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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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dienst, bei Prozessen und Ehescheidungen allenthalben ihre Rolle spielt. Später
charakterisirt er den Kaiser, den Fürsten Gortschakoff, die Eroberungen in
Turkestan, sibirische Zustände, Schul- und Wohlthätigkeitswesen, die politischen
Agenten, die Engländer und Franzosen in Rußland und die russische Diplo¬
matie, um dann mit Prophezeiungen über die Zukunft zu schließen. Das
Charakterbild, das der Verfasser von Alexander II. entwirft, gehört zu den
besten Stellen des Buches, und wir wüßten nach dem, was uns von dem
Kaiser bekannt geworden ist, nichts daran auszusetzen. Auch Gortschakoff ist
im Ganzen richtig geschildert, nur der starken Portion von Eitelkeit, die er be¬
sitzt, ist nicht gedacht. Ueber Schuwalvff, jetzt den bedeutendsten russischen
Diplomaten, erfahren wir ebenfalls einiges Interessante. Ueber Oubril, den
Gesandten Rußland's am Berliner Hofe, äußert sich der Verfasser folgender¬
maßen: "Er ist ein Diplomat, der einem Soldaten als Muster aufgestellt
werden könnte, so steif, so preußisch (!) sieht er aus. Er und sein erster
Sekretär, E. v. Kotzebue, sind die Hauptbindeglieder in der Familienallianz
zwischen den Romanoff's und den Hohenzollern. Fürst d'Oubril fehlt nie bei
einer Revue oder Parade, er spricht mit den Attache's und der Bedienung
deutsch, er gibt an allen Jahrestagen, welche für die preußische Geschichte vou
Bedeutung sind, Diners, er hat in seinem Palais sogar die deutsche Küche
eingeführt." -- "Ob Fürst Bismarck diesen preußisch gesinnten Russen gern
sieht, ist schwer zu sagen; auf alle Fälle übt dieser aber seinen Einfluß auf
andere Weise als durch den Reichskanzler aus; denn er ist weniger Botschafter
als Vertrauter und handelt als Vermittler der Beziehungen zwischen den beiden
regierenden Häusern. Er dinirt mit Kaiser Wilhelm an Tagen, wenn kein
anderer Diplomat eingeladen ist, und bei Hoffesten sieht man ihn oft eine halbe
Stunde lang mit Seiner Majestät sich unterhalten." Wir bemerken zu diesen
eigenthümlichen Mittheilungen: Man merkt die Absicht und man ist ver¬
stimmt -- man merkt den Aerger des Tory's, und übrigens trifft nur ein Theil
dieser Charakteristik das Rechte. Fürst Bismarck würde keine Politik hinter
seinem Rücken machen lassen, wie es hier angedeutet zu sein scheint, und er
hat es nicht nöthig, sich dagegen zu verwahren.


Textbuch zu Seemann's Kunsthistorischen Bilderbogen. Erstes Heft. Die Kunst
des Alterthums. Leipzig, Seemann, 1879.

Seit zum letzten Male in diesen Blättern der "Kunsthistorischen Bilder¬
bogen" gedacht wurde, hat das Unternehmen, das seine Entstehung unzweifelhaft
einer äußerst glücklichen Idee verdankt, seinen Abschluß gefunden. Von den
vier Sammlungen, die inzwischen noch erschienen sind, umfassen die siebente
und achte (Bogen 145--186) die Geschichte des Kunstgewerbes und der deko-


dienst, bei Prozessen und Ehescheidungen allenthalben ihre Rolle spielt. Später
charakterisirt er den Kaiser, den Fürsten Gortschakoff, die Eroberungen in
Turkestan, sibirische Zustände, Schul- und Wohlthätigkeitswesen, die politischen
Agenten, die Engländer und Franzosen in Rußland und die russische Diplo¬
matie, um dann mit Prophezeiungen über die Zukunft zu schließen. Das
Charakterbild, das der Verfasser von Alexander II. entwirft, gehört zu den
besten Stellen des Buches, und wir wüßten nach dem, was uns von dem
Kaiser bekannt geworden ist, nichts daran auszusetzen. Auch Gortschakoff ist
im Ganzen richtig geschildert, nur der starken Portion von Eitelkeit, die er be¬
sitzt, ist nicht gedacht. Ueber Schuwalvff, jetzt den bedeutendsten russischen
Diplomaten, erfahren wir ebenfalls einiges Interessante. Ueber Oubril, den
Gesandten Rußland's am Berliner Hofe, äußert sich der Verfasser folgender¬
maßen: „Er ist ein Diplomat, der einem Soldaten als Muster aufgestellt
werden könnte, so steif, so preußisch (!) sieht er aus. Er und sein erster
Sekretär, E. v. Kotzebue, sind die Hauptbindeglieder in der Familienallianz
zwischen den Romanoff's und den Hohenzollern. Fürst d'Oubril fehlt nie bei
einer Revue oder Parade, er spricht mit den Attache's und der Bedienung
deutsch, er gibt an allen Jahrestagen, welche für die preußische Geschichte vou
Bedeutung sind, Diners, er hat in seinem Palais sogar die deutsche Küche
eingeführt." — „Ob Fürst Bismarck diesen preußisch gesinnten Russen gern
sieht, ist schwer zu sagen; auf alle Fälle übt dieser aber seinen Einfluß auf
andere Weise als durch den Reichskanzler aus; denn er ist weniger Botschafter
als Vertrauter und handelt als Vermittler der Beziehungen zwischen den beiden
regierenden Häusern. Er dinirt mit Kaiser Wilhelm an Tagen, wenn kein
anderer Diplomat eingeladen ist, und bei Hoffesten sieht man ihn oft eine halbe
Stunde lang mit Seiner Majestät sich unterhalten." Wir bemerken zu diesen
eigenthümlichen Mittheilungen: Man merkt die Absicht und man ist ver¬
stimmt — man merkt den Aerger des Tory's, und übrigens trifft nur ein Theil
dieser Charakteristik das Rechte. Fürst Bismarck würde keine Politik hinter
seinem Rücken machen lassen, wie es hier angedeutet zu sein scheint, und er
hat es nicht nöthig, sich dagegen zu verwahren.


Textbuch zu Seemann's Kunsthistorischen Bilderbogen. Erstes Heft. Die Kunst
des Alterthums. Leipzig, Seemann, 1879.

Seit zum letzten Male in diesen Blättern der „Kunsthistorischen Bilder¬
bogen" gedacht wurde, hat das Unternehmen, das seine Entstehung unzweifelhaft
einer äußerst glücklichen Idee verdankt, seinen Abschluß gefunden. Von den
vier Sammlungen, die inzwischen noch erschienen sind, umfassen die siebente
und achte (Bogen 145—186) die Geschichte des Kunstgewerbes und der deko-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/123>, abgerufen am 01.05.2024.