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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Jas Aynosarges.

Die ursprünglich nur der Förderung körperlicher Tüchtigkeit gewidmeten
griechischen Gymnasien waren bald, als wissenschaftliche Bestrebungen in den
Bevölkerungen der größeren Städte Wurzel zu schlagen begannen, die Stätten
geworden, wo Sophisten und Philosophen theils ihre Schüler lehrend um sich
sammelten, theils in dem Kreise zufällig Anwesender eine geistige Unterhaltung
pflogen.

Als beliebte Spazierorte aber waren die das Peristyl umgebenden Säle
und die Xysten der Gymnasien von jeher zahlreich besucht, zumal da Prome¬
naden außerhalb der Stadt nicht unternommen zu werden pflegten. Athen
besaß in seiner goldenen Zeit drei solcher Gymnasien: das Lykeion, die Aka¬
demie und das Kynosarges. Daß der Unterschied derselben ein rein lokaler
gewesen, darf nach langem gelehrten Streit jetzt als ausgemacht angenommen
werden.

Das Lykeion, von dem Tempel des Apollon Lykeios so genannt, befand
sich am nördlichen Ufer des Ilissos. Hier stiftete Aristoteles seine Schule,
welche in der theoretischen Eudaemonie das Endziel alles menschlichen Strebens
erkannte. Es war eine Schule des vom Besondern zum Allgemeinen sich er¬
hebenden Verstandes, die der große Stagirit heranbildete, indem er alle Er¬
fahrungswissenschaften in das Bereich seiner Lehre zog. Ihm war Philosophie
die Versicherung des Wissens, die Erkenntniß aus Gründen. Die von ihm
begründete Naturwissenschaft erkannte als ihren obersten Zweck den Sieg der
Form über die Materie an. So finden wir im Lykeion eine Philosophie des
durch Erfahrung geschulten Verstandes energisch und scharfsinnig vertreten von
einem Manne, den man den Begründer einer Weltliteratur nennen kann.

Im Westen von Athen, in der schönsten Vorstadt, am Ufer des Kephissos
hingestreckt, nahe bei dem Thurme des Timon lag in reizendster Umgebung
ein großer mit hoher Mauer umfriedeter Park, von zahlreichen Gängen durch¬
schnitten und von zahlreichen Springbrunnen durchrauscht, dessen Eingang ein


Grenzboten I. 1879. 11
Jas Aynosarges.

Die ursprünglich nur der Förderung körperlicher Tüchtigkeit gewidmeten
griechischen Gymnasien waren bald, als wissenschaftliche Bestrebungen in den
Bevölkerungen der größeren Städte Wurzel zu schlagen begannen, die Stätten
geworden, wo Sophisten und Philosophen theils ihre Schüler lehrend um sich
sammelten, theils in dem Kreise zufällig Anwesender eine geistige Unterhaltung
pflogen.

Als beliebte Spazierorte aber waren die das Peristyl umgebenden Säle
und die Xysten der Gymnasien von jeher zahlreich besucht, zumal da Prome¬
naden außerhalb der Stadt nicht unternommen zu werden pflegten. Athen
besaß in seiner goldenen Zeit drei solcher Gymnasien: das Lykeion, die Aka¬
demie und das Kynosarges. Daß der Unterschied derselben ein rein lokaler
gewesen, darf nach langem gelehrten Streit jetzt als ausgemacht angenommen
werden.

Das Lykeion, von dem Tempel des Apollon Lykeios so genannt, befand
sich am nördlichen Ufer des Ilissos. Hier stiftete Aristoteles seine Schule,
welche in der theoretischen Eudaemonie das Endziel alles menschlichen Strebens
erkannte. Es war eine Schule des vom Besondern zum Allgemeinen sich er¬
hebenden Verstandes, die der große Stagirit heranbildete, indem er alle Er¬
fahrungswissenschaften in das Bereich seiner Lehre zog. Ihm war Philosophie
die Versicherung des Wissens, die Erkenntniß aus Gründen. Die von ihm
begründete Naturwissenschaft erkannte als ihren obersten Zweck den Sieg der
Form über die Materie an. So finden wir im Lykeion eine Philosophie des
durch Erfahrung geschulten Verstandes energisch und scharfsinnig vertreten von
einem Manne, den man den Begründer einer Weltliteratur nennen kann.

Im Westen von Athen, in der schönsten Vorstadt, am Ufer des Kephissos
hingestreckt, nahe bei dem Thurme des Timon lag in reizendster Umgebung
ein großer mit hoher Mauer umfriedeter Park, von zahlreichen Gängen durch¬
schnitten und von zahlreichen Springbrunnen durchrauscht, dessen Eingang ein


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[0089] Jas Aynosarges. Die ursprünglich nur der Förderung körperlicher Tüchtigkeit gewidmeten griechischen Gymnasien waren bald, als wissenschaftliche Bestrebungen in den Bevölkerungen der größeren Städte Wurzel zu schlagen begannen, die Stätten geworden, wo Sophisten und Philosophen theils ihre Schüler lehrend um sich sammelten, theils in dem Kreise zufällig Anwesender eine geistige Unterhaltung pflogen. Als beliebte Spazierorte aber waren die das Peristyl umgebenden Säle und die Xysten der Gymnasien von jeher zahlreich besucht, zumal da Prome¬ naden außerhalb der Stadt nicht unternommen zu werden pflegten. Athen besaß in seiner goldenen Zeit drei solcher Gymnasien: das Lykeion, die Aka¬ demie und das Kynosarges. Daß der Unterschied derselben ein rein lokaler gewesen, darf nach langem gelehrten Streit jetzt als ausgemacht angenommen werden. Das Lykeion, von dem Tempel des Apollon Lykeios so genannt, befand sich am nördlichen Ufer des Ilissos. Hier stiftete Aristoteles seine Schule, welche in der theoretischen Eudaemonie das Endziel alles menschlichen Strebens erkannte. Es war eine Schule des vom Besondern zum Allgemeinen sich er¬ hebenden Verstandes, die der große Stagirit heranbildete, indem er alle Er¬ fahrungswissenschaften in das Bereich seiner Lehre zog. Ihm war Philosophie die Versicherung des Wissens, die Erkenntniß aus Gründen. Die von ihm begründete Naturwissenschaft erkannte als ihren obersten Zweck den Sieg der Form über die Materie an. So finden wir im Lykeion eine Philosophie des durch Erfahrung geschulten Verstandes energisch und scharfsinnig vertreten von einem Manne, den man den Begründer einer Weltliteratur nennen kann. Im Westen von Athen, in der schönsten Vorstadt, am Ufer des Kephissos hingestreckt, nahe bei dem Thurme des Timon lag in reizendster Umgebung ein großer mit hoher Mauer umfriedeter Park, von zahlreichen Gängen durch¬ schnitten und von zahlreichen Springbrunnen durchrauscht, dessen Eingang ein Grenzboten I. 1879. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/89>, abgerufen am 06.05.2024.