Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Haft entlassen werden, sagte es, aber wir schließen ihn vom politischen Leben
aus -- eine Wendung, welche die richtige Antwort auf die Herausforderung
der Bordelesen war, aber wieder ihre schwache Seite hatte. Denn das Kabinet
that, als habe es seinen Entschluß erst im letzten Augenblicke gefaßt, sodaß
Viele, als die Kammer über die Frage abstimmte, ob Blanqui zuzulassen sei
oder nicht, glauben konnten, die Freilassung des Zurückgewiesenen werde nnn
sofort erfolgen, und als dies nicht geschah, die Regierung habe das Votum der
Kammer erschlichen, und letztere sei hintergangen worden. Selbst Gambetta's
Organ deutet das an und macht das Kabinet für einen unvermeidlichen
Konflikt verantwortlich, wenn Blanqui in Bordeaux noch einmal gewählt wird.
Von seinem Standpunkte, mit seiner Absicht, das Ministerium Waddington zu
beerben, wenn es sich genügend durch scheinbares oder wirkliches Ungeschick
diskreditirt haben wird, thut er daran ganz recht. Die Solidität der Republik
aber wird durch sein Verhalten gewiß nicht gefördert.

Nachschrift,

Seitdem das Vorstehende geschrieben, hat der Senat sich
in der Angelegenheit der Zurückverlegung der gesetzgebenden Körperschaften nach
Paris schlüssig gemacht. Die Verhandlung erledigte die Sache mit schwacher
Majorität in bejahendem Sinne, und so bedürfte es zur endgiltigen Entscheidung
der Frage, da es sich um eine Verfassungsünderimg handelte, nur noch der
Zustimmung des aus beiden Kammern gebildeten Kongresses, der in voriger
Woche zusammentrat und die vorgeschlagene Abänderung der Verfassung mit
einer Majorität von 548 gegen 262 Stimmen annahm. Das für die Regierung
günstige Resultat der Abstimmung im Senat ist wohl durch die etwas ent¬
schiedenere Haltung erzielt worden, welche das Kabinet einnahm, indem
Waddington ausdrücklich erklärte, daß die Regierung die Verantwortlichkeit für
die Aufrechthaltung der Ordnung übernehme. Der dem Kongreß zu unter¬
breitende Entwurf hat folgenden Wortlaut: "Der Artikel des Verfassungsge¬
setzes (derselbe bestimmt, daß Versailles Sitz der Exekutivgewalt und der beiden
Kammern ist) wird abgeschafft. Ueber den Sitz der vollziehenden Gewalt und
der beiden Kammern soll durch ein Gesetz Bestimmung getroffen werden. Bis
dahin dauert der gegenwärtige Zustand fort." Dieses besondere Gesetz, zugleich
Garantiegesetz genannt, hat nach dem Entwürfe der Regierung folgenden Haupt¬
inhalt. Der Sitz des Kongresses bleibt in Versailles. Beide Kammern nehmen
gleichzeitig ihren Sitz in Paris, behalten jedoch ihre Lokale in Versailles bei.
Unter der Autorität des Präsidenten und der Quästoren einer jeden der beiden
Kammern wird eine besondere Legion zum Schutze des Parlamentes gebildet.
Vier Kompagnieen Gendarmerie werden dem Senat und vier dem Abgeordneten¬
hause zur Verfügung gestellt. Besondere Vorkehrungen werden endlich zur
Verhütung von Aufkäufer vor den Parlamentsgebüuden getroffen. In einem


Grenzboten II. 1379. 63

Haft entlassen werden, sagte es, aber wir schließen ihn vom politischen Leben
aus — eine Wendung, welche die richtige Antwort auf die Herausforderung
der Bordelesen war, aber wieder ihre schwache Seite hatte. Denn das Kabinet
that, als habe es seinen Entschluß erst im letzten Augenblicke gefaßt, sodaß
Viele, als die Kammer über die Frage abstimmte, ob Blanqui zuzulassen sei
oder nicht, glauben konnten, die Freilassung des Zurückgewiesenen werde nnn
sofort erfolgen, und als dies nicht geschah, die Regierung habe das Votum der
Kammer erschlichen, und letztere sei hintergangen worden. Selbst Gambetta's
Organ deutet das an und macht das Kabinet für einen unvermeidlichen
Konflikt verantwortlich, wenn Blanqui in Bordeaux noch einmal gewählt wird.
Von seinem Standpunkte, mit seiner Absicht, das Ministerium Waddington zu
beerben, wenn es sich genügend durch scheinbares oder wirkliches Ungeschick
diskreditirt haben wird, thut er daran ganz recht. Die Solidität der Republik
aber wird durch sein Verhalten gewiß nicht gefördert.

