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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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deutsche Literaten zur Jen des siebenjährigen Krieges.
Julian Schmidt. Von II.

Bei der Spannung, mit welcher man die politischen Ereignisse verfolgte,
konnte die eigentliche Literatur nicht wohl aufkommen; es zeigt sich eher ein
Rückgang.

Lessing war im besten dramatischen Schaffen. Nicolai hatte gleich bei
Begründung der "Bibliothek" einen Preis für ein gutes Trauerspiel ausgesetzt.
Lessing rieth im Sommer 1758, ihn dem "Kodrus" zu ertheilen, einem freilich
schwachen Versuch des jungen Herrn v. Cronegk, eines Freundes von Gellert.
Dieser, ein vermögender Mann, hatte gewünscht, daß für diesen Fall der Preis
zu dem des folgenden Jahres geschlagen werden solle; mittlerweile, hofft
Lessing, werde ein junger Dichter mit einer besseren Tragödie fertig werden, "von
dem ich mir nach meiner Eitelkeit viel Gutes verspreche. Er arbeitet ziemlich
wie ich: er macht alle sieben Tage sieben Zeilen; er erweitert unaufhörlich
seinen Plan, und streicht unaufhörlich etwas von dem schon Ausgearbeiteten
wieder aus. Sein jetziges Sujet ist eine bürgerliche Virginia, der er den Titel
Emilia Galotti gegeben hat. Er hat nämlich die Geschichte der römischen
Virginia von allem dem abgesondert, was sie für den ganzen Staat interes¬
sant macht; er hat geglaubt, daß das Schicksal einer Tochter, die von ihrem
Vater umgebracht wird, dem ihre Tugend werther ist als ihr Leben, für sich
tragisch genug und fähig sei, die ganze Seele zu erschüttern, wenn auch kein
Umsturz der Staatsverfassung daraus folgte. Seine Anlage ist nur von drei
Acten, und er braucht ohne Bedenken alle Freiheiten der englischen Bühne."

Ob aus Cronegk, sowie aus dem noch jüngeren v. Brawe, der gleichfalls
ein Stück "Der Freigeist" geliefert hatte, im Laufe der Zeit etwas geworden
wäre, läßt sich nicht ausmachen; sie starben beide rasch nach einander. An
dem, was sie bis dahin geleistet, war eigentlich nur der gute Wille zu loben.

Da Kleist aus Leipzig abging, so kehrte Lessing im Mai 1758 zu
seinen Freunden nach Berlin zurück. Diese hatten sich immer enger an ein¬
ander geschlossen; wöchentlich kamen sie zusammen, um freie Vorträge zu halten:
Sulzer, Ramler, Mendelssohn, Nicolai, Resewitz, Premontval und
viele Andere, darunter auch die Musiker Marpurg und Fnsch und der


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deutsche Literaten zur Jen des siebenjährigen Krieges.
Julian Schmidt. Von II.

Bei der Spannung, mit welcher man die politischen Ereignisse verfolgte,
konnte die eigentliche Literatur nicht wohl aufkommen; es zeigt sich eher ein
Rückgang.

Lessing war im besten dramatischen Schaffen. Nicolai hatte gleich bei
Begründung der „Bibliothek" einen Preis für ein gutes Trauerspiel ausgesetzt.
Lessing rieth im Sommer 1758, ihn dem „Kodrus" zu ertheilen, einem freilich
schwachen Versuch des jungen Herrn v. Cronegk, eines Freundes von Gellert.
Dieser, ein vermögender Mann, hatte gewünscht, daß für diesen Fall der Preis
zu dem des folgenden Jahres geschlagen werden solle; mittlerweile, hofft
Lessing, werde ein junger Dichter mit einer besseren Tragödie fertig werden, „von
dem ich mir nach meiner Eitelkeit viel Gutes verspreche. Er arbeitet ziemlich
wie ich: er macht alle sieben Tage sieben Zeilen; er erweitert unaufhörlich
seinen Plan, und streicht unaufhörlich etwas von dem schon Ausgearbeiteten
wieder aus. Sein jetziges Sujet ist eine bürgerliche Virginia, der er den Titel
Emilia Galotti gegeben hat. Er hat nämlich die Geschichte der römischen
Virginia von allem dem abgesondert, was sie für den ganzen Staat interes¬
sant macht; er hat geglaubt, daß das Schicksal einer Tochter, die von ihrem
Vater umgebracht wird, dem ihre Tugend werther ist als ihr Leben, für sich
tragisch genug und fähig sei, die ganze Seele zu erschüttern, wenn auch kein
Umsturz der Staatsverfassung daraus folgte. Seine Anlage ist nur von drei
Acten, und er braucht ohne Bedenken alle Freiheiten der englischen Bühne."

