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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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So würden wir also dazu gelangen, abgesehen von dein besonderen Un-
glücksstern, welcher über dem Drama gewaltet hat, das langdauernde Mißgeschick
des Stückes in zwei allgemeinen Gründen zu finden. Beide fallen zu Ehren
des Dichters aus. Auf der einen Seite ist es das Erforderniß eines hohen
feinsinnigen Kunstverständnisses auf Seiten des Publikums, auf der anderen
Seite die ungeheure Schwierigkeit der Regie und der Schauspielerkräfte, um den
Anforderungen eines solchen Kunstverständnisfes bis ins Kleinste harmonisch
gerecht zu werden. Nur wo diese beiden Bedingungen erfüllt sind, kaun das
Stück wirken, aber dann redet es auch zu den Hörern mit der göttlichen Bered¬
samkeit der Kunst, auf die nur noch ein stummes Entzücken antwortet.

In einer Provinzialstadt, wo vor zwei Jahren der "Prinz von Homburg"
überhaupt zum ersten Male über die Bretter ging und nach einen: erschreckend
leeren Hause mit kopfschüttelnden Zuschauern still wieder verschwand, beiden die
Meininger dann dasselbe Stück dreimal hintereinander bei ausverkauftem Hause
und mit jener tiefen seelischen Wirkung auf die ergriffenen Zuschauer gegeben,
welche nur wahre Kunst hervorrufen kann- Die Stücke Kleists verlangen eben,
wenn sie nicht bisweilen geradezu abgeschmackt wirken sollen, einen ungeheuern
Aufwand von Fleiß, Studium und Instruction für die Schauspieler. Bei den
Meiningern ist es zu bewundern, mit welcher intimen Kenntniß des Dichters,
mit welch' feinsinnigen Verständniß seiner berechtigten Intentionen, mit welchem
liebevollen, von Pietät und künstlerischer Begeisterung begleiteten Ernste, mit
welcher Straffheit der Disciplin sie den scenischen Ausbau und die schauspiele-
usche Wiedergabe der Werke des Dichters zur Vollendung zu fördern sich be¬
müht haben. Das Verdienst, welches sich der Herzog von Meinigen erworben
hat, dadurch daß er es erreicht hat, die Meisterwerke des Genius mit der von
dein Dichter selbst beabsichtigten Wirkung von der Bühne -- der Schule der Er¬
wachsenen -- herab in die Masse des bildungs- und idealbedürftigen Volkes
Zu gießen, ist eine That, welche einst nicht sowohl in die Theatergeschichte als
M die Kulturgeschichte des deutschen Volkes gehören wird.




Neuere Militärliteratur.
Der deutsch-französische Krieg 1870--71. Redigirt von der kriegs-
äeschichtlichen Abtheilung des Großen Generalstabes. Zweüer Theil. Geschichte
"es Krieges gegen die' Republik. Hest 15--17. Mit Karten, Plänen und
Skizzen im Text. Berlin, Mittler K Sohn, 1880.

Das große kriegsgeschichtliche Werk, in welchem der preußische Generalstab
unter reger persönlicher Mitarbeit des Feldmarschalls Grafen von Moltke die


So würden wir also dazu gelangen, abgesehen von dein besonderen Un-
glücksstern, welcher über dem Drama gewaltet hat, das langdauernde Mißgeschick
des Stückes in zwei allgemeinen Gründen zu finden. Beide fallen zu Ehren
des Dichters aus. Auf der einen Seite ist es das Erforderniß eines hohen
feinsinnigen Kunstverständnisses auf Seiten des Publikums, auf der anderen
Seite die ungeheure Schwierigkeit der Regie und der Schauspielerkräfte, um den
Anforderungen eines solchen Kunstverständnisfes bis ins Kleinste harmonisch
gerecht zu werden. Nur wo diese beiden Bedingungen erfüllt sind, kaun das
Stück wirken, aber dann redet es auch zu den Hörern mit der göttlichen Bered¬
samkeit der Kunst, auf die nur noch ein stummes Entzücken antwortet.

