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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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eintreten, daß ein Abgeordneter 1.) die dem Landesfürsten oder dessen fürst¬
lichem Hause schuldige Ehrerbietung verletzte, 2.) Anträge auf Umsturz der
Verfassung machte oder 3.) die Grenzen der freien Meinungsäußerung auf eine
die Ruhe des Landes oder des gesammten Deutschland gefährdende Weise
überschritte, so ist der Präsident verpflichtet, die Versammlung zu schließen oder
auf eine bestimmte Zeit zu entlassen und in der nächsten Sitzung über den
Vorgang Vortrag zu machen. Die Versammlung hat sodann über die Aus¬
schließung des schuldigen Mitgliedes auf bestimmte Zeit oder auf immer Be¬
schluß zu fassen."

Wie man sieht, war also der Gesetzentwurf, den sie vor vier Wochen mit
so viel Entrüstung von sich wiesen, durchaus nichts Unerhörtes.




HreitschKe's Deutsche Geschichte.

Seit langer Zeit ist bei Uns keinem Buche mit so gespannter, ungeduldiger
Erwartung entgegengesehen worden, wie der als eine Abtheilung der "Staaten-
geschichte der neuesten Zeit" angekündigten "Neuesten Geschichte Deutschland's"
von Treitschke ^- um des Gegenstandes nicht minder als um des Verfassers
willen. Ist es doch das erste Mal, daß der vielgefeierte und viel angefeindete
Politische Schriftsteller und Publizist als Geschichtsschreiber vor das deutsche
Volk tritt, nicht wie andere mit einer Erstlingsarbeit, der man gern die
Schwächen jugendlicher Unerfahrenheit zu gute hält, sondern mit der voll aus¬
gereiften Frucht vieljähriger Geistesthätigkeit. Und was von Zeit zu Zeit die
"Preußischen Jahrbücher" als Studien zu dem Hauptwerke oder als Proben
daraus mittheilten, z. B. die Aufsätze über den Wiener Kongreß und über die
Gründung des Zollvereins, war nur geeignet, die Erwartung auf das Ganze
Zu steigern.

In gewissem Sinne wird diese durch den vorliegenden ersten Band des¬
selben*) getäuscht; statt nämlich dem ursprünglichen Plane gemäß mit dem
Jahre 1815, mit dem Wiener Kongreß zu beginnen, schließt derselbe mit diesem
Zeitpunkte. Denn der Verfasser erkannte, wie er in dem an Max Duncker ge¬
richteten Vorworte ausspricht, bald, "daß ein nicht ausschließlich für Gelehrte



*) Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert von Heinrich von
Treitschke. Erster Theil. Leipzig, Hirzel, 1379.

eintreten, daß ein Abgeordneter 1.) die dem Landesfürsten oder dessen fürst¬
lichem Hause schuldige Ehrerbietung verletzte, 2.) Anträge auf Umsturz der
Verfassung machte oder 3.) die Grenzen der freien Meinungsäußerung auf eine
die Ruhe des Landes oder des gesammten Deutschland gefährdende Weise
überschritte, so ist der Präsident verpflichtet, die Versammlung zu schließen oder
auf eine bestimmte Zeit zu entlassen und in der nächsten Sitzung über den
Vorgang Vortrag zu machen. Die Versammlung hat sodann über die Aus¬
schließung des schuldigen Mitgliedes auf bestimmte Zeit oder auf immer Be¬
schluß zu fassen."

Wie man sieht, war also der Gesetzentwurf, den sie vor vier Wochen mit
so viel Entrüstung von sich wiesen, durchaus nichts Unerhörtes.




HreitschKe's Deutsche Geschichte.

Seit langer Zeit ist bei Uns keinem Buche mit so gespannter, ungeduldiger
Erwartung entgegengesehen worden, wie der als eine Abtheilung der „Staaten-
geschichte der neuesten Zeit" angekündigten „Neuesten Geschichte Deutschland's"
von Treitschke ^- um des Gegenstandes nicht minder als um des Verfassers
willen. Ist es doch das erste Mal, daß der vielgefeierte und viel angefeindete
Politische Schriftsteller und Publizist als Geschichtsschreiber vor das deutsche
Volk tritt, nicht wie andere mit einer Erstlingsarbeit, der man gern die
Schwächen jugendlicher Unerfahrenheit zu gute hält, sondern mit der voll aus¬
gereiften Frucht vieljähriger Geistesthätigkeit. Und was von Zeit zu Zeit die
„Preußischen Jahrbücher" als Studien zu dem Hauptwerke oder als Proben
daraus mittheilten, z. B. die Aufsätze über den Wiener Kongreß und über die
Gründung des Zollvereins, war nur geeignet, die Erwartung auf das Ganze
Zu steigern.

In gewissem Sinne wird diese durch den vorliegenden ersten Band des¬
selben*) getäuscht; statt nämlich dem ursprünglichen Plane gemäß mit dem
Jahre 1815, mit dem Wiener Kongreß zu beginnen, schließt derselbe mit diesem
Zeitpunkte. Denn der Verfasser erkannte, wie er in dem an Max Duncker ge¬
richteten Vorworte ausspricht, bald, „daß ein nicht ausschließlich für Gelehrte



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Treitschke. Erster Theil. Leipzig, Hirzel, 1379.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/11>, abgerufen am 01.05.2024.