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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Da wir in der Stadt unmöglich Quartiere bekommen konnten, so suchten
wir uns solche außerhalb derselben in einem leeren, an der Straße nach Wilna
zu freistehenden Gebäude ohne Fenster, in welches wir von selbst unsere Zuflucht
nahmen, um uicht unter freiem Himmel liegen und da, bei der strengen Kälte,
erstarren zu müssen. Es war durch die Menge der dort zusammengeschichteten
Menschen warm darin. Mir aber war das Liegen ans dem hier befindlichen
Stroh, welches von einer Menge Ungeziefer verschiedener Art durchwühlt wurde,
eine Pein. Daher kroch ich jedesmal gegen Abend hinaus zu dem in einem
nahen Gehölze bei einem Feuer lagernden Hvboistencorps, kauerte mich, um
etwas Wärme zu genießen, neben demselben hin und schlich früh zu meinen
bejammernswerthen Kameraden zurück.

Von hier "ach Wilna gewiesen, fanden wir auf der ganzen Strecke kein
Quartier, wo wir uns gegen die Kälte hätten schützen können; Ställe nur und
Hätten wurden uns zu unserem kurzen Aufenthalte angewiesen. Unter den
größten Mühseligkeiten und Leiden kamen wir endlich in Wilna an.


3.
Wilna. Oßmiana. Die xi'.inäo g.rinv<z.

In Wilna wurde unser Bataillon in einer Judensynagoge einquartiert.
Mir nebst einem anderen wurde der Auftrag, die Verpflegung desselben zu be¬
sorgen. Dadurch erlangte ich einiges Ansehen, und der oberste der Juden er¬
laubte mir, eine Ruhestelle in einem Bette einzunehmen, das im Hörsaale hinter
einer spanische" Wand stand. So hatte ich das Glück, uach mehreren trübsalsvollen
Tagen wieder einmal ausruhen zu können. Auch zog er mich an seinen Tisch
und erquickte mich äußerst theilnehmend. Als ehemaliger Schulmeister hatte ich
Auge und Ohr für das, was in dieser Synagoge vorging. Ich hörte, wie die
Stadien von Lehrern und Schülern getrieben wurden. Früh um 2 oder 3 Uhr
wurde das Werk in der dabei befindlichen Kirche begonnen. Ich vernahm frei¬
lich weiter nichts als ein Plappern oder Brummen; aber aus den Geberden,
die sich dabei zeigten, mußte ich schließen, daß diese Gottesverehrung sehr eifrig
sei, indem man dadurch Gott zu versöhnen und zu bewegen suchte, deu Feind
baldigst zu entfernen.

Ein großer Theil unserer Leute blieb in dieser Judenschule krank zurück,
als ich mit den übrigen Gesunden nach einigen Tagen vorwärts nach Smo-
lensk zu in das Städtchen Oßmiana beordert wurde. Hier eingerückt, erhielten
wir Befehl, in das am Ende des Ortes liegende Magazin zu gehen und Lebens-
'"ndet zu fassen. Allein auf dem Wege dahin hörten wir, daß nichts mehr da
sei, und sahen auch Russen, meistens Kosaken kommen, von welchen einige der


Da wir in der Stadt unmöglich Quartiere bekommen konnten, so suchten
wir uns solche außerhalb derselben in einem leeren, an der Straße nach Wilna
zu freistehenden Gebäude ohne Fenster, in welches wir von selbst unsere Zuflucht
nahmen, um uicht unter freiem Himmel liegen und da, bei der strengen Kälte,
erstarren zu müssen. Es war durch die Menge der dort zusammengeschichteten
Menschen warm darin. Mir aber war das Liegen ans dem hier befindlichen
Stroh, welches von einer Menge Ungeziefer verschiedener Art durchwühlt wurde,
eine Pein. Daher kroch ich jedesmal gegen Abend hinaus zu dem in einem
nahen Gehölze bei einem Feuer lagernden Hvboistencorps, kauerte mich, um
etwas Wärme zu genießen, neben demselben hin und schlich früh zu meinen
bejammernswerthen Kameraden zurück.

Von hier »ach Wilna gewiesen, fanden wir auf der ganzen Strecke kein
Quartier, wo wir uns gegen die Kälte hätten schützen können; Ställe nur und
Hätten wurden uns zu unserem kurzen Aufenthalte angewiesen. Unter den
größten Mühseligkeiten und Leiden kamen wir endlich in Wilna an.


