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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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jüngste Kampf der siebenbürger Sachsen um ihr Keese.

Der österreichische Ausgleich von 1867, welcher die weiten Länder der
Stephanskrone als wesentlich selbständigen und einheitlichen Staat neben die
deutsch-slavischen Erdtaube des Hauses Habsburg stellte, hat, wie die Deutschen
Oesterreich's schmerzlich empfinden, zu einer thatsächlichen Vorherrschaft der
Magyaren im Kaiserstaate überhaupt geführt. Schon kann man diesseits der
Leitha der bitteren Bemerkung begegnen, der passendste Name für die Donau¬
monarchie sei nicht "Oesterreich-Ungarn", fondern "Ungarn und die übrigen
Länder", oder gar "Ungarn und seine Rebenlaube".

Mag nun diese magyarische Vorherrschaft begründet sein wie sie immer
wolle, mag die feste Geschlossenheit des magyarischen Volksthums auf der einen,
die Zerfahrenheit der vielgetheilten Deutsch-Oesterreicher, die obendrein in einem
zeitweise schweren Kampfe mit den neben und unter ihnen wohnenden Slaven
begriffen sind, auf der andern Seite diesen Zustand hinlänglich erklären, Niemand,
der unbefangen diesen Dingen gegenübersteht, wird verkennen, daß er ein der
alten Bedeutung des deutsch-österreichischen Volkselementes widersprechender
und vielfach geradezu schädlicher ist. Sollte wirklich dieser stolze, reiche, patrio¬
tische Adel der deutschen Erdkunde, der einst voranstand in allen Werken der
Kultur und auch in der neuesten Zeit glänzende Proben seines politischen Ver¬
ständnisses gegeben hat, auf die Dauer zurücktreten hinter der Aristokratie
Ungarn's, die doch in keinem Stücke ihn übertrifft? Sollte dieser rasch auf¬
geblühte Bürgerstand Oesterreich's sich an politischer Einsicht und Thatkraft
beschämen lassen von einem Volke, das fast Alles, was es auf dem Felde der
Kultur geleistet, fremdem Einflüsse verdankt und ein einheimisches Bürger-
thum noch kaum entwickelt hat? Hat doch unleugbar die magyarische Hege¬
monie, der ganze hochgesteigerte Chauvinismus dieses Volkes dem Fortschritte
der großen historischen Aufgabe Oesterreich's, deutsche Gesittung und als ihre


Grenzboten II. 1879. S2
Aer
jüngste Kampf der siebenbürger Sachsen um ihr Keese.

Der österreichische Ausgleich von 1867, welcher die weiten Länder der
Stephanskrone als wesentlich selbständigen und einheitlichen Staat neben die
deutsch-slavischen Erdtaube des Hauses Habsburg stellte, hat, wie die Deutschen
Oesterreich's schmerzlich empfinden, zu einer thatsächlichen Vorherrschaft der
Magyaren im Kaiserstaate überhaupt geführt. Schon kann man diesseits der
Leitha der bitteren Bemerkung begegnen, der passendste Name für die Donau¬
monarchie sei nicht „Oesterreich-Ungarn", fondern „Ungarn und die übrigen
Länder", oder gar „Ungarn und seine Rebenlaube".

Mag nun diese magyarische Vorherrschaft begründet sein wie sie immer
wolle, mag die feste Geschlossenheit des magyarischen Volksthums auf der einen,
die Zerfahrenheit der vielgetheilten Deutsch-Oesterreicher, die obendrein in einem
zeitweise schweren Kampfe mit den neben und unter ihnen wohnenden Slaven
begriffen sind, auf der andern Seite diesen Zustand hinlänglich erklären, Niemand,
der unbefangen diesen Dingen gegenübersteht, wird verkennen, daß er ein der
alten Bedeutung des deutsch-österreichischen Volkselementes widersprechender
und vielfach geradezu schädlicher ist. Sollte wirklich dieser stolze, reiche, patrio¬
tische Adel der deutschen Erdkunde, der einst voranstand in allen Werken der
Kultur und auch in der neuesten Zeit glänzende Proben seines politischen Ver¬
ständnisses gegeben hat, auf die Dauer zurücktreten hinter der Aristokratie
Ungarn's, die doch in keinem Stücke ihn übertrifft? Sollte dieser rasch auf¬
geblühte Bürgerstand Oesterreich's sich an politischer Einsicht und Thatkraft
beschämen lassen von einem Volke, das fast Alles, was es auf dem Felde der
Kultur geleistet, fremdem Einflüsse verdankt und ein einheimisches Bürger-
thum noch kaum entwickelt hat? Hat doch unleugbar die magyarische Hege¬
monie, der ganze hochgesteigerte Chauvinismus dieses Volkes dem Fortschritte
der großen historischen Aufgabe Oesterreich's, deutsche Gesittung und als ihre


Grenzboten II. 1879. S2
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[0409] Aer jüngste Kampf der siebenbürger Sachsen um ihr Keese. Der österreichische Ausgleich von 1867, welcher die weiten Länder der Stephanskrone als wesentlich selbständigen und einheitlichen Staat neben die deutsch-slavischen Erdtaube des Hauses Habsburg stellte, hat, wie die Deutschen Oesterreich's schmerzlich empfinden, zu einer thatsächlichen Vorherrschaft der Magyaren im Kaiserstaate überhaupt geführt. Schon kann man diesseits der Leitha der bitteren Bemerkung begegnen, der passendste Name für die Donau¬ monarchie sei nicht „Oesterreich-Ungarn", fondern „Ungarn und die übrigen Länder", oder gar „Ungarn und seine Rebenlaube". Mag nun diese magyarische Vorherrschaft begründet sein wie sie immer wolle, mag die feste Geschlossenheit des magyarischen Volksthums auf der einen, die Zerfahrenheit der vielgetheilten Deutsch-Oesterreicher, die obendrein in einem zeitweise schweren Kampfe mit den neben und unter ihnen wohnenden Slaven begriffen sind, auf der andern Seite diesen Zustand hinlänglich erklären, Niemand, der unbefangen diesen Dingen gegenübersteht, wird verkennen, daß er ein der alten Bedeutung des deutsch-österreichischen Volkselementes widersprechender und vielfach geradezu schädlicher ist. Sollte wirklich dieser stolze, reiche, patrio¬ tische Adel der deutschen Erdkunde, der einst voranstand in allen Werken der Kultur und auch in der neuesten Zeit glänzende Proben seines politischen Ver¬ ständnisses gegeben hat, auf die Dauer zurücktreten hinter der Aristokratie Ungarn's, die doch in keinem Stücke ihn übertrifft? Sollte dieser rasch auf¬ geblühte Bürgerstand Oesterreich's sich an politischer Einsicht und Thatkraft beschämen lassen von einem Volke, das fast Alles, was es auf dem Felde der Kultur geleistet, fremdem Einflüsse verdankt und ein einheimisches Bürger- thum noch kaum entwickelt hat? Hat doch unleugbar die magyarische Hege¬ monie, der ganze hochgesteigerte Chauvinismus dieses Volkes dem Fortschritte der großen historischen Aufgabe Oesterreich's, deutsche Gesittung und als ihre Grenzboten II. 1879. S2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/409>, abgerufen am 30.04.2024.