Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Lage der Dinge in Transvaal.

Die Wichtigkeit der Transvaal-Frage für Deutschland wird derjenige ver¬
stehen, der die Wichtigkeit überseeischer Kolonisation und insbesondere die Be¬
deutung von Südafrika für letztere versteht. Deutschland, wie es ist, auch wenn
es seinen Einfluß in dauerhaftem Bunde mit Oesterreich über die Balkanhalb¬
insel ausdehnt, ist immer nur eine europäische Großmacht, aber keine Weltmacht;
es hat keine Rückendeckung durch überseeische Besitzungen, in die seine über¬
schüssige Bevölkerung strömen könnte, ohne aufzuhören, deutsch zu sein, und dieser
Mangel kann durch keine Flottenmacht, durch keine noch so freundliche Verbin¬
dungen mit auswärtigen Staaten ersetzt werden. Kein Winkel der Erde ist
mehr unbesetzt, den sich Deutschland zur Ausstreckung seiner wachsenden Glieder
aneignen könnte, wie Rußland das turanische und das mandschurische Alpen¬
land, Großbritannien Australien und die nordamerikanischen Besitzungen, Frank¬
reich Algerien besitzt. Ueberall wo wir noch in den letzten Jahrzehnten uns
hätten niederlassen können, ist uns England zuvorgekommen und hat das von
Anderen bisher verschmähte Küsten- oder Jnselland besetzt, damit wir es nicht
besetzen können; so noch zuletzt die Inseln in der Torresstraße, die den Ueber¬
gang von Nordaustralien zu Neuguinea bilden, die sehr befahrene Straße be¬
herrschen und wegen des Fischfangs und der Perlenfischerei werthvoll sind.
Wohin auch der deutsche Auswanderer sich jetzt wenden mag, da muß er seine
Sprache und Nationalität aufgeben, um mit den Eigenthümern des Bodens um
den Lebenserwerb concurriren zu können. Wenn er auch in der nordamerikani¬
schen Union noch einen Rest von Zärtlichkeit für das Mutterland bewahrt, so
würde er doch, falls es zum Zwist zwischen uns und den Yankees käme, auf
Seiten der letzteren stehen und fechten.

Anders ist es mit denjenigen von unseren Auswanderern, die sich in hol¬
ländischen Besitzungen und unter Holländern niederlassen. Deutsche und Holländer
verstehen sich bald, da ihre Sprachen nicht so verschieden sind, daß sie nicht
ihre nationale Verwandtschaft sogleich empfänden. Zwischen Deutschland und
den Niederländern ist, auch seitdem letztere vom deutschen Reiche diplomatisch
geschieden sind, immer eine innige Verbindung bestehen geblieben; mehr als ein¬
mal sind die Niederlande durch deutsche Intervention vor der Fremdherrschaft
geschützt worden; deutsche Feldherren und deutsche Soldaten in holländischem
Dienst haben stets die Landkriege der Niederlande geführt, und mit deutschen
Soldaten und Offizieren hat Holland einstmals Brasilien und seine Besitzungen
im indischen Weltmeere erobert. Noch heute ist ein beträchtlicher Theil der
holländischen Truppen in Anstralasien deutscher Herkunft. Die Charaktere, die.


Die Lage der Dinge in Transvaal.

Die Wichtigkeit der Transvaal-Frage für Deutschland wird derjenige ver¬
stehen, der die Wichtigkeit überseeischer Kolonisation und insbesondere die Be¬
deutung von Südafrika für letztere versteht. Deutschland, wie es ist, auch wenn
es seinen Einfluß in dauerhaftem Bunde mit Oesterreich über die Balkanhalb¬
insel ausdehnt, ist immer nur eine europäische Großmacht, aber keine Weltmacht;
es hat keine Rückendeckung durch überseeische Besitzungen, in die seine über¬
schüssige Bevölkerung strömen könnte, ohne aufzuhören, deutsch zu sein, und dieser
Mangel kann durch keine Flottenmacht, durch keine noch so freundliche Verbin¬
dungen mit auswärtigen Staaten ersetzt werden. Kein Winkel der Erde ist
mehr unbesetzt, den sich Deutschland zur Ausstreckung seiner wachsenden Glieder
aneignen könnte, wie Rußland das turanische und das mandschurische Alpen¬
land, Großbritannien Australien und die nordamerikanischen Besitzungen, Frank¬
reich Algerien besitzt. Ueberall wo wir noch in den letzten Jahrzehnten uns
hätten niederlassen können, ist uns England zuvorgekommen und hat das von
Anderen bisher verschmähte Küsten- oder Jnselland besetzt, damit wir es nicht
besetzen können; so noch zuletzt die Inseln in der Torresstraße, die den Ueber¬
gang von Nordaustralien zu Neuguinea bilden, die sehr befahrene Straße be¬
herrschen und wegen des Fischfangs und der Perlenfischerei werthvoll sind.
Wohin auch der deutsche Auswanderer sich jetzt wenden mag, da muß er seine
Sprache und Nationalität aufgeben, um mit den Eigenthümern des Bodens um
den Lebenserwerb concurriren zu können. Wenn er auch in der nordamerikani¬
schen Union noch einen Rest von Zärtlichkeit für das Mutterland bewahrt, so
würde er doch, falls es zum Zwist zwischen uns und den Yankees käme, auf
Seiten der letzteren stehen und fechten.