Nachschrift,

Seitdem das Vorstehende geschrieben, hat der Senat sich
in der Angelegenheit der Zurückverlegung der gesetzgebenden Körperschaften nach
Paris schlüssig gemacht. Die Verhandlung erledigte die Sache mit schwacher
Majorität in bejahendem Sinne, und so bedürfte es zur endgiltigen Entscheidung
der Frage, da es sich um eine Verfassungsünderimg handelte, nur noch der
Zustimmung des aus beiden Kammern gebildeten Kongresses, der in voriger
Woche zusammentrat und die vorgeschlagene Abänderung der Verfassung mit
einer Majorität von 548 gegen 262 Stimmen annahm. Das für die Regierung
günstige Resultat der Abstimmung im Senat ist wohl durch die etwas ent¬
schiedenere Haltung erzielt worden, welche das Kabinet einnahm, indem
Waddington ausdrücklich erklärte, daß die Regierung die Verantwortlichkeit für
die Aufrechthaltung der Ordnung übernehme. Der dem Kongreß zu unter¬
breitende Entwurf hat folgenden Wortlaut: „Der Artikel des Verfassungsge¬
setzes (derselbe bestimmt, daß Versailles Sitz der Exekutivgewalt und der beiden
Kammern ist) wird abgeschafft. Ueber den Sitz der vollziehenden Gewalt und
der beiden Kammern soll durch ein Gesetz Bestimmung getroffen werden. Bis
dahin dauert der gegenwärtige Zustand fort." Dieses besondere Gesetz, zugleich
Garantiegesetz genannt, hat nach dem Entwürfe der Regierung folgenden Haupt¬
inhalt. Der Sitz des Kongresses bleibt in Versailles. Beide Kammern nehmen
gleichzeitig ihren Sitz in Paris, behalten jedoch ihre Lokale in Versailles bei.
Unter der Autorität des Präsidenten und der Quästoren einer jeden der beiden
Kammern wird eine besondere Legion zum Schutze des Parlamentes gebildet.
Vier Kompagnieen Gendarmerie werden dem Senat und vier dem Abgeordneten¬
hause zur Verfügung gestellt. Besondere Vorkehrungen werden endlich zur
Verhütung von Aufkäufer vor den Parlamentsgebüuden getroffen. In einem


