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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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eben einladend für ihn, um ihn nach einer Neuanknüpfung feiner hiesigen Be¬
ziehungen streben zu lassen. Wenn man von Karatheodory Pascha absieht und
von der durch den britischen und französischen Botschafter ihm zugewendeten
Gunst, befand sich Khereddin hier in isolirter Stellung und mitten unter Feinden
ohne Freund. In Erwiederung auf die Bemerkung eines hiesigen Diplomaten,
wie bedauernswerth es doch sei, daß ein von so guten Absichten geleiteter
Staatsmann wie Khereddin Pascha gleichwohl von allen Seiten angebellt werde,
soll der Sultan, anspielend auf die Eigenart der herrenlosen Stambuler Hunde,
keinen fremden Hund in ihrem Bezirk zu dulden, geäußert haben: "Er gehörte
nicht zu den Hunden der Mahalle."




Koetlje und Mse Schönemann.
i.

Vor einigen Monaten ist ein Büchlein über "Lili", die Jugendgeliebte
Goethe's aus seiner letzten Frankfurter Zeit, erschienen: Lilli's Bild geschichtlich
entworfen von Graf Ferdinand Eckbrecht v. Dürckheim (Nördlingen,
Beck, 1879). Der Verfasser desselben ist der Gemahl einer Enkelin Lili's; im
Todesjahre Goethe's hat er die Tochter von Lili's ältestem Sohne geheirathet.
Kindliche Pietät hat ihm, wie er selber sagt, die Feder in die Hand gegeben und
den Muth verliehen, gestützt auf Familienerinnerungen und Briefe der Großmutter,
dem Bilde, welches Goethe selbst in "Dichtung und Wahrheit" von der Jugend¬
geliebten entworfen, ein andres, treueres an die Seite zu stellen.

Die Kritik ist dem Buche bisher, wie uns scheint, nicht ganz gerecht geworden.*)
Man hat es eine dilettantische Leistung genannt, die einen gewissen aristokratischen
Tie zur Schau trage, und dann -- das Schlimmste nach Ranke, was einem
geschichtlichen Werke nachgesagt werden kann --: es enthalte doch eigentlich
nichts Neues. Von diesen Urtheilen ist das erste allerdings kaum anzufechten.
Der Verfasser ist jedenfalls kein Held der Feder, viel weniger ein wissenschaftlich
geschulter Literarhistoriker.^) Was er zu sagen hatte, hat er zwar leidlich




") Das neueste (August-)Heft von "Nord und Süd" enthält einen Aufsatz aus der Feder
Anm. d. Red, von F. v. Wenns, der eine erfreuliche Ausnahme bildet, "
**) Auf S. 3 zitirt der Verfasser einen Ausspruch, den "der greise Wieland über
Goethe gethan. Dieser "greise Wiclnnd" war, als er jene Worte sprach, netto 42 Jahre alt!
Grenzboten III. 1879. 4V

eben einladend für ihn, um ihn nach einer Neuanknüpfung feiner hiesigen Be¬
ziehungen streben zu lassen. Wenn man von Karatheodory Pascha absieht und
von der durch den britischen und französischen Botschafter ihm zugewendeten
Gunst, befand sich Khereddin hier in isolirter Stellung und mitten unter Feinden
ohne Freund. In Erwiederung auf die Bemerkung eines hiesigen Diplomaten,
wie bedauernswerth es doch sei, daß ein von so guten Absichten geleiteter
Staatsmann wie Khereddin Pascha gleichwohl von allen Seiten angebellt werde,
soll der Sultan, anspielend auf die Eigenart der herrenlosen Stambuler Hunde,
keinen fremden Hund in ihrem Bezirk zu dulden, geäußert haben: „Er gehörte
nicht zu den Hunden der Mahalle."




Koetlje und Mse Schönemann.
i.

Vor einigen Monaten ist ein Büchlein über „Lili", die Jugendgeliebte
Goethe's aus seiner letzten Frankfurter Zeit, erschienen: Lilli's Bild geschichtlich
entworfen von Graf Ferdinand Eckbrecht v. Dürckheim (Nördlingen,
Beck, 1879). Der Verfasser desselben ist der Gemahl einer Enkelin Lili's; im
Todesjahre Goethe's hat er die Tochter von Lili's ältestem Sohne geheirathet.
Kindliche Pietät hat ihm, wie er selber sagt, die Feder in die Hand gegeben und
den Muth verliehen, gestützt auf Familienerinnerungen und Briefe der Großmutter,
dem Bilde, welches Goethe selbst in „Dichtung und Wahrheit" von der Jugend¬
geliebten entworfen, ein andres, treueres an die Seite zu stellen.

