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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Die Systemlosigkeit der österreichischen Gisenbahn-Politik.

Das österreichische Abgeordnetenhaus hat kürzlich einen Beschluß gefaßt, der
geeignet ist, bei jedem um das wirthschaftliche Wohl des Gesammtstaates Oester¬
reich besorgten Patrioten ernste Befürchtungen hervorzurufen. Der Verfasser
dieser Zeilen ist ein principieller Gegner von retrospectiven Erörterungen über
unabänderliche Thatsachen, doch dürfte die außerordentliche Wichtigkeit des
Gegenstandes eine Rechtfertigung für die nachstehenden Betrachtungen sein.

Das Abgeordnetenhaus hat die Vorlage des Handelsministers über die
den Localbahnen zu gewährenden Begünstigungen angenommen und dadurch
einen Fehler begangen, der dem österreichischen Verkehrswesen unberechenbaren
Schaden bringen und niemals wieder gut zu machen sein wird.

Seit der Handelsminister dem Abgeordnetenhause seinen Gesetzentwurf,
Zugeständnisse und Begünstigungen für Localbahnen betreffend, vorgelegt hat,
seitdem sind fortwährend aus allen Gegenden des Reiches Rufe nach solchen
Bahnen laut geworden. Entsprechen alle diese Begehren auch wirlich reellen
Communications-Jnteressen? Wird der Bau einzelner Linien nicht durch Sonder-
bedürfnisfe, durch Sonderinteresfen zu erreichen gesucht? Liegt nicht das Be¬
denken nahe, daß so manche dieser auftauchenden Projecte nur provinciellen und
örtlichen Wünschen entspringen, daß die Nothwendigkeit des Ausbaues einzelner
Tracen von einseitig localen Standpunkte aus beurtheilt wird? Uns will
es scheinen, daß so manche dieser Wünsche als Anzeichen des niemals aufhörenden
Kampfes zwischen Gemeinsinn und Selbstsucht anzusehen sind, und daß in so
manchen Fällen vergessen wird, Particnlarinteressen dem großen, allgemeinen Be¬
dürfniss e hintanzusetzen.

Diese Bedenken müssen bei allen denen auftauchen, welche das Eisenbahn-
netz eines Staates als ein Ganzes auffassen, welche die Constituirung eines
großen Netzes mit successiver Verdichtung Plan- und systemmäßig vollzogen sehen
wollen, bei allen, welche der Eisenbahnnetzes-Gestaltung eines Staates ein be¬
stimmtes, vom allgemeinen Staatsinteresse dictirtes Princip, einen leitenden
Gedanken zu Grunde gelegt wissen wollen. Vor einer Ueberstürzung, vor einem
planlosen Vergehen kann nicht eindringlich genug gewarnt, es kann nicht nach¬
drücklich genug auf den Schaden hingewiesen werden, der daraus entspringt,
wenn die Eisenbahn-Politik eines Landes ein zerstücktes, planloses Vorgehen
walten läßt. Es kann aber auch anderseits nicht genug betont werden, daß
einem Staate durch consequente Verfolgung eines richtigen Eisenbahnausbau-
Systems gefährliche Krisen erspart bleiben, daß bei dem Vorhandensein und bei


Die Systemlosigkeit der österreichischen Gisenbahn-Politik.

Das österreichische Abgeordnetenhaus hat kürzlich einen Beschluß gefaßt, der
geeignet ist, bei jedem um das wirthschaftliche Wohl des Gesammtstaates Oester¬
reich besorgten Patrioten ernste Befürchtungen hervorzurufen. Der Verfasser
dieser Zeilen ist ein principieller Gegner von retrospectiven Erörterungen über
unabänderliche Thatsachen, doch dürfte die außerordentliche Wichtigkeit des
Gegenstandes eine Rechtfertigung für die nachstehenden Betrachtungen sein.

Das Abgeordnetenhaus hat die Vorlage des Handelsministers über die
den Localbahnen zu gewährenden Begünstigungen angenommen und dadurch
einen Fehler begangen, der dem österreichischen Verkehrswesen unberechenbaren
Schaden bringen und niemals wieder gut zu machen sein wird.

Seit der Handelsminister dem Abgeordnetenhause seinen Gesetzentwurf,
Zugeständnisse und Begünstigungen für Localbahnen betreffend, vorgelegt hat,
seitdem sind fortwährend aus allen Gegenden des Reiches Rufe nach solchen
Bahnen laut geworden. Entsprechen alle diese Begehren auch wirlich reellen
Communications-Jnteressen? Wird der Bau einzelner Linien nicht durch Sonder-
bedürfnisfe, durch Sonderinteresfen zu erreichen gesucht? Liegt nicht das Be¬
denken nahe, daß so manche dieser auftauchenden Projecte nur provinciellen und
örtlichen Wünschen entspringen, daß die Nothwendigkeit des Ausbaues einzelner
Tracen von einseitig localen Standpunkte aus beurtheilt wird? Uns will
es scheinen, daß so manche dieser Wünsche als Anzeichen des niemals aufhörenden
Kampfes zwischen Gemeinsinn und Selbstsucht anzusehen sind, und daß in so
manchen Fällen vergessen wird, Particnlarinteressen dem großen, allgemeinen Be¬
dürfniss e hintanzusetzen.

