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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Neben Gellert spielten Weiße, Hiller, Oeser und verschiedene Jüngere eine an¬
sehnliche Rolle, aber die Leipziger Literatur stand nicht mehr im Vordertreffen,
sie kultivirte mit besonderer Vorliebe Kindergeschichten und Operetten. Man zuckte
über die "Provinzen" die Achsel, die sich gegen die reine Bildung aufgelehnt;
aber diese Provinzen, Preußen voran, führten einmal das große Wort.




sud Süsz.

Mit dem folgenden Geschichtsbilde befinden wir uns in der ersten Hälfte
des vorigen Jahrhunderts, der Zeit, wo der Absolutismus nach der Auffassung
Ludwig's XIV. mit Ausnahme England's allenthalben in Europa seine höchste
Ausbildung erreicht und mit Ausnahme Preußen's seine nachtheiligsten Folgen
entwickelt hatte, der Zeit ferner, wo die Jesuiten vom langen und kurzen Rock
auf dem Gipfel ihrer Macht standen und auch an einer Anzahl von protestan¬
tischen Höfen in einer für die betreffenden Länder verhängnißvollen Weise am
Regiments theilnahmen, der Zeit der Abenteurer und Glücksritter endlich, die
bald in der Eigenschaft von Goldköchen, bald als Finanzkünstler, bald in
anderer Gestalt bei ehrgeizigen oder verschwenderischen und deshalb geldbedürf¬
tigen Fürsten gern gesehene Gäste waren, rasch emporstiegen und zuletzt meistens
ebenso rasch gestürzt wurden.

Beinahe allenthalben, namentlich aber in den kleineren deutschen Ländern,
lastete der Druck der Fürstengewalt schwer auf dem Volke. Die alten ständi¬
schen Verfassungen wurden kaum noch geachtet und hie und da geradezu ge¬
brochen. Mit immer neuen Finanzmanövern, mit Erhöhung der hergebrachten
und Einführung von anderen Steuern, mit bisher unbekannten Stempelabgaben,
Ausprägen geringwerthiger Geldes, Aemterverkauf, Monopolen füllten gewissen¬
lose Minister die öffentlichen Kassen, die dennoch immer bald wieder leer waren
und so ihren Verpflichtungen gegen die Beamten und die Staatsgläubiger nur
sehr ungenügend nachkommen konnten. Die meisten Stellen wurden durch
Geldzahlungen erworben. Die Minister und deren Günstlinge bereicherten sich
in unanständigster Weise, die Fürsten verschwendeten die Landeseinkünfte mit
einem unerhörten Luxus, mit Soldatenspielerei oder durch Kriege, die lediglich
aus Ehrgeiz unternommen wurden. Wir erinnern an August den Starken, an
den Grafen Brühl und an das Auftreten des Herzogs Ernst August von


Neben Gellert spielten Weiße, Hiller, Oeser und verschiedene Jüngere eine an¬
sehnliche Rolle, aber die Leipziger Literatur stand nicht mehr im Vordertreffen,
sie kultivirte mit besonderer Vorliebe Kindergeschichten und Operetten. Man zuckte
über die „Provinzen" die Achsel, die sich gegen die reine Bildung aufgelehnt;
aber diese Provinzen, Preußen voran, führten einmal das große Wort.




sud Süsz.

Mit dem folgenden Geschichtsbilde befinden wir uns in der ersten Hälfte
des vorigen Jahrhunderts, der Zeit, wo der Absolutismus nach der Auffassung
Ludwig's XIV. mit Ausnahme England's allenthalben in Europa seine höchste
Ausbildung erreicht und mit Ausnahme Preußen's seine nachtheiligsten Folgen
entwickelt hatte, der Zeit ferner, wo die Jesuiten vom langen und kurzen Rock
auf dem Gipfel ihrer Macht standen und auch an einer Anzahl von protestan¬
tischen Höfen in einer für die betreffenden Länder verhängnißvollen Weise am
Regiments theilnahmen, der Zeit der Abenteurer und Glücksritter endlich, die
bald in der Eigenschaft von Goldköchen, bald als Finanzkünstler, bald in
anderer Gestalt bei ehrgeizigen oder verschwenderischen und deshalb geldbedürf¬
tigen Fürsten gern gesehene Gäste waren, rasch emporstiegen und zuletzt meistens
ebenso rasch gestürzt wurden.

