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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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sie um ihrer Vollkommenheit willen, und in ihnen sieht der weiseste Philosoph
immer noch ein Höheres, dem er nachzustreben sich verpflichtet fühlt."

Ein Glanz von Verklärung lag über dem Sprechenden und den Zuhörern,
und eine heilige Pause trat auf die Rede des Meisters ein. Dann entwickelte
sich nach und nach über Volksreligion und die von den Stoikern so hoch ge¬
haltene Vorsehung eine lebhafte Unterhaltung, die den ganzen Abend ausfüllte.

Ehe wir aber den Meister seinen Festtag beschließen lassen, werfen wir
noch einen Blick auf seine Götterrede. Es ist festgestellt, das Epikur nie mit
der Volksreligion in Conflict kam; er verehrte die Götter fleißig in herkömmlicher
Weise, ohne deshalb eine Ansicht von ihnen zu heucheln, welche nicht die seine
war (des volkstümlichen Rauchopfers, welches er an seinem Geburtstag den
Göttern dargebracht, haben wir gedacht). Bei seiner Götterverehrung -- das
fühlen wir aus der Rede heraus -- erkannte er die Vorstellung von den Göttern
nur als ein "Element edeln menschlichen Wesens" an. Daß er Götter verehrt
wissen will, welche nur sind, aber nicht wirken, darin liegt freilich ein Wider¬
spruch; denn wenn die Götter sind, aber keinen Einfluß auf das Hienieden haben,
"so dürfte dies der gläubigen Frivolität der Massen gerade genügen, um sie
zu glauben, aber nicht zu verehren". Dieser Widerspruch löst sich aber bei
Epikur unter dem angedeuteten Gesichtspunkte einer "subjectiven, das Gemüth in
harmonische Stimmung versetzenden Stimmung". Man hat auch gesagt, Epikur
habe die Götter nur aus Furcht vor der Masse des Volks und vor der gefähr¬
lichen Priesterherrschaft verehrt; doch die Verehrung kam ihm, dem Feinde aller
Heuchelei -- N^"^ö^t"rox "^^>, der "wahrheitsliebendste Mann" wird er von
Athenäus genannt --, "gewiß von Herzen, da seine sorg- und schmerzlosen
Götter in der That das Ideal seiner Philosophie gleichsam verkörpert darstellen."

Die Geburtstagsfestlichkeit in Epikurs Garten ging zu Ende. Ihr letzter Haupt¬
akt bestand darin, daß Epikur, bisher der einzige "Weise", auch Metrodor den
Namen eines "Weisen" feierlichst zuerkannte, nicht ohne aus seinen Werken den
Satz anzuführen, daß der Weise allein dankbar zu sein verstehe. Nachdem
hierauf der Meister in einem Schlußwort seine Freude und Rührung über die
"himmelhohen Zeichen des Wohlwollens" seiner Schüler noch einmal bekundet
hatte, zerstreute sich die Gartengesellschaft heimwärts, voll Befriedigung auf den
Tag zurückblickend und einerseits von dem Hochgefühle beseelt, auch in festlichen
Stunden ihrer Losung der Müßigkeit treu geblieben zu sein, andererseits aufs
neue von der Ueberzeugung durchdrungen, daß die Genüsse in Epikurs Garten
c^^? ^-t^et^r" "wahrhaft gottgeoffenbarte Geheimnisse" seien.


4. Des Meisters Tod.

Es ist Nacht. Wir wandeln durch das in der Nähe des Peiräischen Thores


Grenzboten III. 1380. 14

sie um ihrer Vollkommenheit willen, und in ihnen sieht der weiseste Philosoph
immer noch ein Höheres, dem er nachzustreben sich verpflichtet fühlt."

Ein Glanz von Verklärung lag über dem Sprechenden und den Zuhörern,
und eine heilige Pause trat auf die Rede des Meisters ein. Dann entwickelte
sich nach und nach über Volksreligion und die von den Stoikern so hoch ge¬
haltene Vorsehung eine lebhafte Unterhaltung, die den ganzen Abend ausfüllte.

Ehe wir aber den Meister seinen Festtag beschließen lassen, werfen wir
noch einen Blick auf seine Götterrede. Es ist festgestellt, das Epikur nie mit
der Volksreligion in Conflict kam; er verehrte die Götter fleißig in herkömmlicher
Weise, ohne deshalb eine Ansicht von ihnen zu heucheln, welche nicht die seine
war (des volkstümlichen Rauchopfers, welches er an seinem Geburtstag den
Göttern dargebracht, haben wir gedacht). Bei seiner Götterverehrung — das
fühlen wir aus der Rede heraus — erkannte er die Vorstellung von den Göttern
nur als ein „Element edeln menschlichen Wesens" an. Daß er Götter verehrt
wissen will, welche nur sind, aber nicht wirken, darin liegt freilich ein Wider¬
spruch; denn wenn die Götter sind, aber keinen Einfluß auf das Hienieden haben,
„so dürfte dies der gläubigen Frivolität der Massen gerade genügen, um sie
zu glauben, aber nicht zu verehren". Dieser Widerspruch löst sich aber bei
Epikur unter dem angedeuteten Gesichtspunkte einer „subjectiven, das Gemüth in
harmonische Stimmung versetzenden Stimmung". Man hat auch gesagt, Epikur
habe die Götter nur aus Furcht vor der Masse des Volks und vor der gefähr¬
lichen Priesterherrschaft verehrt; doch die Verehrung kam ihm, dem Feinde aller
Heuchelei — N^«^ö^t«rox «^^>, der „wahrheitsliebendste Mann" wird er von
Athenäus genannt —, „gewiß von Herzen, da seine sorg- und schmerzlosen
Götter in der That das Ideal seiner Philosophie gleichsam verkörpert darstellen."

Die Geburtstagsfestlichkeit in Epikurs Garten ging zu Ende. Ihr letzter Haupt¬
akt bestand darin, daß Epikur, bisher der einzige „Weise", auch Metrodor den
Namen eines „Weisen" feierlichst zuerkannte, nicht ohne aus seinen Werken den
Satz anzuführen, daß der Weise allein dankbar zu sein verstehe. Nachdem
hierauf der Meister in einem Schlußwort seine Freude und Rührung über die
„himmelhohen Zeichen des Wohlwollens" seiner Schüler noch einmal bekundet
hatte, zerstreute sich die Gartengesellschaft heimwärts, voll Befriedigung auf den
Tag zurückblickend und einerseits von dem Hochgefühle beseelt, auch in festlichen
Stunden ihrer Losung der Müßigkeit treu geblieben zu sein, andererseits aufs
neue von der Ueberzeugung durchdrungen, daß die Genüsse in Epikurs Garten
c^^? ^-t^et^r« „wahrhaft gottgeoffenbarte Geheimnisse" seien.


4. Des Meisters Tod.

Es ist Nacht. Wir wandeln durch das in der Nähe des Peiräischen Thores


Grenzboten III. 1380. 14
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/113>, abgerufen am 30.04.2024.