Diese Bedenken müssen bei allen denen auftauchen, welche das Eisenbahn-
netz eines Staates als ein Ganzes auffassen, welche die Constituirung eines
großen Netzes mit successiver Verdichtung Plan- und systemmäßig vollzogen sehen
wollen, bei allen, welche der Eisenbahnnetzes-Gestaltung eines Staates ein be¬
stimmtes, vom allgemeinen Staatsinteresse dictirtes Princip, einen leitenden
Gedanken zu Grunde gelegt wissen wollen. Vor einer Ueberstürzung, vor einem
planlosen Vergehen kann nicht eindringlich genug gewarnt, es kann nicht nach¬
drücklich genug auf den Schaden hingewiesen werden, der daraus entspringt,
wenn die Eisenbahn-Politik eines Landes ein zerstücktes, planloses Vorgehen
walten läßt. Es kann aber auch anderseits nicht genug betont werden, daß
einem Staate durch consequente Verfolgung eines richtigen Eisenbahnausbau-
Systems gefährliche Krisen erspart bleiben, daß bei dem Vorhandensein und bei


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[0056] Die Systemlosigkeit der österreichischen Gisenbahn-Politik. Das österreichische Abgeordnetenhaus hat kürzlich einen Beschluß gefaßt, der geeignet ist, bei jedem um das wirthschaftliche Wohl des Gesammtstaates Oester¬ reich besorgten Patrioten ernste Befürchtungen hervorzurufen. Der Verfasser dieser Zeilen ist ein principieller Gegner von retrospectiven Erörterungen über unabänderliche Thatsachen, doch dürfte die außerordentliche Wichtigkeit des Gegenstandes eine Rechtfertigung für die nachstehenden Betrachtungen sein. Das Abgeordnetenhaus hat die Vorlage des Handelsministers über die den Localbahnen zu gewährenden Begünstigungen angenommen und dadurch einen Fehler begangen, der dem österreichischen Verkehrswesen unberechenbaren Schaden bringen und niemals wieder gut zu machen sein wird. Seit der Handelsminister dem Abgeordnetenhause seinen Gesetzentwurf, Zugeständnisse und Begünstigungen für Localbahnen betreffend, vorgelegt hat, seitdem sind fortwährend aus allen Gegenden des Reiches Rufe nach solchen Bahnen laut geworden. Entsprechen alle diese Begehren auch wirlich reellen Communications-Jnteressen? Wird der Bau einzelner Linien nicht durch Sonder- bedürfnisfe, durch Sonderinteresfen zu erreichen gesucht? Liegt nicht das Be¬ denken nahe, daß so manche dieser auftauchenden Projecte nur provinciellen und örtlichen Wünschen entspringen, daß die Nothwendigkeit des Ausbaues einzelner Tracen von einseitig localen Standpunkte aus beurtheilt wird? Uns will es scheinen, daß so manche dieser Wünsche als Anzeichen des niemals aufhörenden Kampfes zwischen Gemeinsinn und Selbstsucht anzusehen sind, und daß in so manchen Fällen vergessen wird, Particnlarinteressen dem großen, allgemeinen Be¬ dürfniss e hintanzusetzen. Diese Bedenken müssen bei allen denen auftauchen, welche das Eisenbahn- netz eines Staates als ein Ganzes auffassen, welche die Constituirung eines großen Netzes mit successiver Verdichtung Plan- und systemmäßig vollzogen sehen wollen, bei allen, welche der Eisenbahnnetzes-Gestaltung eines Staates ein be¬ stimmtes, vom allgemeinen Staatsinteresse dictirtes Princip, einen leitenden Gedanken zu Grunde gelegt wissen wollen. Vor einer Ueberstürzung, vor einem planlosen Vergehen kann nicht eindringlich genug gewarnt, es kann nicht nach¬ drücklich genug auf den Schaden hingewiesen werden, der daraus entspringt, wenn die Eisenbahn-Politik eines Landes ein zerstücktes, planloses Vorgehen walten läßt. Es kann aber auch anderseits nicht genug betont werden, daß einem Staate durch consequente Verfolgung eines richtigen Eisenbahnausbau- Systems gefährliche Krisen erspart bleiben, daß bei dem Vorhandensein und bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/56>, abgerufen am 04.05.2024.