Beinahe allenthalben, namentlich aber in den kleineren deutschen Ländern,
lastete der Druck der Fürstengewalt schwer auf dem Volke. Die alten ständi¬
schen Verfassungen wurden kaum noch geachtet und hie und da geradezu ge¬
brochen. Mit immer neuen Finanzmanövern, mit Erhöhung der hergebrachten
und Einführung von anderen Steuern, mit bisher unbekannten Stempelabgaben,
Ausprägen geringwerthiger Geldes, Aemterverkauf, Monopolen füllten gewissen¬
lose Minister die öffentlichen Kassen, die dennoch immer bald wieder leer waren
und so ihren Verpflichtungen gegen die Beamten und die Staatsgläubiger nur
sehr ungenügend nachkommen konnten. Die meisten Stellen wurden durch
Geldzahlungen erworben. Die Minister und deren Günstlinge bereicherten sich
in unanständigster Weise, die Fürsten verschwendeten die Landeseinkünfte mit
einem unerhörten Luxus, mit Soldatenspielerei oder durch Kriege, die lediglich
aus Ehrgeiz unternommen wurden. Wir erinnern an August den Starken, an
den Grafen Brühl und an das Auftreten des Herzogs Ernst August von


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[0386] Neben Gellert spielten Weiße, Hiller, Oeser und verschiedene Jüngere eine an¬ sehnliche Rolle, aber die Leipziger Literatur stand nicht mehr im Vordertreffen, sie kultivirte mit besonderer Vorliebe Kindergeschichten und Operetten. Man zuckte über die „Provinzen" die Achsel, die sich gegen die reine Bildung aufgelehnt; aber diese Provinzen, Preußen voran, führten einmal das große Wort. sud Süsz. Mit dem folgenden Geschichtsbilde befinden wir uns in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, der Zeit, wo der Absolutismus nach der Auffassung Ludwig's XIV. mit Ausnahme England's allenthalben in Europa seine höchste Ausbildung erreicht und mit Ausnahme Preußen's seine nachtheiligsten Folgen entwickelt hatte, der Zeit ferner, wo die Jesuiten vom langen und kurzen Rock auf dem Gipfel ihrer Macht standen und auch an einer Anzahl von protestan¬ tischen Höfen in einer für die betreffenden Länder verhängnißvollen Weise am Regiments theilnahmen, der Zeit der Abenteurer und Glücksritter endlich, die bald in der Eigenschaft von Goldköchen, bald als Finanzkünstler, bald in anderer Gestalt bei ehrgeizigen oder verschwenderischen und deshalb geldbedürf¬ tigen Fürsten gern gesehene Gäste waren, rasch emporstiegen und zuletzt meistens ebenso rasch gestürzt wurden. Beinahe allenthalben, namentlich aber in den kleineren deutschen Ländern, lastete der Druck der Fürstengewalt schwer auf dem Volke. Die alten ständi¬ schen Verfassungen wurden kaum noch geachtet und hie und da geradezu ge¬ brochen. Mit immer neuen Finanzmanövern, mit Erhöhung der hergebrachten und Einführung von anderen Steuern, mit bisher unbekannten Stempelabgaben, Ausprägen geringwerthiger Geldes, Aemterverkauf, Monopolen füllten gewissen¬ lose Minister die öffentlichen Kassen, die dennoch immer bald wieder leer waren und so ihren Verpflichtungen gegen die Beamten und die Staatsgläubiger nur sehr ungenügend nachkommen konnten. Die meisten Stellen wurden durch Geldzahlungen erworben. Die Minister und deren Günstlinge bereicherten sich in unanständigster Weise, die Fürsten verschwendeten die Landeseinkünfte mit einem unerhörten Luxus, mit Soldatenspielerei oder durch Kriege, die lediglich aus Ehrgeiz unternommen wurden. Wir erinnern an August den Starken, an den Grafen Brühl und an das Auftreten des Herzogs Ernst August von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/386>, abgerufen am 01.05.2024.