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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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MttKamer und die preußische Volksschule.

Tief zu beklagen ist es, daß beim Herannahen der preußischen Landtags¬
wahlen von gewisser Seite schleunigst die Schule zum Gegenstande politischer
Agitation gemacht wird. Die vielbesprochene Tischrede in Kostin hatte Anlaß
gegeben, den Gegensatz der Systeme Falk und Puttkamer zu konstruiren und
es als ausgemacht hinzustellen, daß sich "das System Puttkamer dem noch in
frischem Andenken stehenden System Muster würdig anschließen werde". Als
der richtig gestellte Wortlaut der Rede diesen Kombinationen die Unterlage entzog,
hatte man nichtsdestoweniger Recht gehabt, erfand das Schlagwort "Versumpfung
der Schule" und bezeichnete es als eine Aufgabe der Opposition, diese Versum¬
pfung zu verhüten. Wir möchten den Herren anheimgeben, sich die Volksschule
zuvor doch etwas näher anzusehen -- nicht wie Herr Laster sich von seinem
Dienstmädchen die Petroleumfrage klarlegen läßt -- sondern etwas gründlicher
und an der Hand sachverständiger Erfahrung.

Es wird befremdlich klingen, und doch ist es die einfache Wahrheit, daß
die Gegensätze Muster, Falk und Puttkamer innerhalb der Schule gar nicht in
der Weise vorhanden sind, wie man sie außerhalb derselben mit Eifer Pflegt.
Was der Schule noththut, läßt sich keineswegs unter die Schlagworte Vorwärts
und Rückwärts, Liberalismus und Reaktion bringen.

Die Stiel'schen Regulative schreiben vor: "Die Schule schließe sich dem
Leben und seinen Bedürfnissen an, sie hat nicht einem abstrakten Systeme oder
einem Gedanken der Wissenschaft, sondern dem praktischen Leben in Kirche,
Familie, Beruf, Gemeinde und Staat zu dienen. Die Methode ist nur ein
Mittel, welches keinen selbständigen Werth hat. Die formelle Bildung ergiebt
sich durch Verständniß und Uebung des berechtigten Inhaltes von selbst. Es
kommt beim Lehrplane auf richtige Auswahl und feste Begrenzung der Unter¬
richtsgegenstände an. Keinesfalls darf der Lehrinhalt über die Grenzen eines
zu erreichenden vollen Verständnisses hinausgedehnt werden. Die Kraft soll
bis zum Können und zur selbständigen Freiheit geübt werden. Das Gelehrte


Grenzboten III. 1879. L0
MttKamer und die preußische Volksschule.

Tief zu beklagen ist es, daß beim Herannahen der preußischen Landtags¬
wahlen von gewisser Seite schleunigst die Schule zum Gegenstande politischer
Agitation gemacht wird. Die vielbesprochene Tischrede in Kostin hatte Anlaß
gegeben, den Gegensatz der Systeme Falk und Puttkamer zu konstruiren und
es als ausgemacht hinzustellen, daß sich „das System Puttkamer dem noch in
frischem Andenken stehenden System Muster würdig anschließen werde". Als
der richtig gestellte Wortlaut der Rede diesen Kombinationen die Unterlage entzog,
hatte man nichtsdestoweniger Recht gehabt, erfand das Schlagwort „Versumpfung
der Schule" und bezeichnete es als eine Aufgabe der Opposition, diese Versum¬
pfung zu verhüten. Wir möchten den Herren anheimgeben, sich die Volksschule
zuvor doch etwas näher anzusehen — nicht wie Herr Laster sich von seinem
Dienstmädchen die Petroleumfrage klarlegen läßt — sondern etwas gründlicher
und an der Hand sachverständiger Erfahrung.

Es wird befremdlich klingen, und doch ist es die einfache Wahrheit, daß
die Gegensätze Muster, Falk und Puttkamer innerhalb der Schule gar nicht in
der Weise vorhanden sind, wie man sie außerhalb derselben mit Eifer Pflegt.
Was der Schule noththut, läßt sich keineswegs unter die Schlagworte Vorwärts
und Rückwärts, Liberalismus und Reaktion bringen.

Die Stiel'schen Regulative schreiben vor: „Die Schule schließe sich dem
Leben und seinen Bedürfnissen an, sie hat nicht einem abstrakten Systeme oder
einem Gedanken der Wissenschaft, sondern dem praktischen Leben in Kirche,
Familie, Beruf, Gemeinde und Staat zu dienen. Die Methode ist nur ein
Mittel, welches keinen selbständigen Werth hat. Die formelle Bildung ergiebt
sich durch Verständniß und Uebung des berechtigten Inhaltes von selbst. Es
kommt beim Lehrplane auf richtige Auswahl und feste Begrenzung der Unter¬
richtsgegenstände an. Keinesfalls darf der Lehrinhalt über die Grenzen eines
zu erreichenden vollen Verständnisses hinausgedehnt werden. Die Kraft soll
bis zum Können und zur selbständigen Freiheit geübt werden. Das Gelehrte


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[0391] MttKamer und die preußische Volksschule. Tief zu beklagen ist es, daß beim Herannahen der preußischen Landtags¬ wahlen von gewisser Seite schleunigst die Schule zum Gegenstande politischer Agitation gemacht wird. Die vielbesprochene Tischrede in Kostin hatte Anlaß gegeben, den Gegensatz der Systeme Falk und Puttkamer zu konstruiren und es als ausgemacht hinzustellen, daß sich „das System Puttkamer dem noch in frischem Andenken stehenden System Muster würdig anschließen werde". Als der richtig gestellte Wortlaut der Rede diesen Kombinationen die Unterlage entzog, hatte man nichtsdestoweniger Recht gehabt, erfand das Schlagwort „Versumpfung der Schule" und bezeichnete es als eine Aufgabe der Opposition, diese Versum¬ pfung zu verhüten. Wir möchten den Herren anheimgeben, sich die Volksschule zuvor doch etwas näher anzusehen — nicht wie Herr Laster sich von seinem Dienstmädchen die Petroleumfrage klarlegen läßt — sondern etwas gründlicher und an der Hand sachverständiger Erfahrung. Es wird befremdlich klingen, und doch ist es die einfache Wahrheit, daß die Gegensätze Muster, Falk und Puttkamer innerhalb der Schule gar nicht in der Weise vorhanden sind, wie man sie außerhalb derselben mit Eifer Pflegt. Was der Schule noththut, läßt sich keineswegs unter die Schlagworte Vorwärts und Rückwärts, Liberalismus und Reaktion bringen. Die Stiel'schen Regulative schreiben vor: „Die Schule schließe sich dem Leben und seinen Bedürfnissen an, sie hat nicht einem abstrakten Systeme oder einem Gedanken der Wissenschaft, sondern dem praktischen Leben in Kirche, Familie, Beruf, Gemeinde und Staat zu dienen. Die Methode ist nur ein Mittel, welches keinen selbständigen Werth hat. Die formelle Bildung ergiebt sich durch Verständniß und Uebung des berechtigten Inhaltes von selbst. Es kommt beim Lehrplane auf richtige Auswahl und feste Begrenzung der Unter¬ richtsgegenstände an. Keinesfalls darf der Lehrinhalt über die Grenzen eines zu erreichenden vollen Verständnisses hinausgedehnt werden. Die Kraft soll bis zum Können und zur selbständigen Freiheit geübt werden. Das Gelehrte Grenzboten III. 1879. L0

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/391>, abgerufen am 03.05.2024.