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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Wilhelm Scherer's Deutsche Ateraturgeschichte.

Zweck und Plan der neuen "Deutschen Literaturgeschichte", die Wilhelm
Scherer in Begriff ist, den Gebildeten unseres Volkes zu schenken, wird in der
Ankündigung auf dem Umschlage der vorliegenden ersten Lieferung denselben
mit wenigen Worten klar und bestimmt bezeichnet.*) Daß die mehr oder minder
ausführlichen Compendien, jene illustrirten oder nicht illustrirten Darstellungen
der Deutschen Literaturgeschichte, von deren zudringlichen Schwall unser Lese¬
publikum seit einer Reihe von Jahren förmlich überfluthet wird, nicht auf der
Hohe der heutigen Wissenschaft stehen, davon konnte und kann sich jeder
Kenner leicht überzeugen, der diese Bücher einmal durch- oder auch nur an¬
blätterte. In jedem derselben stößt man auf eine Menge veralteter Ansichten,
welche die Wissenschaft seit zwanzig und mehr Jahren über Bord geworfen
hat; nur äußerst selteu wird einmal aus den seitdem aufgegrabenen neuen
Quellen geschöpft. Auch die im vergangenen Jahre in neunzehnter Auflage er¬
schienene Geschichte der Deutschen Nationalliteratur von Vilmar, ein Buch, das,
abgesehen von der geschickt verhüllten reactionären Tendenz, einst streng wissen¬
schaftlichen Anforderungen genügte, ist durch die neuesten regen Forschungen
auf dem gesammten Gebiete der Deutschen Literaturwissenschaft bedeutend über¬
flügelt. So fehlte es denn bis zum heutigen Tage an einem Werke, das, aus
den Quellen selbst schöpfend und die sicheren Ergebnisse der Forschung bis auf
unsere Tage zusammenfassend, "in künstlerisch freier Anordnung, aber auf das
Wesentliche beschränkt, ein umfassendes und anschauliches Bild der geistigen Ent¬
wicklung unserer Nation zu geben versuchte".

Wenn einer unter den deutschen Philologen und Literarhistorikern durch
vielseitige, tiefeindringende Forschung und durch die zahlreichen neuen, fruchtbrin¬
genden Gesichtspunkte, die er aufgestellt, sich das Recht erworben hat, eine solche
vorläufig abschließende Gesamtdarstellung zu wagen, so ist es der Verfasser
des hier begonnenen Werkes. Giebt es doch kaum ein Jahrhundert germani¬
scher Sprach- und Kulturgeschichte, kaum eine Seite unseres geistigen, insbeson¬
dere unseres literarischen Lebens, die nicht von ihm, sei es durch streng metho¬
dische Untersuchung, sei es durch geistvolle vorläufige Bemerkungen, neues Licht
empfangen hätte.



") Geschichte der Deutschen Literatur vou Dr. Wilhelm Scherer, o. ö.
Professor der Deutschen Literaturgeschichte an der Universität Berlin. Berlin, Wevdmannsche
Buchhandlung, 1880. Erstes Heft 80 S.
Wilhelm Scherer's Deutsche Ateraturgeschichte.

Zweck und Plan der neuen „Deutschen Literaturgeschichte", die Wilhelm
Scherer in Begriff ist, den Gebildeten unseres Volkes zu schenken, wird in der
Ankündigung auf dem Umschlage der vorliegenden ersten Lieferung denselben
mit wenigen Worten klar und bestimmt bezeichnet.*) Daß die mehr oder minder
ausführlichen Compendien, jene illustrirten oder nicht illustrirten Darstellungen
der Deutschen Literaturgeschichte, von deren zudringlichen Schwall unser Lese¬
publikum seit einer Reihe von Jahren förmlich überfluthet wird, nicht auf der
Hohe der heutigen Wissenschaft stehen, davon konnte und kann sich jeder
Kenner leicht überzeugen, der diese Bücher einmal durch- oder auch nur an¬
blätterte. In jedem derselben stößt man auf eine Menge veralteter Ansichten,
welche die Wissenschaft seit zwanzig und mehr Jahren über Bord geworfen
hat; nur äußerst selteu wird einmal aus den seitdem aufgegrabenen neuen
Quellen geschöpft. Auch die im vergangenen Jahre in neunzehnter Auflage er¬
schienene Geschichte der Deutschen Nationalliteratur von Vilmar, ein Buch, das,
abgesehen von der geschickt verhüllten reactionären Tendenz, einst streng wissen¬
schaftlichen Anforderungen genügte, ist durch die neuesten regen Forschungen
auf dem gesammten Gebiete der Deutschen Literaturwissenschaft bedeutend über¬
flügelt. So fehlte es denn bis zum heutigen Tage an einem Werke, das, aus
den Quellen selbst schöpfend und die sicheren Ergebnisse der Forschung bis auf
unsere Tage zusammenfassend, „in künstlerisch freier Anordnung, aber auf das
Wesentliche beschränkt, ein umfassendes und anschauliches Bild der geistigen Ent¬
wicklung unserer Nation zu geben versuchte".