Die Kritik ist dem Buche bisher, wie uns scheint, nicht ganz gerecht geworden.*)
Man hat es eine dilettantische Leistung genannt, die einen gewissen aristokratischen
Tie zur Schau trage, und dann — das Schlimmste nach Ranke, was einem
geschichtlichen Werke nachgesagt werden kann —: es enthalte doch eigentlich
nichts Neues. Von diesen Urtheilen ist das erste allerdings kaum anzufechten.
Der Verfasser ist jedenfalls kein Held der Feder, viel weniger ein wissenschaftlich
geschulter Literarhistoriker.^) Was er zu sagen hatte, hat er zwar leidlich




») Das neueste (August-)Heft von „Nord und Süd" enthält einen Aufsatz aus der Feder
Anm. d. Red, von F. v. Wenns, der eine erfreuliche Ausnahme bildet, "
**) Auf S. 3 zitirt der Verfasser einen Ausspruch, den „der greise Wieland über
Goethe gethan. Dieser „greise Wiclnnd" war, als er jene Worte sprach, netto 42 Jahre alt!
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[0311] eben einladend für ihn, um ihn nach einer Neuanknüpfung feiner hiesigen Be¬ ziehungen streben zu lassen. Wenn man von Karatheodory Pascha absieht und von der durch den britischen und französischen Botschafter ihm zugewendeten Gunst, befand sich Khereddin hier in isolirter Stellung und mitten unter Feinden ohne Freund. In Erwiederung auf die Bemerkung eines hiesigen Diplomaten, wie bedauernswerth es doch sei, daß ein von so guten Absichten geleiteter Staatsmann wie Khereddin Pascha gleichwohl von allen Seiten angebellt werde, soll der Sultan, anspielend auf die Eigenart der herrenlosen Stambuler Hunde, keinen fremden Hund in ihrem Bezirk zu dulden, geäußert haben: „Er gehörte nicht zu den Hunden der Mahalle." Koetlje und Mse Schönemann. i. Vor einigen Monaten ist ein Büchlein über „Lili", die Jugendgeliebte Goethe's aus seiner letzten Frankfurter Zeit, erschienen: Lilli's Bild geschichtlich entworfen von Graf Ferdinand Eckbrecht v. Dürckheim (Nördlingen, Beck, 1879). Der Verfasser desselben ist der Gemahl einer Enkelin Lili's; im Todesjahre Goethe's hat er die Tochter von Lili's ältestem Sohne geheirathet. Kindliche Pietät hat ihm, wie er selber sagt, die Feder in die Hand gegeben und den Muth verliehen, gestützt auf Familienerinnerungen und Briefe der Großmutter, dem Bilde, welches Goethe selbst in „Dichtung und Wahrheit" von der Jugend¬ geliebten entworfen, ein andres, treueres an die Seite zu stellen. Die Kritik ist dem Buche bisher, wie uns scheint, nicht ganz gerecht geworden.*) Man hat es eine dilettantische Leistung genannt, die einen gewissen aristokratischen Tie zur Schau trage, und dann — das Schlimmste nach Ranke, was einem geschichtlichen Werke nachgesagt werden kann —: es enthalte doch eigentlich nichts Neues. Von diesen Urtheilen ist das erste allerdings kaum anzufechten. Der Verfasser ist jedenfalls kein Held der Feder, viel weniger ein wissenschaftlich geschulter Literarhistoriker.^) Was er zu sagen hatte, hat er zwar leidlich ») Das neueste (August-)Heft von „Nord und Süd" enthält einen Aufsatz aus der Feder Anm. d. Red, von F. v. Wenns, der eine erfreuliche Ausnahme bildet, " **) Auf S. 3 zitirt der Verfasser einen Ausspruch, den „der greise Wieland über Goethe gethan. Dieser „greise Wiclnnd" war, als er jene Worte sprach, netto 42 Jahre alt! Grenzboten III. 1879. 4V

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/311>, abgerufen am 03.05.2024.