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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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endlich einmal an den Nagel hinge, so wäre ihm, der Leipziger Universität und
allen gebildeten musikalischen Kreisen Leipzigs geholfen.

Es thut uns aufrichtig leid, daß wir unsere Leser im Vorstehenden mit
einer Angelegenheit von rein localen Interesse behelligt haben. Aber es war
nicht zu vermeiden, und am Ende hat die Sache doch eine über das locale
Interesse hinausgehende Bedeutung. Leipzig genießt mit Recht den alten Ruhm,
die Musikstadt Deutschlands --"r ^o/^ zu sein. Nicht also, wie das Reiß-
mannsche Pamphlet thörichter Weise sagt, die Leipziger Musikzustände zu heben,
Wohl aber um dem schmachvollen, corrupten Treiben entgegenzutreten, welches
nun schon seit Jahren in einem Theile der musikalischen Kritik Leipzigs sich
breit macht, haben die "Grenzboten" ihre Stimme erhoben. Es war die höchste
Zeit. Als die Kunde sich verbreitete, daß Herr Reißmann seine Uebersiedlung
von Berlin nach Leipzig vorbereite, ging ein gelinder Schrecken durch die musi¬
kalischen Kreise Leipzigs. Was wird, so sagte man sich, unsere öffentliche Mei¬
nung in musikalischen Dingen sich erst bieten lassen müssen, wenn die Herren
Paul und Reißmann mit vereinten Kräften das bisherige Partei- und Reclame-
geschäft betreiben werden! Es wird eine gegenseitige Anloberei entstehen, die
alles bisher in diesem Punkte geleistete übersteigen wird! An Elementen, die
eine starke Neigung haben, dies saubere Duett nach Befinden zu einem Terzett,
Quartett oder Quiutett zu erweitern, fehlt es ohnehin in Leipzig nicht! So sagte
man sich, und die gehegten Befürchtungen erfüllten sich nur gar zu bald. Kaum
war Herr Reißmann da, fo war auch schon die Sache im schönsten Zuge:
Heute lobe ich dich, morgen du mich; heute preise ich dein neuestes Machwerk
an, morgen du das meine; übermorgen loben wir gemeinschaftlich einen Dritten
und suchen ihn für uns zu ködern. Diesem Treiben wenigstens einigermaßen
Einhalt gethan zu haben, können sich die "Grenzboten" zum Verdienste anrech¬
nen. Wie lange es nachhalten wird? Wir Wissen's nicht, aber wir werden auf
dem Posten bleiben.




Literatur.
Die Oster- und Passionsspiele. Literarhistorische Untersuchungen über den
Ursprung und die Entwicklung derselben bis zum 17. Jahrhundert vornehmlich in
Deutschland nebst dein erstmaligen diplomatischen Abdruck des Künzelsauer Fron-
leichnmusspieles. Von Gustav Milchsack. 1. Die lateinischen Osterfciern. Wolfen-
büttel, Zwißler, 1880.

Zur guten Stunde, in der Zeit, da wieder durch die Obcrammergcmer Passions¬
spiele das Interesse des ganzen gebildeten Deutschlands auf die geistliche dramatische
Dichtung gerichtet ist, erscheint die erste umfassende und gründliche, das gescnnmte
vorhandene Material beherrschende Geschichte dieser Dichtungen. Das vorliegende


endlich einmal an den Nagel hinge, so wäre ihm, der Leipziger Universität und
allen gebildeten musikalischen Kreisen Leipzigs geholfen.

Es thut uns aufrichtig leid, daß wir unsere Leser im Vorstehenden mit
einer Angelegenheit von rein localen Interesse behelligt haben. Aber es war
nicht zu vermeiden, und am Ende hat die Sache doch eine über das locale
Interesse hinausgehende Bedeutung. Leipzig genießt mit Recht den alten Ruhm,
die Musikstadt Deutschlands --«r ^o/^ zu sein. Nicht also, wie das Reiß-
mannsche Pamphlet thörichter Weise sagt, die Leipziger Musikzustände zu heben,
Wohl aber um dem schmachvollen, corrupten Treiben entgegenzutreten, welches
nun schon seit Jahren in einem Theile der musikalischen Kritik Leipzigs sich
breit macht, haben die „Grenzboten" ihre Stimme erhoben. Es war die höchste
Zeit. Als die Kunde sich verbreitete, daß Herr Reißmann seine Uebersiedlung
von Berlin nach Leipzig vorbereite, ging ein gelinder Schrecken durch die musi¬
kalischen Kreise Leipzigs. Was wird, so sagte man sich, unsere öffentliche Mei¬
nung in musikalischen Dingen sich erst bieten lassen müssen, wenn die Herren
Paul und Reißmann mit vereinten Kräften das bisherige Partei- und Reclame-
geschäft betreiben werden! Es wird eine gegenseitige Anloberei entstehen, die
alles bisher in diesem Punkte geleistete übersteigen wird! An Elementen, die
eine starke Neigung haben, dies saubere Duett nach Befinden zu einem Terzett,
Quartett oder Quiutett zu erweitern, fehlt es ohnehin in Leipzig nicht! So sagte
man sich, und die gehegten Befürchtungen erfüllten sich nur gar zu bald. Kaum
war Herr Reißmann da, fo war auch schon die Sache im schönsten Zuge:
Heute lobe ich dich, morgen du mich; heute preise ich dein neuestes Machwerk
an, morgen du das meine; übermorgen loben wir gemeinschaftlich einen Dritten
und suchen ihn für uns zu ködern. Diesem Treiben wenigstens einigermaßen
Einhalt gethan zu haben, können sich die „Grenzboten" zum Verdienste anrech¬
nen. Wie lange es nachhalten wird? Wir Wissen's nicht, aber wir werden auf
dem Posten bleiben.




Literatur.
Die Oster- und Passionsspiele. Literarhistorische Untersuchungen über den
Ursprung und die Entwicklung derselben bis zum 17. Jahrhundert vornehmlich in
Deutschland nebst dein erstmaligen diplomatischen Abdruck des Künzelsauer Fron-
leichnmusspieles. Von Gustav Milchsack. 1. Die lateinischen Osterfciern. Wolfen-
büttel, Zwißler, 1880.

Zur guten Stunde, in der Zeit, da wieder durch die Obcrammergcmer Passions¬
spiele das Interesse des ganzen gebildeten Deutschlands auf die geistliche dramatische
Dichtung gerichtet ist, erscheint die erste umfassende und gründliche, das gescnnmte
vorhandene Material beherrschende Geschichte dieser Dichtungen. Das vorliegende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/168>, abgerufen am 30.04.2024.