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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Die Hauptströmungen in der bildenden Kunst der
Gegenwart.
3. Die Schule pilotys: Die Humoristen. Eduard Rurzbauer.

In dem Bilde, welches wir von dem künstlerischen Schaffen Pilotys ent¬
worfen haben, wird man den versöhnenden Zug des Humors vergebens suchen.
Was zwei audere Meister der Münchener Schule, Moritz vou Schwind und
Wilhelm vou Kaulbach, in so reicher Fülle besessen haben, der eine feiner ge¬
artet, der andere gröber zugeschnitten, ist ihm, der einflußreicher als beide war,
versagt geblieben. Es spricht indessen für die Vortrefflichkeit feiner Schule und
für die Toleranz seiner Lehre, daß sich unter seiner Leitung Genremaler ent¬
wickelt haben, deren reiche humoristische Ader durch den Einfluß Pilotys keines-
wegs unterbunden wurde. Während in den anderen Hauptstädten Deutschlands,
in Berlin, Dresden, Leipzig, Stuttgart, Karlsruhe u. a., Volkslust und Volks¬
jubel durch den großstädtischen Zuschnitt des Lebens in den Hintergrund ge¬
drängt worden oder wenigstens von der Oberfläche des öffentlichen Verkehrs
verschwunden find, hat sich in München unter dem Schutze und im Schatten
der großen ehrwürdigen Brauhäuser in frisches, gesundes, mitunter freilich recht
derbes Volksleben in altgermanischer Originalität erhalten. Hier bietet sich
dem Genremaler, den die Natur mit der köstlichen Gabe des Humors gesegnet
hat, auf einem, wenn auch begrenzte" Felde eine unerschöpfliche Fundgrube. Schon
was nur des Morgens Geschäfte halber vom Lande in die Stadt kommt und
nach guter Verrichtung im Hofbräu, im Franziskaner, im Kapplerbräu oder im
Pschorr seineu Frühtrunk nimmt, ist im höchsten Grade der Beobachtung werth.
Die Geschichte des Münchener Humors ist von der Geschichte der Münchener
Brauhäuser unzertrennlich. Aus ihnen haben die Zeichner der "Fliegenden
Blätter", des einzigen Witzblattes ohne politischen Charakter, welches sich in
Deutschland über dem Wasser halten kann, ihre glücklichsten Inspirationen ge¬
holt, und ebenso siegreich ist der Bierstubenhumor in die Malerateliers einge¬
zogen. Wir wollen die Nachtheile, welche dieses Leben und Weben in der
dunstigen Atmosphäre der Bierhüuser für die Münchener Malerei im Gefolge
gehabt hat, das behagliche Aufgehen in ein angenehmes Schlaraffenleben und
die daraus resultirende Abneigung gegen ideale Aufgaben der Kunst und eine
geistige Vertiefung in dieselben, hier nicht näher berühren, sondern uns nur an
den reifen Früchten erfreuen, welche der Münchener Humor in der Genremalere
gezeitigt hat.


Die Hauptströmungen in der bildenden Kunst der
Gegenwart.
3. Die Schule pilotys: Die Humoristen. Eduard Rurzbauer.

