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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Line Philosophie der Technik.

Technik und Philosophie -- zwei Begriffe, die anscheinend himmelweit aus-
einanderliegen, sie sollen vereinigt werden zu einer "Philosophie der Technik"!

Was ist Technik, was ist Philosophie? Technik, als ein Theil der Kunst,
gehört zu den Gebieten des menschlichen Könnens, und zwar bildet sie das¬
jenige Gebiet, welches unter der Herrschaft der menschlichen Hand steht; daher
Technik auch als das Handwerksmäßige in der Kunst bezeichnet worden ist.
Philosophie gehört zu den Gebieten des menschlichen Wissens; sie ist die
Wissenschaft von den Prinzipien, d. h. von den obersten Grundsätzen oder
Grundbegriffen aller Wissenschaften und aller Künste. "Philosophie der Technik"
also wäre die Wissenschaft vom Prinzip der Technik.

Was aber ist das Prinzip der Technik? Um diese Frage zu beantworten,
gilt es, einen kurzen Umweg zu nehmen, der uns auf das Gebiet der Physio¬
logie und der Psychologie sühren wird. Die Physiologie der Sinnesorgane
lehrt, daß, wenn die Dinge und Kräfte der Außenwelt mit unseren Sinnes¬
organen in Berührung kommen, sie durch Vermittelung der Sinnesnerven in
unserer Seele Empfindungen erregen und Vorstellungen erzeugen, die qualitativ
unabhängig sind von der Natur der erregenden Ursache. Wir empfinden Licht,
wenn Aetherschwingungen die Ausbreitung des Sehnerven in unserm Auge
treffen. Aber dieselben Aetherwellen, welche wir mittels unseres Sehorganes
als Licht wahrnehmen, erregen in uns, wenn sie die Haut treffen, die Empfin¬
dung von Wärme, und die Aetherwellen, welche wir durch die Haut als
Schwirren wahrnehmen -- das Gehörorgan vermittelt sie uns als Ton. Wir
können auch ein und dieselbe Erregungsursache durch alle unsere Sinnesorgane
zugleich empfinden. Den elektrischen Reiz empfinden wir mittels des Sehorganes
als Blitz, mittels des Gehörorganes als Ton oder Sausen, mittels der Haut
als Prickeln oder stechenden Schmerz; mittels der Zunge erhalten wir einen
Metallgeschmack und durch die Nase Ozongeruch. Ein Schlag auf den Kopf,
der uns, wie man zu sagen Pflegt, Hören und Sehen vergehen macht, erregt
ganz im Gegentheil gleichzeitig die Empfindung von Licht, Ton und Schmerz.


Grenzboten II. 1379. v
Line Philosophie der Technik.

Technik und Philosophie — zwei Begriffe, die anscheinend himmelweit aus-
einanderliegen, sie sollen vereinigt werden zu einer „Philosophie der Technik"!

Was ist Technik, was ist Philosophie? Technik, als ein Theil der Kunst,
gehört zu den Gebieten des menschlichen Könnens, und zwar bildet sie das¬
jenige Gebiet, welches unter der Herrschaft der menschlichen Hand steht; daher
Technik auch als das Handwerksmäßige in der Kunst bezeichnet worden ist.
Philosophie gehört zu den Gebieten des menschlichen Wissens; sie ist die
Wissenschaft von den Prinzipien, d. h. von den obersten Grundsätzen oder
Grundbegriffen aller Wissenschaften und aller Künste. „Philosophie der Technik"
also wäre die Wissenschaft vom Prinzip der Technik.