Anders ist es mit denjenigen von unseren Auswanderern, die sich in hol¬
ländischen Besitzungen und unter Holländern niederlassen. Deutsche und Holländer
verstehen sich bald, da ihre Sprachen nicht so verschieden sind, daß sie nicht
ihre nationale Verwandtschaft sogleich empfänden. Zwischen Deutschland und
den Niederländern ist, auch seitdem letztere vom deutschen Reiche diplomatisch
geschieden sind, immer eine innige Verbindung bestehen geblieben; mehr als ein¬
mal sind die Niederlande durch deutsche Intervention vor der Fremdherrschaft
geschützt worden; deutsche Feldherren und deutsche Soldaten in holländischem
Dienst haben stets die Landkriege der Niederlande geführt, und mit deutschen
Soldaten und Offizieren hat Holland einstmals Brasilien und seine Besitzungen
im indischen Weltmeere erobert. Noch heute ist ein beträchtlicher Theil der
holländischen Truppen in Anstralasien deutscher Herkunft. Die Charaktere, die.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0493" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146422"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Lage der Dinge in Transvaal.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1439"> Die Wichtigkeit der Transvaal-Frage für Deutschland wird derjenige ver¬<lb/>
stehen, der die Wichtigkeit überseeischer Kolonisation und insbesondere die Be¬<lb/>
deutung von Südafrika für letztere versteht. Deutschland, wie es ist, auch wenn<lb/>
es seinen Einfluß in dauerhaftem Bunde mit Oesterreich über die Balkanhalb¬<lb/>
insel ausdehnt, ist immer nur eine europäische Großmacht, aber keine Weltmacht;<lb/>
es hat keine Rückendeckung durch überseeische Besitzungen, in die seine über¬<lb/>
schüssige Bevölkerung strömen könnte, ohne aufzuhören, deutsch zu sein, und dieser<lb/>
Mangel kann durch keine Flottenmacht, durch keine noch so freundliche Verbin¬<lb/>
dungen mit auswärtigen Staaten ersetzt werden. Kein Winkel der Erde ist<lb/>
mehr unbesetzt, den sich Deutschland zur Ausstreckung seiner wachsenden Glieder<lb/>
aneignen könnte, wie Rußland das turanische und das mandschurische Alpen¬<lb/>
land, Großbritannien Australien und die nordamerikanischen Besitzungen, Frank¬<lb/>
reich Algerien besitzt. Ueberall wo wir noch in den letzten Jahrzehnten uns<lb/>
hätten niederlassen können, ist uns England zuvorgekommen und hat das von<lb/>
Anderen bisher verschmähte Küsten- oder Jnselland besetzt, damit wir es nicht<lb/>
besetzen können; so noch zuletzt die Inseln in der Torresstraße, die den Ueber¬<lb/>
gang von Nordaustralien zu Neuguinea bilden, die sehr befahrene Straße be¬<lb/>
herrschen und wegen des Fischfangs und der Perlenfischerei werthvoll sind.<lb/>
Wohin auch der deutsche Auswanderer sich jetzt wenden mag, da muß er seine<lb/>
Sprache und Nationalität aufgeben, um mit den Eigenthümern des Bodens um<lb/>
den Lebenserwerb concurriren zu können. Wenn er auch in der nordamerikani¬<lb/>
schen Union noch einen Rest von Zärtlichkeit für das Mutterland bewahrt, so<lb/>
würde er doch, falls es zum Zwist zwischen uns und den Yankees käme, auf<lb/>
Seiten der letzteren stehen und fechten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1440" next="#ID_1441"> Anders ist es mit denjenigen von unseren Auswanderern, die sich in hol¬<lb/>
ländischen Besitzungen und unter Holländern niederlassen. Deutsche und Holländer<lb/>
verstehen sich bald, da ihre Sprachen nicht so verschieden sind, daß sie nicht<lb/>
ihre nationale Verwandtschaft sogleich empfänden. Zwischen Deutschland und<lb/>
den Niederländern ist, auch seitdem letztere vom deutschen Reiche diplomatisch<lb/>
