chaben in dem Kommunekampf gegen die Ordnungsbanditen gefochten, der unversöhnliche Gegensatz von Kapital und Arbeit ist auch in Deutschland da"; „Tessendorf und Madai sind typische Gestalten für den gewerbsmäßigen Mißbrauch der Amtsgewalt" u. f. w. Zu diesen Aeußerungen sozialdemokratischer Redner kommt die berufene Aeußerung eines wölfischen Redners, „die preußische Herrschaft in Hannover sei eine schlimmere Fremdherrschaft als die napoleonische", als schlimmste, aber nicht als einzige ihrer Art. Genügt es nun, wenn solche Aeußerungen durch eine matte Rüge des Präsidenten begleitet werden? Der Gegenstand der Frage wird völlig verschoben, wenn man ihm die persönliche Geschäftsführung des einen oder des anderen Präsidenten unterschiebt. Der eine Präsident kann sehr rasch und energisch sein in der Hemmung solcher Aeußerungen, eine Sühne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/530>, abgerufen am 06.05.2024.