Was aber ist das Prinzip der Technik? Um diese Frage zu beantworten,
gilt es, einen kurzen Umweg zu nehmen, der uns auf das Gebiet der Physio¬
logie und der Psychologie sühren wird. Die Physiologie der Sinnesorgane
lehrt, daß, wenn die Dinge und Kräfte der Außenwelt mit unseren Sinnes¬
organen in Berührung kommen, sie durch Vermittelung der Sinnesnerven in
unserer Seele Empfindungen erregen und Vorstellungen erzeugen, die qualitativ
unabhängig sind von der Natur der erregenden Ursache. Wir empfinden Licht,
wenn Aetherschwingungen die Ausbreitung des Sehnerven in unserm Auge
treffen. Aber dieselben Aetherwellen, welche wir mittels unseres Sehorganes
als Licht wahrnehmen, erregen in uns, wenn sie die Haut treffen, die Empfin¬
dung von Wärme, und die Aetherwellen, welche wir durch die Haut als
Schwirren wahrnehmen — das Gehörorgan vermittelt sie uns als Ton. Wir
können auch ein und dieselbe Erregungsursache durch alle unsere Sinnesorgane
zugleich empfinden. Den elektrischen Reiz empfinden wir mittels des Sehorganes
als Blitz, mittels des Gehörorganes als Ton oder Sausen, mittels der Haut
als Prickeln oder stechenden Schmerz; mittels der Zunge erhalten wir einen
Metallgeschmack und durch die Nase Ozongeruch. Ein Schlag auf den Kopf,
der uns, wie man zu sagen Pflegt, Hören und Sehen vergehen macht, erregt
ganz im Gegentheil gleichzeitig die Empfindung von Licht, Ton und Schmerz.


Grenzboten II. 1379. v
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[0045] Line Philosophie der Technik. Technik und Philosophie — zwei Begriffe, die anscheinend himmelweit aus- einanderliegen, sie sollen vereinigt werden zu einer „Philosophie der Technik"! Was ist Technik, was ist Philosophie? Technik, als ein Theil der Kunst, gehört zu den Gebieten des menschlichen Könnens, und zwar bildet sie das¬ jenige Gebiet, welches unter der Herrschaft der menschlichen Hand steht; daher Technik auch als das Handwerksmäßige in der Kunst bezeichnet worden ist. Philosophie gehört zu den Gebieten des menschlichen Wissens; sie ist die Wissenschaft von den Prinzipien, d. h. von den obersten Grundsätzen oder Grundbegriffen aller Wissenschaften und aller Künste. „Philosophie der Technik" also wäre die Wissenschaft vom Prinzip der Technik. Was aber ist das Prinzip der Technik? Um diese Frage zu beantworten, gilt es, einen kurzen Umweg zu nehmen, der uns auf das Gebiet der Physio¬ logie und der Psychologie sühren wird. Die Physiologie der Sinnesorgane lehrt, daß, wenn die Dinge und Kräfte der Außenwelt mit unseren Sinnes¬ organen in Berührung kommen, sie durch Vermittelung der Sinnesnerven in unserer Seele Empfindungen erregen und Vorstellungen erzeugen, die qualitativ unabhängig sind von der Natur der erregenden Ursache. Wir empfinden Licht, wenn Aetherschwingungen die Ausbreitung des Sehnerven in unserm Auge treffen. Aber dieselben Aetherwellen, welche wir mittels unseres Sehorganes als Licht wahrnehmen, erregen in uns, wenn sie die Haut treffen, die Empfin¬ dung von Wärme, und die Aetherwellen, welche wir durch die Haut als Schwirren wahrnehmen — das Gehörorgan vermittelt sie uns als Ton. Wir können auch ein und dieselbe Erregungsursache durch alle unsere Sinnesorgane zugleich empfinden. Den elektrischen Reiz empfinden wir mittels des Sehorganes als Blitz, mittels des Gehörorganes als Ton oder Sausen, mittels der Haut als Prickeln oder stechenden Schmerz; mittels der Zunge erhalten wir einen Metallgeschmack und durch die Nase Ozongeruch. Ein Schlag auf den Kopf, der uns, wie man zu sagen Pflegt, Hören und Sehen vergehen macht, erregt ganz im Gegentheil gleichzeitig die Empfindung von Licht, Ton und Schmerz. Grenzboten II. 1379. v

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/45>, abgerufen am 30.04.2024.