In dem Bilde, welches wir von dem künstlerischen Schaffen Pilotys ent¬
worfen haben, wird man den versöhnenden Zug des Humors vergebens suchen.
Was zwei audere Meister der Münchener Schule, Moritz vou Schwind und
Wilhelm vou Kaulbach, in so reicher Fülle besessen haben, der eine feiner ge¬
artet, der andere gröber zugeschnitten, ist ihm, der einflußreicher als beide war,
versagt geblieben. Es spricht indessen für die Vortrefflichkeit feiner Schule und
für die Toleranz seiner Lehre, daß sich unter seiner Leitung Genremaler ent¬
wickelt haben, deren reiche humoristische Ader durch den Einfluß Pilotys keines-
wegs unterbunden wurde. Während in den anderen Hauptstädten Deutschlands,
in Berlin, Dresden, Leipzig, Stuttgart, Karlsruhe u. a., Volkslust und Volks¬
jubel durch den großstädtischen Zuschnitt des Lebens in den Hintergrund ge¬
drängt worden oder wenigstens von der Oberfläche des öffentlichen Verkehrs
verschwunden find, hat sich in München unter dem Schutze und im Schatten
der großen ehrwürdigen Brauhäuser in frisches, gesundes, mitunter freilich recht
derbes Volksleben in altgermanischer Originalität erhalten. Hier bietet sich
dem Genremaler, den die Natur mit der köstlichen Gabe des Humors gesegnet
hat, auf einem, wenn auch begrenzte» Felde eine unerschöpfliche Fundgrube. Schon
was nur des Morgens Geschäfte halber vom Lande in die Stadt kommt und
nach guter Verrichtung im Hofbräu, im Franziskaner, im Kapplerbräu oder im
Pschorr seineu Frühtrunk nimmt, ist im höchsten Grade der Beobachtung werth.
Die Geschichte des Münchener Humors ist von der Geschichte der Münchener
Brauhäuser unzertrennlich. Aus ihnen haben die Zeichner der „Fliegenden
Blätter", des einzigen Witzblattes ohne politischen Charakter, welches sich in
Deutschland über dem Wasser halten kann, ihre glücklichsten Inspirationen ge¬
holt, und ebenso siegreich ist der Bierstubenhumor in die Malerateliers einge¬
zogen. Wir wollen die Nachtheile, welche dieses Leben und Weben in der
dunstigen Atmosphäre der Bierhüuser für die Münchener Malerei im Gefolge
gehabt hat, das behagliche Aufgehen in ein angenehmes Schlaraffenleben und
die daraus resultirende Abneigung gegen ideale Aufgaben der Kunst und eine
geistige Vertiefung in dieselben, hier nicht näher berühren, sondern uns nur an
den reifen Früchten erfreuen, welche der Münchener Humor in der Genremalere
gezeitigt hat.


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[0126] Die Hauptströmungen in der bildenden Kunst der Gegenwart. 3. Die Schule pilotys: Die Humoristen. Eduard Rurzbauer. In dem Bilde, welches wir von dem künstlerischen Schaffen Pilotys ent¬ worfen haben, wird man den versöhnenden Zug des Humors vergebens suchen. Was zwei audere Meister der Münchener Schule, Moritz vou Schwind und Wilhelm vou Kaulbach, in so reicher Fülle besessen haben, der eine feiner ge¬ artet, der andere gröber zugeschnitten, ist ihm, der einflußreicher als beide war, versagt geblieben. Es spricht indessen für die Vortrefflichkeit feiner Schule und für die Toleranz seiner Lehre, daß sich unter seiner Leitung Genremaler ent¬ wickelt haben, deren reiche humoristische Ader durch den Einfluß Pilotys keines- wegs unterbunden wurde. Während in den anderen Hauptstädten Deutschlands, in Berlin, Dresden, Leipzig, Stuttgart, Karlsruhe u. a., Volkslust und Volks¬ jubel durch den großstädtischen Zuschnitt des Lebens in den Hintergrund ge¬ drängt worden oder wenigstens von der Oberfläche des öffentlichen Verkehrs verschwunden find, hat sich in München unter dem Schutze und im Schatten der großen ehrwürdigen Brauhäuser in frisches, gesundes, mitunter freilich recht derbes Volksleben in altgermanischer Originalität erhalten. Hier bietet sich dem Genremaler, den die Natur mit der köstlichen Gabe des Humors gesegnet hat, auf einem, wenn auch begrenzte» Felde eine unerschöpfliche Fundgrube. Schon was nur des Morgens Geschäfte halber vom Lande in die Stadt kommt und nach guter Verrichtung im Hofbräu, im Franziskaner, im Kapplerbräu oder im Pschorr seineu Frühtrunk nimmt, ist im höchsten Grade der Beobachtung werth. Die Geschichte des Münchener Humors ist von der Geschichte der Münchener Brauhäuser unzertrennlich. Aus ihnen haben die Zeichner der „Fliegenden Blätter", des einzigen Witzblattes ohne politischen Charakter, welches sich in Deutschland über dem Wasser halten kann, ihre glücklichsten Inspirationen ge¬ holt, und ebenso siegreich ist der Bierstubenhumor in die Malerateliers einge¬ zogen. Wir wollen die Nachtheile, welche dieses Leben und Weben in der dunstigen Atmosphäre der Bierhüuser für die Münchener Malerei im Gefolge gehabt hat, das behagliche Aufgehen in ein angenehmes Schlaraffenleben und die daraus resultirende Abneigung gegen ideale Aufgaben der Kunst und eine geistige Vertiefung in dieselben, hier nicht näher berühren, sondern uns nur an den reifen Früchten erfreuen, welche der Münchener Humor in der Genremalere gezeitigt hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/126>, abgerufen am 30.04.2024.