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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Die albanesische Frage.

Der Berliner Kongreß, der den russisch-türkischen Krieg beendigte, hat einige
Bestimmungen getroffen, die noch der Ausführung bedürfen. Noch heute ist die
türkisch-griechische Grenzregulirung eine Frage, die der thatsächlichen Lösung
harrt, und noch heute ist Montenegro nicht in den Besitz aller der Gebiets¬
theile gelangt, die ihm jene Diplomatenversammlung zugesprochen. Der Haupt¬
grund davon ist in beiden Fällen die Abneigung der Albanesen, sich die in
Berlin in Betreff ihres Landes vereinbarten neuen Grenzen gefallen zu lassen,
ein Widerstreben, das von der Pforte im Stillen unterstützt wird. Wir wollen
hier nur den ersten Fall betrachten, da er in den letzten Wochen mehr in den
Vordergrund getreten ist.

Das Gebirgs- und Küstenland Albanien, in der Sprache seiner Bewohner
Skiperi, von den Türken Arnaud genannt, hat eine Länge von etwa 450 und
eine durchschnittliche Breite von ungefähr 110 Kilometern. Die Bergketten, die
es durchziehen, find felsig und schlnchtenreich, in den Thalebenen gedeihen Süd¬
früchte und selbst die Dattelpalme. Die Flüsse sind meist von kurzem Laufe
und nur mit Kähnen zu befahren, die drei großen Landseen bei Skutari, Ochrida
und Janina von ziemlich weiten Strecken fruchtbaren Landes umgeben. Poli¬
tisch zerfüllt die Provinz in eine nördliche und eine südliche Hülste, das Vilajet
Skutari und das Vilajet Janina. Von den größeren Stüdten liegen Durazzo,
Avlona und Prevesa an der Küste, Skutari, Kruja, Berat, Area, Prisrend,
Ochrida und Janina im Binnenlande.

Die Bewohner Albaniens, ungefähr 2'/z Millionen an Zahl, gehören theils
dem illyrischen, theils dem griechischen Völkerstamme an. Die Griechen wohnen
meist im Süden und in einigen Küstenorten, die Jllyrier, Arnauten oder Skipe-
taren, im Ganzen ungefähr anderthalb Millionen Köpfe stark, haben fast ohne
Beimischung anderer Elemente den Norden inne und scheiden sich nach Sprache
und Sitte streng von den Serben der Nachbarländer Montenegro und Bosnien.
Sie theilen sich in zwei Hauptstämme, die Tosken, die im Süden, und die Gegen,


Grenzboten II. 1830. 46
Die albanesische Frage.

Der Berliner Kongreß, der den russisch-türkischen Krieg beendigte, hat einige
Bestimmungen getroffen, die noch der Ausführung bedürfen. Noch heute ist die
türkisch-griechische Grenzregulirung eine Frage, die der thatsächlichen Lösung
harrt, und noch heute ist Montenegro nicht in den Besitz aller der Gebiets¬
theile gelangt, die ihm jene Diplomatenversammlung zugesprochen. Der Haupt¬
grund davon ist in beiden Fällen die Abneigung der Albanesen, sich die in
Berlin in Betreff ihres Landes vereinbarten neuen Grenzen gefallen zu lassen,
ein Widerstreben, das von der Pforte im Stillen unterstützt wird. Wir wollen
hier nur den ersten Fall betrachten, da er in den letzten Wochen mehr in den
Vordergrund getreten ist.

Das Gebirgs- und Küstenland Albanien, in der Sprache seiner Bewohner
Skiperi, von den Türken Arnaud genannt, hat eine Länge von etwa 450 und
eine durchschnittliche Breite von ungefähr 110 Kilometern. Die Bergketten, die
es durchziehen, find felsig und schlnchtenreich, in den Thalebenen gedeihen Süd¬
früchte und selbst die Dattelpalme. Die Flüsse sind meist von kurzem Laufe
und nur mit Kähnen zu befahren, die drei großen Landseen bei Skutari, Ochrida
und Janina von ziemlich weiten Strecken fruchtbaren Landes umgeben. Poli¬
tisch zerfüllt die Provinz in eine nördliche und eine südliche Hülste, das Vilajet
Skutari und das Vilajet Janina. Von den größeren Stüdten liegen Durazzo,
Avlona und Prevesa an der Küste, Skutari, Kruja, Berat, Area, Prisrend,
Ochrida und Janina im Binnenlande.

Die Bewohner Albaniens, ungefähr 2'/z Millionen an Zahl, gehören theils
dem illyrischen, theils dem griechischen Völkerstamme an. Die Griechen wohnen
meist im Süden und in einigen Küstenorten, die Jllyrier, Arnauten oder Skipe-
taren, im Ganzen ungefähr anderthalb Millionen Köpfe stark, haben fast ohne
Beimischung anderer Elemente den Norden inne und scheiden sich nach Sprache
und Sitte streng von den Serben der Nachbarländer Montenegro und Bosnien.
Sie theilen sich in zwei Hauptstämme, die Tosken, die im Süden, und die Gegen,


Grenzboten II. 1830. 46
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[0357] Die albanesische Frage. Der Berliner Kongreß, der den russisch-türkischen Krieg beendigte, hat einige Bestimmungen getroffen, die noch der Ausführung bedürfen. Noch heute ist die türkisch-griechische Grenzregulirung eine Frage, die der thatsächlichen Lösung harrt, und noch heute ist Montenegro nicht in den Besitz aller der Gebiets¬ theile gelangt, die ihm jene Diplomatenversammlung zugesprochen. Der Haupt¬ grund davon ist in beiden Fällen die Abneigung der Albanesen, sich die in Berlin in Betreff ihres Landes vereinbarten neuen Grenzen gefallen zu lassen, ein Widerstreben, das von der Pforte im Stillen unterstützt wird. Wir wollen hier nur den ersten Fall betrachten, da er in den letzten Wochen mehr in den Vordergrund getreten ist. Das Gebirgs- und Küstenland Albanien, in der Sprache seiner Bewohner Skiperi, von den Türken Arnaud genannt, hat eine Länge von etwa 450 und eine durchschnittliche Breite von ungefähr 110 Kilometern. Die Bergketten, die es durchziehen, find felsig und schlnchtenreich, in den Thalebenen gedeihen Süd¬ früchte und selbst die Dattelpalme. Die Flüsse sind meist von kurzem Laufe und nur mit Kähnen zu befahren, die drei großen Landseen bei Skutari, Ochrida und Janina von ziemlich weiten Strecken fruchtbaren Landes umgeben. Poli¬ tisch zerfüllt die Provinz in eine nördliche und eine südliche Hülste, das Vilajet Skutari und das Vilajet Janina. Von den größeren Stüdten liegen Durazzo, Avlona und Prevesa an der Küste, Skutari, Kruja, Berat, Area, Prisrend, Ochrida und Janina im Binnenlande. Die Bewohner Albaniens, ungefähr 2'/z Millionen an Zahl, gehören theils dem illyrischen, theils dem griechischen Völkerstamme an. Die Griechen wohnen meist im Süden und in einigen Küstenorten, die Jllyrier, Arnauten oder Skipe- taren, im Ganzen ungefähr anderthalb Millionen Köpfe stark, haben fast ohne Beimischung anderer Elemente den Norden inne und scheiden sich nach Sprache und Sitte streng von den Serben der Nachbarländer Montenegro und Bosnien. Sie theilen sich in zwei Hauptstämme, die Tosken, die im Süden, und die Gegen, Grenzboten II. 1830. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/357>, abgerufen am 05.05.2024.