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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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den in Potschefstrom versammelten Volksrath zur Theilnahme an der Delegation
einladen oder demselben die Delegation allein zu beschaffen überlassen, mithin
auf den Weg des Rechts und des Vertrags zurücklenken will. Ebenso ist es
fraglich, welche Delegation aus Transvaal die aus Delegirten der übrigen
südafrikanischen Länder zusammentretende Conferenz als legitime Delegirte des
Transvaal anerkennen wird, ob die der Gewaltregierung oder die des heimi¬
schen und zu Recht bestehenden Volksraths. Das Auswärtige Amt in London,
das .sich mit seiner pharaonisch-josephischen Politik hier wie in Afghanistan in
die Nesseln gesetzt hat, wird sich bald zu entscheiden haben, ob es in diesen
Nesseln sitzen bleiben und Gewalt vor Recht behaupten will, oder anerkennen,
daß Recht doch Recht bleiben muß.




Gustav Adolf und der Brand von Magdeburg.

Wahrheit und Dichtung gehen bei der Ueberlieferung vergangener Zeiten
in der Regel Hand in Hand. Sie mischen sich um fo leichter, wenn der, welcher
die geschichtlichen Thatsachen überliefert, selbst eine dichterische Ader hat. Die
Kunst, die dem schönen Gleichmaß und der harmonischen Vollendung zustrebt,
kann sich nicht befreunden mit all den vielgestaltigen und kleinlichen Vorgängen
der wechselvollen Wirklichkeit; sie verschweigt daher, was den gleichmäßigen
Gang der Entwicklung hemmt oder störend dazwischentritt, ja sie verändert wohl
auch die Thatsachen der Geschichte, um einen den Gesetzen der ästhetischen und
moralischen Schönheit entsprechenden Abschluß zu gewinnen. Dies zeigen vor
allem die Werke dramatischer oder epischer Kunst, welche die Aufgabe haben,
den gegenseitigen Kampf zwischen menschlicher Größe und menschlicher Ohnmacht
zu schildern, in diesem Ringen aber auch zugleich das Walten einer vergeltenden
Gerechtigkeit, einer sittlichen Weltordnung nachzuweisen. Aber selbst Schriften,
welche der Erforschung der geschichtlichen Wahrheit gewidmet sind, werden mehr
oder weniger dieselbe Mischung von Dichtung und Wahrheit darstellen, wenn
sie aus der Hand eines Dichters hervorgegangen sind, mag derselbe auch bestrebt
gewesen sein, nur die geschichtliche Wahrheit zu ergründen und vorzuführen.

Der Dichter geht bei seinen Schöpfungen aus von allgemeinen ästhetischen
Grundsätzen, unwillkürlich mißt er die Ereignisse mit dem Maße seines geläuterten
Geschmacks und seines sittlichen Urtheils, und so entsteht unter den Händen
seiner dramatischen Gestaltungskraft ein Gemälde, das eben Wahrheit und Dichtung


Grcnzl'owl I, 1M0. K!Z

den in Potschefstrom versammelten Volksrath zur Theilnahme an der Delegation
einladen oder demselben die Delegation allein zu beschaffen überlassen, mithin
auf den Weg des Rechts und des Vertrags zurücklenken will. Ebenso ist es
fraglich, welche Delegation aus Transvaal die aus Delegirten der übrigen
südafrikanischen Länder zusammentretende Conferenz als legitime Delegirte des
Transvaal anerkennen wird, ob die der Gewaltregierung oder die des heimi¬
schen und zu Recht bestehenden Volksraths. Das Auswärtige Amt in London,
das .sich mit seiner pharaonisch-josephischen Politik hier wie in Afghanistan in
die Nesseln gesetzt hat, wird sich bald zu entscheiden haben, ob es in diesen
Nesseln sitzen bleiben und Gewalt vor Recht behaupten will, oder anerkennen,
daß Recht doch Recht bleiben muß.




Gustav Adolf und der Brand von Magdeburg.

Wahrheit und Dichtung gehen bei der Ueberlieferung vergangener Zeiten
in der Regel Hand in Hand. Sie mischen sich um fo leichter, wenn der, welcher
die geschichtlichen Thatsachen überliefert, selbst eine dichterische Ader hat. Die
Kunst, die dem schönen Gleichmaß und der harmonischen Vollendung zustrebt,
kann sich nicht befreunden mit all den vielgestaltigen und kleinlichen Vorgängen
der wechselvollen Wirklichkeit; sie verschweigt daher, was den gleichmäßigen
Gang der Entwicklung hemmt oder störend dazwischentritt, ja sie verändert wohl
auch die Thatsachen der Geschichte, um einen den Gesetzen der ästhetischen und
moralischen Schönheit entsprechenden Abschluß zu gewinnen. Dies zeigen vor
allem die Werke dramatischer oder epischer Kunst, welche die Aufgabe haben,
den gegenseitigen Kampf zwischen menschlicher Größe und menschlicher Ohnmacht
zu schildern, in diesem Ringen aber auch zugleich das Walten einer vergeltenden
Gerechtigkeit, einer sittlichen Weltordnung nachzuweisen. Aber selbst Schriften,
welche der Erforschung der geschichtlichen Wahrheit gewidmet sind, werden mehr
oder weniger dieselbe Mischung von Dichtung und Wahrheit darstellen, wenn
sie aus der Hand eines Dichters hervorgegangen sind, mag derselbe auch bestrebt
gewesen sein, nur die geschichtliche Wahrheit zu ergründen und vorzuführen.

Der Dichter geht bei seinen Schöpfungen aus von allgemeinen ästhetischen
Grundsätzen, unwillkürlich mißt er die Ereignisse mit dem Maße seines geläuterten
Geschmacks und seines sittlichen Urtheils, und so entsteht unter den Händen
seiner dramatischen Gestaltungskraft ein Gemälde, das eben Wahrheit und Dichtung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/505>, abgerufen am 05.05.2024.