In einer Provinzialstadt, wo vor zwei Jahren der „Prinz von Homburg"
überhaupt zum ersten Male über die Bretter ging und nach einen: erschreckend
leeren Hause mit kopfschüttelnden Zuschauern still wieder verschwand, beiden die
Meininger dann dasselbe Stück dreimal hintereinander bei ausverkauftem Hause
und mit jener tiefen seelischen Wirkung auf die ergriffenen Zuschauer gegeben,
welche nur wahre Kunst hervorrufen kann- Die Stücke Kleists verlangen eben,
wenn sie nicht bisweilen geradezu abgeschmackt wirken sollen, einen ungeheuern
Aufwand von Fleiß, Studium und Instruction für die Schauspieler. Bei den
Meiningern ist es zu bewundern, mit welcher intimen Kenntniß des Dichters,
mit welch' feinsinnigen Verständniß seiner berechtigten Intentionen, mit welchem
liebevollen, von Pietät und künstlerischer Begeisterung begleiteten Ernste, mit
welcher Straffheit der Disciplin sie den scenischen Ausbau und die schauspiele-
usche Wiedergabe der Werke des Dichters zur Vollendung zu fördern sich be¬
müht haben. Das Verdienst, welches sich der Herzog von Meinigen erworben
hat, dadurch daß er es erreicht hat, die Meisterwerke des Genius mit der von
dein Dichter selbst beabsichtigten Wirkung von der Bühne — der Schule der Er¬
wachsenen — herab in die Masse des bildungs- und idealbedürftigen Volkes
Zu gießen, ist eine That, welche einst nicht sowohl in die Theatergeschichte als
M die Kulturgeschichte des deutschen Volkes gehören wird.




Neuere Militärliteratur.
Der deutsch-französische Krieg 1870—71. Redigirt von der kriegs-
äeschichtlichen Abtheilung des Großen Generalstabes. Zweüer Theil. Geschichte
«es Krieges gegen die' Republik. Hest 15—17. Mit Karten, Plänen und
Skizzen im Text. Berlin, Mittler K Sohn, 1880.

Das große kriegsgeschichtliche Werk, in welchem der preußische Generalstab
unter reger persönlicher Mitarbeit des Feldmarschalls Grafen von Moltke die


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[0296] So würden wir also dazu gelangen, abgesehen von dein besonderen Un- glücksstern, welcher über dem Drama gewaltet hat, das langdauernde Mißgeschick des Stückes in zwei allgemeinen Gründen zu finden. Beide fallen zu Ehren des Dichters aus. Auf der einen Seite ist es das Erforderniß eines hohen feinsinnigen Kunstverständnisses auf Seiten des Publikums, auf der anderen Seite die ungeheure Schwierigkeit der Regie und der Schauspielerkräfte, um den Anforderungen eines solchen Kunstverständnisfes bis ins Kleinste harmonisch gerecht zu werden. Nur wo diese beiden Bedingungen erfüllt sind, kaun das Stück wirken, aber dann redet es auch zu den Hörern mit der göttlichen Bered¬ samkeit der Kunst, auf die nur noch ein stummes Entzücken antwortet. In einer Provinzialstadt, wo vor zwei Jahren der „Prinz von Homburg" überhaupt zum ersten Male über die Bretter ging und nach einen: erschreckend leeren Hause mit kopfschüttelnden Zuschauern still wieder verschwand, beiden die Meininger dann dasselbe Stück dreimal hintereinander bei ausverkauftem Hause und mit jener tiefen seelischen Wirkung auf die ergriffenen Zuschauer gegeben, welche nur wahre Kunst hervorrufen kann- Die Stücke Kleists verlangen eben, wenn sie nicht bisweilen geradezu abgeschmackt wirken sollen, einen ungeheuern Aufwand von Fleiß, Studium und Instruction für die Schauspieler. Bei den Meiningern ist es zu bewundern, mit welcher intimen Kenntniß des Dichters, mit welch' feinsinnigen Verständniß seiner berechtigten Intentionen, mit welchem liebevollen, von Pietät und künstlerischer Begeisterung begleiteten Ernste, mit welcher Straffheit der Disciplin sie den scenischen Ausbau und die schauspiele- usche Wiedergabe der Werke des Dichters zur Vollendung zu fördern sich be¬ müht haben. Das Verdienst, welches sich der Herzog von Meinigen erworben hat, dadurch daß er es erreicht hat, die Meisterwerke des Genius mit der von dein Dichter selbst beabsichtigten Wirkung von der Bühne — der Schule der Er¬ wachsenen — herab in die Masse des bildungs- und idealbedürftigen Volkes Zu gießen, ist eine That, welche einst nicht sowohl in die Theatergeschichte als M die Kulturgeschichte des deutschen Volkes gehören wird. Neuere Militärliteratur. Der deutsch-französische Krieg 1870—71. Redigirt von der kriegs- äeschichtlichen Abtheilung des Großen Generalstabes. Zweüer Theil. Geschichte «es Krieges gegen die' Republik. Hest 15—17. Mit Karten, Plänen und Skizzen im Text. Berlin, Mittler K Sohn, 1880. Das große kriegsgeschichtliche Werk, in welchem der preußische Generalstab unter reger persönlicher Mitarbeit des Feldmarschalls Grafen von Moltke die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/296>, abgerufen am 30.04.2024.