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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Mißmuth zu mindern oder uus gar in eine heitere Stimmung zu versetzen,
denn wir mußten in Folge eingetretenen Übeln Wetters bis an die Waden im
Schmutze uns fortschleppen. Unter großen Mühseligkeiten erreichten wir Tilsit.
In der ersten Nacht, die wir dort zubrachten, trat ein heftiger Frost ein, so
daß Alles gefroren war; es war der Anfang von der Kälte, die nachher, in
Verbindung mit anderen Umständen, dem Kriegsglttcke der Franzosen eine so
unvermuthete Wendung gab.


2.
Durch Polen. Bis Wilna.

Jetzt begann für uns ein sehr trübes Leben. Wir zogen durch polnisches
Gebiet und Litthauen und trafen da großen Mangel an Nahrungsmitteln- Wo
es ja noch etwas zu leben gab, war man abgeneigt, den Soldaten einen Theil
davon zukommen zu lassen. Besonders zeigten sich die polnischen Grafen und
Edelleute von sehr gehässiger Seite: stolz, störrig, gefühllos. Mir selbst gab
einer derselben seine Härte auf eine handgreifliche Weise zu empfinden, aber er
wurde auch dafür verdientermaßen gezüchtigt. Ich kam nämlich, in der Absicht,
für den Generalstab Quartier zu machen, in ein gräfliches, nicht weit von der
Straße gelegenes Schloß, während die übrigen Quartiermacher sich in gleicher
Absicht in die benachbarten Ortschaften mit dem Versprechen begeben hatten,
nach verrichteter Sache zu mir zurückzukommen. Höflich kündigte ich im Schlosse
die Einquartierung an und bat den Grafen, er möge mir die Quartiere zeigen,
wo etwa dreißig Offiziere logiren wollten. Er aber erwiederte mir in barschem
Tone, mit dem Ausdruck der Verachtung: unten in der Bedientenstube sei für
die Leute Platz genug. Ich entgegnete ihm, das gehe nicht an, er möge mir
die Zimmer zeigen, wo die Offiziere anständig untergebracht werden könnten.
Da faßte er mich mit den Worten bei der Brust: "Die Bedientenstube ist gut
genug dazu." Ich hielt es für gut, an mich zu halten und außerhalb des Ge¬
höftes die anderen Fourierschützen zu erwarten. Sie kamen. Ich sagte ihnen,
was für eine Stimmung hier herrsche, wie es mir bereits ergangen sei, und
daß ich noch einen Versuch machen wolle, den Grafen milder zu stimmen; bei
fortgesetzter Hartnäckigkeit des gestrengen Herrn sollten sie aber eintreten und
das, wozu er sich nicht gutwillig verstehen wolle, erzwingen. In den ungastfrennd-
lichen Palast zurückgekehrt, ließ ich den in einem oberen Zimmer befindlichen
"gnädigen", gegen mich aber ungnädigen Herrn um die Gefälligkeit ersuchen, sich



**) Bgl. Th. Theusi, Rückblicke und Erinnerungen aus den Tagen meiner russischen
Gefangenschaft, Leipzig, 1816, S. 10: "Die Kälte war bereits so heftig, daß mehreren
Soldaten während des Marschirens Hände und Füße erfroren."

Mißmuth zu mindern oder uus gar in eine heitere Stimmung zu versetzen,
denn wir mußten in Folge eingetretenen Übeln Wetters bis an die Waden im
Schmutze uns fortschleppen. Unter großen Mühseligkeiten erreichten wir Tilsit.
In der ersten Nacht, die wir dort zubrachten, trat ein heftiger Frost ein, so
daß Alles gefroren war; es war der Anfang von der Kälte, die nachher, in
Verbindung mit anderen Umständen, dem Kriegsglttcke der Franzosen eine so
unvermuthete Wendung gab.


2.
Durch Polen. Bis Wilna.

Jetzt begann für uns ein sehr trübes Leben. Wir zogen durch polnisches
Gebiet und Litthauen und trafen da großen Mangel an Nahrungsmitteln- Wo
es ja noch etwas zu leben gab, war man abgeneigt, den Soldaten einen Theil
davon zukommen zu lassen. Besonders zeigten sich die polnischen Grafen und
Edelleute von sehr gehässiger Seite: stolz, störrig, gefühllos. Mir selbst gab
einer derselben seine Härte auf eine handgreifliche Weise zu empfinden, aber er
wurde auch dafür verdientermaßen gezüchtigt. Ich kam nämlich, in der Absicht,
für den Generalstab Quartier zu machen, in ein gräfliches, nicht weit von der
Straße gelegenes Schloß, während die übrigen Quartiermacher sich in gleicher
Absicht in die benachbarten Ortschaften mit dem Versprechen begeben hatten,
nach verrichteter Sache zu mir zurückzukommen. Höflich kündigte ich im Schlosse
die Einquartierung an und bat den Grafen, er möge mir die Quartiere zeigen,
wo etwa dreißig Offiziere logiren wollten. Er aber erwiederte mir in barschem
Tone, mit dem Ausdruck der Verachtung: unten in der Bedientenstube sei für
die Leute Platz genug. Ich entgegnete ihm, das gehe nicht an, er möge mir
die Zimmer zeigen, wo die Offiziere anständig untergebracht werden könnten.
Da faßte er mich mit den Worten bei der Brust: „Die Bedientenstube ist gut
genug dazu." Ich hielt es für gut, an mich zu halten und außerhalb des Ge¬
höftes die anderen Fourierschützen zu erwarten. Sie kamen. Ich sagte ihnen,
was für eine Stimmung hier herrsche, wie es mir bereits ergangen sei, und
daß ich noch einen Versuch machen wolle, den Grafen milder zu stimmen; bei
fortgesetzter Hartnäckigkeit des gestrengen Herrn sollten sie aber eintreten und
das, wozu er sich nicht gutwillig verstehen wolle, erzwingen. In den ungastfrennd-
lichen Palast zurückgekehrt, ließ ich den in einem oberen Zimmer befindlichen
„gnädigen", gegen mich aber ungnädigen Herrn um die Gefälligkeit ersuchen, sich



**) Bgl. Th. Theusi, Rückblicke und Erinnerungen aus den Tagen meiner russischen
Gefangenschaft, Leipzig, 1816, S. 10: „Die Kälte war bereits so heftig, daß mehreren
Soldaten während des Marschirens Hände und Füße erfroren."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/319>, abgerufen am 30.04.2024.