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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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er entblödet sich sogar nicht, gewisse Eigenthümlichkeiten deutscher Stämme
zu verspotten. So heißt es z. B. S. 82. von den Mitarbeitern der von
Theodor Hell begründeten Dresdner "Abendzeitung", ihre literarischen Er¬
zeugnisse wären "so poesielos, so schwammig und breiweich wie der sächsische
Dialekt". Um das würdige Opus vollends zu charakterisiren, zitire ich zum
Schlüsse nnr noch eine Expektoratiou, von der sich Herr Röpe anläßlich des
herrlichen Anastasius Grün'schen Gedichtes von der "Poesie des Dampfes"
auf S. 657 entledigt: "Eisenbahnen und Dampfschiffe," sagt der alte Herr,
"können der Menschheit reichen Nutzen bringen, so lange nur dieselbe dabei noch
an der Religion festhält; denn denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum
Besten dienen. Sie nehmen ja den Menschen ein gut Theil Arbeit ab und
ersparen ihnen Zeit. Das muß durch die Liebe frommer Reicher auch den
Armen zu gute kommen. An und für sich haben Eisenbahnen und Dampf¬
schiffe mit der Religion nichts zu thun. Den Weg zum Himmel bahnen und
verkürzen können sie unbedingt nicht; das kann nur die wahre Poesie und der
wahre Glaube." Herr Röpe ist also doch wenigstens so aufgeklärt, die Eisen¬
b 6" ahnen nicht für eitel Teufelswerk zu erklären.




Literatur.
Preußen's landeskirchliche Unionsentwickelung von dem Könige Friedrich
Wilhelm III. an bis zur Gegenwart. Von I^!o. tlisol. Mücke. Brandenburg a. o. H.,
Wiesike, 1879.

Die Einführung der Gemeinde- und Synodalordnung von 1873 bezeichnet,
wie alle kirchlichen Parteien anerkennen, einen Wendepunkt in der Geschichte
der preußischen Landeskirche. Bis dahin lag der Schwerpunkt der kirchlichen
Entwickelung in der bischöflichen Machtfülle des Regenten des Landes und
unter ihm in der Ansicht und dem Willen der von ihm ernannten Kirchenbe¬
hörden. Jetzt aber sind neben den Landesherrn als den obersten Träger des
Kirchenregiments und seine Beamten die freigewählten Abgeordneten des evan¬
gelischen Volkes Preußen's getreten, um mit dem König und seinen Beamten
zusammenwirkend verfassungsmäßig die Geschicke der Landeskirche zu bestimmen.
Damit ist für den Geschichtschreiber der Union die Grenze gegeben, bis zu
der er mit seinem Bericht gehen kann; denn die Verhältnisse, die sich seitdem
herausgebildet haben, sind noch zu flüssig, noch zu sehr im Werden begriffen,
als daß sie sich für eine objektive Betrachtung und Darstellung eigneten. Mit


er entblödet sich sogar nicht, gewisse Eigenthümlichkeiten deutscher Stämme
zu verspotten. So heißt es z. B. S. 82. von den Mitarbeitern der von
Theodor Hell begründeten Dresdner „Abendzeitung", ihre literarischen Er¬
zeugnisse wären „so poesielos, so schwammig und breiweich wie der sächsische
Dialekt". Um das würdige Opus vollends zu charakterisiren, zitire ich zum
Schlüsse nnr noch eine Expektoratiou, von der sich Herr Röpe anläßlich des
herrlichen Anastasius Grün'schen Gedichtes von der „Poesie des Dampfes"
auf S. 657 entledigt: „Eisenbahnen und Dampfschiffe," sagt der alte Herr,
»können der Menschheit reichen Nutzen bringen, so lange nur dieselbe dabei noch
an der Religion festhält; denn denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum
Besten dienen. Sie nehmen ja den Menschen ein gut Theil Arbeit ab und
ersparen ihnen Zeit. Das muß durch die Liebe frommer Reicher auch den
Armen zu gute kommen. An und für sich haben Eisenbahnen und Dampf¬
schiffe mit der Religion nichts zu thun. Den Weg zum Himmel bahnen und
verkürzen können sie unbedingt nicht; das kann nur die wahre Poesie und der
wahre Glaube." Herr Röpe ist also doch wenigstens so aufgeklärt, die Eisen¬
b 6" ahnen nicht für eitel Teufelswerk zu erklären.




Literatur.
Preußen's landeskirchliche Unionsentwickelung von dem Könige Friedrich
Wilhelm III. an bis zur Gegenwart. Von I^!o. tlisol. Mücke. Brandenburg a. o. H.,
Wiesike, 1879.

Die Einführung der Gemeinde- und Synodalordnung von 1873 bezeichnet,
wie alle kirchlichen Parteien anerkennen, einen Wendepunkt in der Geschichte
der preußischen Landeskirche. Bis dahin lag der Schwerpunkt der kirchlichen
Entwickelung in der bischöflichen Machtfülle des Regenten des Landes und
unter ihm in der Ansicht und dem Willen der von ihm ernannten Kirchenbe¬
hörden. Jetzt aber sind neben den Landesherrn als den obersten Träger des
Kirchenregiments und seine Beamten die freigewählten Abgeordneten des evan¬
gelischen Volkes Preußen's getreten, um mit dem König und seinen Beamten
zusammenwirkend verfassungsmäßig die Geschicke der Landeskirche zu bestimmen.
Damit ist für den Geschichtschreiber der Union die Grenze gegeben, bis zu
der er mit seinem Bericht gehen kann; denn die Verhältnisse, die sich seitdem
herausgebildet haben, sind noch zu flüssig, noch zu sehr im Werden begriffen,
als daß sie sich für eine objektive Betrachtung und Darstellung eigneten. Mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/245>, abgerufen am 01.05.2024.