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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Streit kommt mir vor wie die Anetoote, wo der Eckensteher erzählt: Gestern
Abend sind wir bei Renneliovm. Da kommt Lehmann und schimpft mir
Fcinchon. Ich steche ihm Eine. Lehmann ist aber nicht faul und sticht mir
wieder Eine. Wie wir nun im besten Stechen sind, kommt Renneboom, sticht
uns alle beide Eine und schmeißt uns 'raus. Sie sehen, lieber Freund, Ihr
Kaiser ist ans dem besten Wege, ein europäischer Rennebvom zu werden. Er
sticht uns beiden Eine. Rausschmeißen aber lassen wir uns von ihm doch
nicht/ Ich hatte mir nicht träumen lassen, daß dieser Scherz unter Freunden
dem Kaiser zur Kenntniß kommen würde. Meine Briefe scheinen aber nun
einmal das Loos gehabt zu haben, in seine Hände zu gelangen. Als ich an
den etwas indiskreten Freund schrieb, und ihm die Aeußerung des Kaisers
mittheilte, erfuhr ich denn auch, daß sie sich wirklich auf jenes Scherzwort
bezog. Am sonderbarsten aber war wohl, daß der Kaiser mir dies in Olmütz,
drei Jahre nach der Konferenz sagte, die hier jener quizrsllö allsMMäs ein
Ende gemacht hatte."

Die Zeiten verändern sich, und wir verändern uns mit ihnen. Eine sehr
charakteristische Anekdote. Aber tkurxi xasLati! Schneider schrieb dies im
Juni 1864. Nach 1866 wird er sehr anders gedacht und gefühlt haben. Und
jetzt würde er sich über eine Einmischung Rußlands in unsere Angelegenheiten
nicht freuen. Glücklicherweise wäre sie auch unmöglich.




Literatur.
Oesterreich seit der Katastrophe Hohenwart-Beust. Bon Walter
Rogge. 2 Bände. Leipzig und Wien, F. A. Brockhaus, 187ö.

Eine alles Wissenswerthe umfassende Geschichte des im Tirel genannten
Zeitraumes läßt sich, was auch der Verfasser sagen möge, selbstverständlich
jetzt und auch in den nächsten Jahren nicht schreiben, weil die Diplomatie,
deren Arbeiten die Vorgänge gestalten halfen, hinter einem Vorhange thätig ist,
welchen die Gegenwart nur zu einem kleinen Theile zu lüften vermag. Noch
größer wird die Schwierigkeit, wenn ein Parteimann sich zum Geschichtschreiber
anschickt; denn dies erfordert objektive, also unparteiische Auffassung der Ver¬
hältnisse, Ereignisse und Persönlichkeiten, die in Betracht kommen. Nun ist
aber der Verfasser unseres Buches ein Parteimann von sehr ausgeprägter Art,
und so ergibt sich das Urtheil über sein Unternehmen von selbst. Seine Kritik
der Politik Andrassys ist völlig werthlos, weil mit Unkenntniß in Betreff der
Hauptfragen unternommen, und die witzelnden Ausfälle gegen den Fürsten
Bismarck, denen wir in seiner Darstellung gelegentlich begegnen, können nur
das Lächeln hervorrufen, das Unwissenheit mir Dreistigkeit gepaart zu erwecken
pflegt. Meist gut ist die chronikartige Uebersicht über die parlamentarischen
Vorgänge und andere leicht zu erkennende Ereignisse der Periode, in welcher
in den durch die habsburgisch-lothringensche Dynastie verbundenen beiden
Reichen der Föderalismus besiegt und der Kampf um den Ausgleich unter
Umgestaltung des Dualismus ausgefochten wurde, und in dieser Beziehung
läßt sich das Buch empfehlen, obschon es auch in diesen Partien mit Vorsicht
zu lesen sein wird.


Streit kommt mir vor wie die Anetoote, wo der Eckensteher erzählt: Gestern
Abend sind wir bei Renneliovm. Da kommt Lehmann und schimpft mir
Fcinchon. Ich steche ihm Eine. Lehmann ist aber nicht faul und sticht mir
wieder Eine. Wie wir nun im besten Stechen sind, kommt Renneboom, sticht
uns alle beide Eine und schmeißt uns 'raus. Sie sehen, lieber Freund, Ihr
Kaiser ist ans dem besten Wege, ein europäischer Rennebvom zu werden. Er
sticht uns beiden Eine. Rausschmeißen aber lassen wir uns von ihm doch
nicht/ Ich hatte mir nicht träumen lassen, daß dieser Scherz unter Freunden
dem Kaiser zur Kenntniß kommen würde. Meine Briefe scheinen aber nun
einmal das Loos gehabt zu haben, in seine Hände zu gelangen. Als ich an
den etwas indiskreten Freund schrieb, und ihm die Aeußerung des Kaisers
mittheilte, erfuhr ich denn auch, daß sie sich wirklich auf jenes Scherzwort
bezog. Am sonderbarsten aber war wohl, daß der Kaiser mir dies in Olmütz,
drei Jahre nach der Konferenz sagte, die hier jener quizrsllö allsMMäs ein
Ende gemacht hatte."

Die Zeiten verändern sich, und wir verändern uns mit ihnen. Eine sehr
charakteristische Anekdote. Aber tkurxi xasLati! Schneider schrieb dies im
Juni 1864. Nach 1866 wird er sehr anders gedacht und gefühlt haben. Und
jetzt würde er sich über eine Einmischung Rußlands in unsere Angelegenheiten
nicht freuen. Glücklicherweise wäre sie auch unmöglich.




Literatur.
Oesterreich seit der Katastrophe Hohenwart-Beust. Bon Walter
Rogge. 2 Bände. Leipzig und Wien, F. A. Brockhaus, 187ö.

Eine alles Wissenswerthe umfassende Geschichte des im Tirel genannten
Zeitraumes läßt sich, was auch der Verfasser sagen möge, selbstverständlich
jetzt und auch in den nächsten Jahren nicht schreiben, weil die Diplomatie,
deren Arbeiten die Vorgänge gestalten halfen, hinter einem Vorhange thätig ist,
welchen die Gegenwart nur zu einem kleinen Theile zu lüften vermag. Noch
größer wird die Schwierigkeit, wenn ein Parteimann sich zum Geschichtschreiber
anschickt; denn dies erfordert objektive, also unparteiische Auffassung der Ver¬
hältnisse, Ereignisse und Persönlichkeiten, die in Betracht kommen. Nun ist
aber der Verfasser unseres Buches ein Parteimann von sehr ausgeprägter Art,
und so ergibt sich das Urtheil über sein Unternehmen von selbst. Seine Kritik
der Politik Andrassys ist völlig werthlos, weil mit Unkenntniß in Betreff der
Hauptfragen unternommen, und die witzelnden Ausfälle gegen den Fürsten
Bismarck, denen wir in seiner Darstellung gelegentlich begegnen, können nur
das Lächeln hervorrufen, das Unwissenheit mir Dreistigkeit gepaart zu erwecken
pflegt. Meist gut ist die chronikartige Uebersicht über die parlamentarischen
Vorgänge und andere leicht zu erkennende Ereignisse der Periode, in welcher
in den durch die habsburgisch-lothringensche Dynastie verbundenen beiden
Reichen der Föderalismus besiegt und der Kampf um den Ausgleich unter
Umgestaltung des Dualismus ausgefochten wurde, und in dieser Beziehung
läßt sich das Buch empfehlen, obschon es auch in diesen Partien mit Vorsicht
zu lesen sein wird.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/388>, abgerufen am 05.05.2024.