geschieden sind, immer eine innige Verbindung bestehen geblieben; mehr als ein¬<lb/>
mal sind die Niederlande durch deutsche Intervention vor der Fremdherrschaft<lb/>
geschützt worden; deutsche Feldherren und deutsche Soldaten in holländischem<lb/>
Dienst haben stets die Landkriege der Niederlande geführt, und mit deutschen<lb/>
Soldaten und Offizieren hat Holland einstmals Brasilien und seine Besitzungen<lb/>
im indischen Weltmeere erobert. Noch heute ist ein beträchtlicher Theil der<lb/>
holländischen Truppen in Anstralasien deutscher Herkunft. Die Charaktere, die.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0493] Die Lage der Dinge in Transvaal. Die Wichtigkeit der Transvaal-Frage für Deutschland wird derjenige ver¬ stehen, der die Wichtigkeit überseeischer Kolonisation und insbesondere die Be¬ deutung von Südafrika für letztere versteht. Deutschland, wie es ist, auch wenn es seinen Einfluß in dauerhaftem Bunde mit Oesterreich über die Balkanhalb¬ insel ausdehnt, ist immer nur eine europäische Großmacht, aber keine Weltmacht; es hat keine Rückendeckung durch überseeische Besitzungen, in die seine über¬ schüssige Bevölkerung strömen könnte, ohne aufzuhören, deutsch zu sein, und dieser Mangel kann durch keine Flottenmacht, durch keine noch so freundliche Verbin¬ dungen mit auswärtigen Staaten ersetzt werden. Kein Winkel der Erde ist mehr unbesetzt, den sich Deutschland zur Ausstreckung seiner wachsenden Glieder aneignen könnte, wie Rußland das turanische und das mandschurische Alpen¬ land, Großbritannien Australien und die nordamerikanischen Besitzungen, Frank¬ reich Algerien besitzt. Ueberall wo wir noch in den letzten Jahrzehnten uns hätten niederlassen können, ist uns England zuvorgekommen und hat das von Anderen bisher verschmähte Küsten- oder Jnselland besetzt, damit wir es nicht besetzen können; so noch zuletzt die Inseln in der Torresstraße, die den Ueber¬ gang von Nordaustralien zu Neuguinea bilden, die sehr befahrene Straße be¬ herrschen und wegen des Fischfangs und der Perlenfischerei werthvoll sind. Wohin auch der deutsche Auswanderer sich jetzt wenden mag, da muß er seine Sprache und Nationalität aufgeben, um mit den Eigenthümern des Bodens um den Lebenserwerb concurriren zu können. Wenn er auch in der nordamerikani¬ schen Union noch einen Rest von Zärtlichkeit für das Mutterland bewahrt, so würde er doch, falls es zum Zwist zwischen uns und den Yankees käme, auf Seiten der letzteren stehen und fechten. Anders ist es mit denjenigen von unseren Auswanderern, die sich in hol¬ ländischen Besitzungen und unter Holländern niederlassen. Deutsche und Holländer verstehen sich bald, da ihre Sprachen nicht so verschieden sind, daß sie nicht ihre nationale Verwandtschaft sogleich empfänden. Zwischen Deutschland und den Niederländern ist, auch seitdem letztere vom deutschen Reiche diplomatisch geschieden sind, immer eine innige Verbindung bestehen geblieben; mehr als ein¬ mal sind die Niederlande durch deutsche Intervention vor der Fremdherrschaft geschützt worden; deutsche Feldherren und deutsche Soldaten in holländischem Dienst haben stets die Landkriege der Niederlande geführt, und mit deutschen Soldaten und Offizieren hat Holland einstmals Brasilien und seine Besitzungen im indischen Weltmeere erobert. Noch heute ist ein beträchtlicher Theil der holländischen Truppen in Anstralasien deutscher Herkunft. Die Charaktere, die.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/493
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/493>, abgerufen am 06.05.2024.