3.
Wilna. Oßmiana. Die xi'.inäo g.rinv<z.

In Wilna wurde unser Bataillon in einer Judensynagoge einquartiert.
Mir nebst einem anderen wurde der Auftrag, die Verpflegung desselben zu be¬
sorgen. Dadurch erlangte ich einiges Ansehen, und der oberste der Juden er¬
laubte mir, eine Ruhestelle in einem Bette einzunehmen, das im Hörsaale hinter
einer spanische« Wand stand. So hatte ich das Glück, uach mehreren trübsalsvollen
Tagen wieder einmal ausruhen zu können. Auch zog er mich an seinen Tisch
und erquickte mich äußerst theilnehmend. Als ehemaliger Schulmeister hatte ich
Auge und Ohr für das, was in dieser Synagoge vorging. Ich hörte, wie die
Stadien von Lehrern und Schülern getrieben wurden. Früh um 2 oder 3 Uhr
wurde das Werk in der dabei befindlichen Kirche begonnen. Ich vernahm frei¬
lich weiter nichts als ein Plappern oder Brummen; aber aus den Geberden,
die sich dabei zeigten, mußte ich schließen, daß diese Gottesverehrung sehr eifrig
sei, indem man dadurch Gott zu versöhnen und zu bewegen suchte, deu Feind
baldigst zu entfernen.

Ein großer Theil unserer Leute blieb in dieser Judenschule krank zurück,
als ich mit den übrigen Gesunden nach einigen Tagen vorwärts nach Smo-
lensk zu in das Städtchen Oßmiana beordert wurde. Hier eingerückt, erhielten
wir Befehl, in das am Ende des Ortes liegende Magazin zu gehen und Lebens-
'"ndet zu fassen. Allein auf dem Wege dahin hörten wir, daß nichts mehr da
sei, und sahen auch Russen, meistens Kosaken kommen, von welchen einige der


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[0322] Da wir in der Stadt unmöglich Quartiere bekommen konnten, so suchten wir uns solche außerhalb derselben in einem leeren, an der Straße nach Wilna zu freistehenden Gebäude ohne Fenster, in welches wir von selbst unsere Zuflucht nahmen, um uicht unter freiem Himmel liegen und da, bei der strengen Kälte, erstarren zu müssen. Es war durch die Menge der dort zusammengeschichteten Menschen warm darin. Mir aber war das Liegen ans dem hier befindlichen Stroh, welches von einer Menge Ungeziefer verschiedener Art durchwühlt wurde, eine Pein. Daher kroch ich jedesmal gegen Abend hinaus zu dem in einem nahen Gehölze bei einem Feuer lagernden Hvboistencorps, kauerte mich, um etwas Wärme zu genießen, neben demselben hin und schlich früh zu meinen bejammernswerthen Kameraden zurück. Von hier »ach Wilna gewiesen, fanden wir auf der ganzen Strecke kein Quartier, wo wir uns gegen die Kälte hätten schützen können; Ställe nur und Hätten wurden uns zu unserem kurzen Aufenthalte angewiesen. Unter den größten Mühseligkeiten und Leiden kamen wir endlich in Wilna an. 3. Wilna. Oßmiana. Die xi'.inäo g.rinv<z. In Wilna wurde unser Bataillon in einer Judensynagoge einquartiert. Mir nebst einem anderen wurde der Auftrag, die Verpflegung desselben zu be¬ sorgen. Dadurch erlangte ich einiges Ansehen, und der oberste der Juden er¬ laubte mir, eine Ruhestelle in einem Bette einzunehmen, das im Hörsaale hinter einer spanische« Wand stand. So hatte ich das Glück, uach mehreren trübsalsvollen Tagen wieder einmal ausruhen zu können. Auch zog er mich an seinen Tisch und erquickte mich äußerst theilnehmend. Als ehemaliger Schulmeister hatte ich Auge und Ohr für das, was in dieser Synagoge vorging. Ich hörte, wie die Stadien von Lehrern und Schülern getrieben wurden. Früh um 2 oder 3 Uhr wurde das Werk in der dabei befindlichen Kirche begonnen. Ich vernahm frei¬ lich weiter nichts als ein Plappern oder Brummen; aber aus den Geberden, die sich dabei zeigten, mußte ich schließen, daß diese Gottesverehrung sehr eifrig sei, indem man dadurch Gott zu versöhnen und zu bewegen suchte, deu Feind baldigst zu entfernen. Ein großer Theil unserer Leute blieb in dieser Judenschule krank zurück, als ich mit den übrigen Gesunden nach einigen Tagen vorwärts nach Smo- lensk zu in das Städtchen Oßmiana beordert wurde. Hier eingerückt, erhielten wir Befehl, in das am Ende des Ortes liegende Magazin zu gehen und Lebens- '"ndet zu fassen. Allein auf dem Wege dahin hörten wir, daß nichts mehr da sei, und sahen auch Russen, meistens Kosaken kommen, von welchen einige der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/322>, abgerufen am 30.04.2024.