Ob aus Cronegk, sowie aus dem noch jüngeren v. Brawe, der gleichfalls
ein Stück „Der Freigeist" geliefert hatte, im Laufe der Zeit etwas geworden
wäre, läßt sich nicht ausmachen; sie starben beide rasch nach einander. An
dem, was sie bis dahin geleistet, war eigentlich nur der gute Wille zu loben.

Da Kleist aus Leipzig abging, so kehrte Lessing im Mai 1758 zu
seinen Freunden nach Berlin zurück. Diese hatten sich immer enger an ein¬
ander geschlossen; wöchentlich kamen sie zusammen, um freie Vorträge zu halten:
Sulzer, Ramler, Mendelssohn, Nicolai, Resewitz, Premontval und
viele Andere, darunter auch die Musiker Marpurg und Fnsch und der


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[0299] Me deutsche Literaten zur Jen des siebenjährigen Krieges. Julian Schmidt. Von II. Bei der Spannung, mit welcher man die politischen Ereignisse verfolgte, konnte die eigentliche Literatur nicht wohl aufkommen; es zeigt sich eher ein Rückgang. Lessing war im besten dramatischen Schaffen. Nicolai hatte gleich bei Begründung der „Bibliothek" einen Preis für ein gutes Trauerspiel ausgesetzt. Lessing rieth im Sommer 1758, ihn dem „Kodrus" zu ertheilen, einem freilich schwachen Versuch des jungen Herrn v. Cronegk, eines Freundes von Gellert. Dieser, ein vermögender Mann, hatte gewünscht, daß für diesen Fall der Preis zu dem des folgenden Jahres geschlagen werden solle; mittlerweile, hofft Lessing, werde ein junger Dichter mit einer besseren Tragödie fertig werden, „von dem ich mir nach meiner Eitelkeit viel Gutes verspreche. Er arbeitet ziemlich wie ich: er macht alle sieben Tage sieben Zeilen; er erweitert unaufhörlich seinen Plan, und streicht unaufhörlich etwas von dem schon Ausgearbeiteten wieder aus. Sein jetziges Sujet ist eine bürgerliche Virginia, der er den Titel Emilia Galotti gegeben hat. Er hat nämlich die Geschichte der römischen Virginia von allem dem abgesondert, was sie für den ganzen Staat interes¬ sant macht; er hat geglaubt, daß das Schicksal einer Tochter, die von ihrem Vater umgebracht wird, dem ihre Tugend werther ist als ihr Leben, für sich tragisch genug und fähig sei, die ganze Seele zu erschüttern, wenn auch kein Umsturz der Staatsverfassung daraus folgte. Seine Anlage ist nur von drei Acten, und er braucht ohne Bedenken alle Freiheiten der englischen Bühne." Ob aus Cronegk, sowie aus dem noch jüngeren v. Brawe, der gleichfalls ein Stück „Der Freigeist" geliefert hatte, im Laufe der Zeit etwas geworden wäre, läßt sich nicht ausmachen; sie starben beide rasch nach einander. An dem, was sie bis dahin geleistet, war eigentlich nur der gute Wille zu loben. Da Kleist aus Leipzig abging, so kehrte Lessing im Mai 1758 zu seinen Freunden nach Berlin zurück. Diese hatten sich immer enger an ein¬ ander geschlossen; wöchentlich kamen sie zusammen, um freie Vorträge zu halten: Sulzer, Ramler, Mendelssohn, Nicolai, Resewitz, Premontval und viele Andere, darunter auch die Musiker Marpurg und Fnsch und der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/299>, abgerufen am 01.05.2024.