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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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hange hiermit steht auch sein 1810 erschienenes System der Sittenlehre, in
welchem er vollständig zum Theismus übergegangen ist und u. a. sagt: "Ich
bin überführt, daß in der Geschichte dieses Planeten die einzig wahre Religion
sich vollendet zuerst und für alle Zeiten durch Jesus geoffenbart hat, sowie auch
die wahre Philosophie, welche zur Anschauung des Absoluten und Urguten hin¬
durchgedrungen, zuerst in Platos religiösem poetischem Geiste empfangen wurde."




Die Leipziger Gewandhausconcerte.

Die Leipziger Gewandhausconcerte erfreuen sich eines großen Rufes nicht bloß
im Inlande, sondern überall im Auslande. Man schenkt auswärts den hiesigen
Musikvorgängen eigentlich nur Beachtung, soweit sie sich ans dem klassischen Boden
des Gewandhauses abspielen. Ein Blick z. B. in französische Musikzeitungen beweist
das zur Genüge; diese registriren einfach die Programme der Gewandhausconcerte
und kümmern sich um die sonstigen Musikthaten Leipzigs so gut wie gar nicht.
Hiernach liegt der Schluß nahe, die Gewandhausconcerte seien der Extract, die
concentrirte Quintessenz des Leipziger Musiklebens und die Programme derselben
der beredte Ausdruck der in Leipzig herrschenden musikalischen Geschmacksrichtung.
Mit einem solchen Schlüsse würde man jedoch sehr fehlgehen. Zur Belehrung für
fernerstehende sei es gesagt, daß die Programme der Gewandhausconcerte einzig
von einem Directorium (d. h. von einer Anzahl von Unternehmern, val^o Kunst-
mäcenaten), nicht aber vom Dirigenten aufgestellt werden, und daß dieses Directorium
sich nicht nach dem Geschmacke des Concertpublikums richtet, sondern seinen eigenen
Weg geht und durchaus seinerseits den Geschmack des Publikums beeinflußt. Im
allgemeinen ist gegen ein solches Verfahren gewiß nichts zu sagen. Vorausgesetzt,
daß das maßgebende Directorium ein hervorragendes Musikverständniß besitzt,
woran nicht zu zweifeln - obgleich keiner der Directoren Musiker von Beruf ist --,
vorausgesetzt ferner, daß mit Consequenz eine bestimmte Richtung eingehalten wird,
kann es gewiß nur erziehlich auf das Publikum einwirken, wenn die Aufnahme
eines Stückes in das Programm eines Gewandhausconcertes schon als ein Urtheil
über die Qualität und Stilart desselben aufgefaßt werden kann. Das große Publi¬
kum hat kein Urtheil und bedarf, um sich eins zu bilden -- was ja heute leider
unerläßlich ist -- der Anleitung und der fortdauernden Führung.

Welcher Art ist nun aber diese Führung? Ist ans den Programmen der Ge¬
wandhausconcerte wirklich eine bestimmte, consequent durchgeführte Richtung ersicht¬
lich? Wir wollen versuchen, diese Frage aus den Programmen der ersten Hälfte der
gegenwärtigen Saison zu beantworten, da diese geeignet sind, uns ein vollständig


hange hiermit steht auch sein 1810 erschienenes System der Sittenlehre, in
welchem er vollständig zum Theismus übergegangen ist und u. a. sagt: „Ich
bin überführt, daß in der Geschichte dieses Planeten die einzig wahre Religion
sich vollendet zuerst und für alle Zeiten durch Jesus geoffenbart hat, sowie auch
die wahre Philosophie, welche zur Anschauung des Absoluten und Urguten hin¬
durchgedrungen, zuerst in Platos religiösem poetischem Geiste empfangen wurde."




Die Leipziger Gewandhausconcerte.

Die Leipziger Gewandhausconcerte erfreuen sich eines großen Rufes nicht bloß
im Inlande, sondern überall im Auslande. Man schenkt auswärts den hiesigen
Musikvorgängen eigentlich nur Beachtung, soweit sie sich ans dem klassischen Boden
des Gewandhauses abspielen. Ein Blick z. B. in französische Musikzeitungen beweist
das zur Genüge; diese registriren einfach die Programme der Gewandhausconcerte
und kümmern sich um die sonstigen Musikthaten Leipzigs so gut wie gar nicht.
Hiernach liegt der Schluß nahe, die Gewandhausconcerte seien der Extract, die
concentrirte Quintessenz des Leipziger Musiklebens und die Programme derselben
der beredte Ausdruck der in Leipzig herrschenden musikalischen Geschmacksrichtung.
Mit einem solchen Schlüsse würde man jedoch sehr fehlgehen. Zur Belehrung für
fernerstehende sei es gesagt, daß die Programme der Gewandhausconcerte einzig
von einem Directorium (d. h. von einer Anzahl von Unternehmern, val^o Kunst-
mäcenaten), nicht aber vom Dirigenten aufgestellt werden, und daß dieses Directorium
sich nicht nach dem Geschmacke des Concertpublikums richtet, sondern seinen eigenen
Weg geht und durchaus seinerseits den Geschmack des Publikums beeinflußt. Im
allgemeinen ist gegen ein solches Verfahren gewiß nichts zu sagen. Vorausgesetzt,
daß das maßgebende Directorium ein hervorragendes Musikverständniß besitzt,
woran nicht zu zweifeln - obgleich keiner der Directoren Musiker von Beruf ist —,
vorausgesetzt ferner, daß mit Consequenz eine bestimmte Richtung eingehalten wird,
kann es gewiß nur erziehlich auf das Publikum einwirken, wenn die Aufnahme
eines Stückes in das Programm eines Gewandhausconcertes schon als ein Urtheil
über die Qualität und Stilart desselben aufgefaßt werden kann. Das große Publi¬
kum hat kein Urtheil und bedarf, um sich eins zu bilden — was ja heute leider
unerläßlich ist — der Anleitung und der fortdauernden Führung.

Welcher Art ist nun aber diese Führung? Ist ans den Programmen der Ge¬
wandhausconcerte wirklich eine bestimmte, consequent durchgeführte Richtung ersicht¬
lich? Wir wollen versuchen, diese Frage aus den Programmen der ersten Hälfte der
gegenwärtigen Saison zu beantworten, da diese geeignet sind, uns ein vollständig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/216>, abgerufen am 06.05.2024.