Grenzboten II. 1379. 63
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0497" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142452"/>
          <p xml:id="ID_1504" prev="#ID_1503"> Haft entlassen werden, sagte es, aber wir schließen ihn vom politischen Leben<lb/>
aus &#x2014; eine Wendung, welche die richtige Antwort auf die Herausforderung<lb/>
der Bordelesen war, aber wieder ihre schwache Seite hatte. Denn das Kabinet<lb/>
that, als habe es seinen Entschluß erst im letzten Augenblicke gefaßt, sodaß<lb/>
Viele, als die Kammer über die Frage abstimmte, ob Blanqui zuzulassen sei<lb/>
oder nicht, glauben konnten, die Freilassung des Zurückgewiesenen werde nnn<lb/>
sofort erfolgen, und als dies nicht geschah, die Regierung habe das Votum der<lb/>
Kammer erschlichen, und letztere sei hintergangen worden. Selbst Gambetta's<lb/>
Organ deutet das an und macht das Kabinet für einen unvermeidlichen<lb/>
Konflikt verantwortlich, wenn Blanqui in Bordeaux noch einmal gewählt wird.<lb/>
Von seinem Standpunkte, mit seiner Absicht, das Ministerium Waddington zu<lb/>
beerben, wenn es sich genügend durch scheinbares oder wirkliches Ungeschick<lb/>
diskreditirt haben wird, thut er daran ganz recht. Die Solidität der Republik<lb/>
aber wird durch sein Verhalten gewiß nicht gefördert.</p><lb/>
          <div n="2">
            <head> Nachschrift,</head>
            <p xml:id="ID_1505" next="#ID_1506"> Seitdem das Vorstehende geschrieben, hat der Senat sich<lb/>
in der Angelegenheit der Zurückverlegung der gesetzgebenden Körperschaften nach<lb/>
Paris schlüssig gemacht. Die Verhandlung erledigte die Sache mit schwacher<lb/>
Majorität in bejahendem Sinne, und so bedürfte es zur endgiltigen Entscheidung<lb/>
der Frage, da es sich um eine Verfassungsünderimg handelte, nur noch der<lb/>
Zustimmung des aus beiden Kammern gebildeten Kongresses, der in voriger<lb/>
Woche zusammentrat und die vorgeschlagene Abänderung der Verfassung mit<lb/>
einer Majorität von 548 gegen 262 Stimmen annahm. Das für die Regierung<lb/>
günstige Resultat der Abstimmung im Senat ist wohl durch die etwas ent¬<lb/>
schiedenere Haltung erzielt worden, welche das Kabinet einnahm, indem<lb/>
Waddington ausdrücklich erklärte, daß die Regierung die Verantwortlichkeit für<lb/>
die Aufrechthaltung der Ordnung übernehme. Der dem Kongreß zu unter¬<lb/>
breitende Entwurf hat folgenden Wortlaut: &#x201E;Der Artikel des Verfassungsge¬<lb/>
setzes (derselbe bestimmt, daß Versailles Sitz der Exekutivgewalt und der beiden<lb/>
Kammern ist) wird abgeschafft. Ueber den Sitz der vollziehenden Gewalt und<lb/>
der beiden Kammern soll durch ein Gesetz Bestimmung getroffen werden. Bis<lb/>
dahin dauert der gegenwärtige Zustand fort." Dieses besondere Gesetz, zugleich<lb/>
Garantiegesetz genannt, hat nach dem Entwürfe der Regierung folgenden Haupt¬<lb/>
inhalt. Der Sitz des Kongresses bleibt in Versailles. Beide Kammern nehmen<lb/>
gleichzeitig ihren Sitz in Paris, behalten jedoch ihre Lokale in Versailles bei.<lb/>
Unter der Autorität des Präsidenten und der Quästoren einer jeden der beiden<lb/>
Kammern wird eine besondere Legion zum Schutze des Parlamentes gebildet.<lb/>
Vier Kompagnieen Gendarmerie werden dem Senat und vier dem Abgeordneten¬<lb/>
hause zur Verfügung gestellt. Besondere Vorkehrungen werden endlich zur<lb/>
Verhütung von Aufkäufer vor den Parlamentsgebüuden getroffen. In einem</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1379. 63</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0497] Haft entlassen werden, sagte es, aber wir schließen ihn vom politischen Leben aus — eine Wendung, welche die richtige Antwort auf die Herausforderung der Bordelesen war, aber wieder ihre schwache Seite hatte. Denn das Kabinet that, als habe es seinen Entschluß erst im letzten Augenblicke gefaßt, sodaß Viele, als die Kammer über die Frage abstimmte, ob Blanqui zuzulassen sei oder nicht, glauben konnten, die Freilassung des Zurückgewiesenen werde nnn sofort erfolgen, und als dies nicht geschah, die Regierung habe das Votum der Kammer erschlichen, und letztere sei hintergangen worden. Selbst Gambetta's Organ deutet das an und macht das Kabinet für einen unvermeidlichen Konflikt verantwortlich, wenn Blanqui in Bordeaux noch einmal gewählt wird. Von seinem Standpunkte, mit seiner Absicht, das Ministerium Waddington zu beerben, wenn es sich genügend durch scheinbares oder wirkliches Ungeschick diskreditirt haben wird, thut er daran ganz recht. Die Solidität der Republik aber wird durch sein Verhalten gewiß nicht gefördert. Nachschrift, Seitdem das Vorstehende geschrieben, hat der Senat sich in der Angelegenheit der Zurückverlegung der gesetzgebenden Körperschaften nach Paris schlüssig gemacht. Die Verhandlung erledigte die Sache mit schwacher Majorität in bejahendem Sinne, und so bedürfte es zur endgiltigen Entscheidung der Frage, da es sich um eine Verfassungsünderimg handelte, nur noch der Zustimmung des aus beiden Kammern gebildeten Kongresses, der in voriger Woche zusammentrat und die vorgeschlagene Abänderung der Verfassung mit einer Majorität von 548 gegen 262 Stimmen annahm. Das für die Regierung günstige Resultat der Abstimmung im Senat ist wohl durch die etwas ent¬ schiedenere Haltung erzielt worden, welche das Kabinet einnahm, indem Waddington ausdrücklich erklärte, daß die Regierung die Verantwortlichkeit für die Aufrechthaltung der Ordnung übernehme. Der dem Kongreß zu unter¬ breitende Entwurf hat folgenden Wortlaut: „Der Artikel des Verfassungsge¬ setzes (derselbe bestimmt, daß Versailles Sitz der Exekutivgewalt und der beiden Kammern ist) wird abgeschafft. Ueber den Sitz der vollziehenden Gewalt und der beiden Kammern soll durch ein Gesetz Bestimmung getroffen werden. Bis dahin dauert der gegenwärtige Zustand fort." Dieses besondere Gesetz, zugleich Garantiegesetz genannt, hat nach dem Entwürfe der Regierung folgenden Haupt¬ inhalt. Der Sitz des Kongresses bleibt in Versailles. Beide Kammern nehmen gleichzeitig ihren Sitz in Paris, behalten jedoch ihre Lokale in Versailles bei. Unter der Autorität des Präsidenten und der Quästoren einer jeden der beiden Kammern wird eine besondere Legion zum Schutze des Parlamentes gebildet. Vier Kompagnieen Gendarmerie werden dem Senat und vier dem Abgeordneten¬ hause zur Verfügung gestellt. Besondere Vorkehrungen werden endlich zur Verhütung von Aufkäufer vor den Parlamentsgebüuden getroffen. In einem Grenzboten II. 1379. 63

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/497
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/497>, abgerufen am 01.05.2024.