Wenn einer unter den deutschen Philologen und Literarhistorikern durch
vielseitige, tiefeindringende Forschung und durch die zahlreichen neuen, fruchtbrin¬
genden Gesichtspunkte, die er aufgestellt, sich das Recht erworben hat, eine solche
vorläufig abschließende Gesamtdarstellung zu wagen, so ist es der Verfasser
des hier begonnenen Werkes. Giebt es doch kaum ein Jahrhundert germani¬
scher Sprach- und Kulturgeschichte, kaum eine Seite unseres geistigen, insbeson¬
dere unseres literarischen Lebens, die nicht von ihm, sei es durch streng metho¬
dische Untersuchung, sei es durch geistvolle vorläufige Bemerkungen, neues Licht
empfangen hätte.



») Geschichte der Deutschen Literatur vou Dr. Wilhelm Scherer, o. ö.
Professor der Deutschen Literaturgeschichte an der Universität Berlin. Berlin, Wevdmannsche
Buchhandlung, 1880. Erstes Heft 80 S.
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[0559] Wilhelm Scherer's Deutsche Ateraturgeschichte. Zweck und Plan der neuen „Deutschen Literaturgeschichte", die Wilhelm Scherer in Begriff ist, den Gebildeten unseres Volkes zu schenken, wird in der Ankündigung auf dem Umschlage der vorliegenden ersten Lieferung denselben mit wenigen Worten klar und bestimmt bezeichnet.*) Daß die mehr oder minder ausführlichen Compendien, jene illustrirten oder nicht illustrirten Darstellungen der Deutschen Literaturgeschichte, von deren zudringlichen Schwall unser Lese¬ publikum seit einer Reihe von Jahren förmlich überfluthet wird, nicht auf der Hohe der heutigen Wissenschaft stehen, davon konnte und kann sich jeder Kenner leicht überzeugen, der diese Bücher einmal durch- oder auch nur an¬ blätterte. In jedem derselben stößt man auf eine Menge veralteter Ansichten, welche die Wissenschaft seit zwanzig und mehr Jahren über Bord geworfen hat; nur äußerst selteu wird einmal aus den seitdem aufgegrabenen neuen Quellen geschöpft. Auch die im vergangenen Jahre in neunzehnter Auflage er¬ schienene Geschichte der Deutschen Nationalliteratur von Vilmar, ein Buch, das, abgesehen von der geschickt verhüllten reactionären Tendenz, einst streng wissen¬ schaftlichen Anforderungen genügte, ist durch die neuesten regen Forschungen auf dem gesammten Gebiete der Deutschen Literaturwissenschaft bedeutend über¬ flügelt. So fehlte es denn bis zum heutigen Tage an einem Werke, das, aus den Quellen selbst schöpfend und die sicheren Ergebnisse der Forschung bis auf unsere Tage zusammenfassend, „in künstlerisch freier Anordnung, aber auf das Wesentliche beschränkt, ein umfassendes und anschauliches Bild der geistigen Ent¬ wicklung unserer Nation zu geben versuchte". Wenn einer unter den deutschen Philologen und Literarhistorikern durch vielseitige, tiefeindringende Forschung und durch die zahlreichen neuen, fruchtbrin¬ genden Gesichtspunkte, die er aufgestellt, sich das Recht erworben hat, eine solche vorläufig abschließende Gesamtdarstellung zu wagen, so ist es der Verfasser des hier begonnenen Werkes. Giebt es doch kaum ein Jahrhundert germani¬ scher Sprach- und Kulturgeschichte, kaum eine Seite unseres geistigen, insbeson¬ dere unseres literarischen Lebens, die nicht von ihm, sei es durch streng metho¬ dische Untersuchung, sei es durch geistvolle vorläufige Bemerkungen, neues Licht empfangen hätte. ») Geschichte der Deutschen Literatur vou Dr. Wilhelm Scherer, o. ö. Professor der Deutschen Literaturgeschichte an der Universität Berlin. Berlin, Wevdmannsche Buchhandlung, 1880. Erstes Heft 80 S.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/559>, abgerufen am 05.05.2024.