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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Physignomien, die aus deren Fenstern schauen, und man wird sich sagen, daß
sich in der deutschen Kaiserstadt erfüllt hat, was Friedrich der Große in Breslau
verhütet wisse" wollte, daß hier "gantze Fölkersch after von Juden angebracht
und ein gcmtzes Jerusalem daraus gemacht ist."




Freiherr von Meusebach und die Gebrüder Grimm.

Ein reichbegabter und in mehrfacher Hinsicht bedeutender Mann war Carl
Hartwig Gregor Freiherr von Meusebach. Er war nicht nur ein ge¬
lehrter und scharfsinniger Jurist, soudern auch ein vielseitiger und gründlicher
Kenner der deutschen Literatur, zudem ein Mann von edler Sittlichkeit, theil-
nehmender Liebenswürdigkeit, feinem Blick und unerschöpflichen Humor. Frei¬
lich lag auch eine übergroße Nervosität und leicht aufbrausende Heftigkeit in
seinem Wesen; langjährige Schwerhörigkeit machte ihn mißtrauisch, oft selbst
gegen den verwandtschaftlich oder freundschaftlich Nahestehenden.

Geboren am 6. Juni 1781 in Neubrandenburg (Mecklenburg - Strelitz),
wurde er, nachdem er seine Studien in Göttingen und Leipzig beendet, in Nassau
Auditor und Assessor, verfolgt im Bergischen -- wie er selbst im Jahre 1830
äußerte -- "mit Lust und Liebe die Verbrechen", bekam im Jahre l814 die
Leitung des Justizwesens in Trier und wurde 1815 zum Präsidenten des für
die Rheinlande provisorisch errichteten Revisionshofes in Coblenz ernannt. In
den dortigen Kreis einflußreicher Männer und geistvoller Frauen brachte er das
erheiternde und belebende Element; er hieß "der Präsident der Coblenzer Lie¬
benswürdigkeit". Er hatte damals Lebenslust und Freude am Verkehr mit
Menschen, und diesen Pflegte er auch weiter, als er 1819 als Geheimer Ober-
Nevisions-Rath nach Berlin versetzt wurde. Seine Wohnung (Carlsstraße 26)
gewährte Gelegenheit, viele bedeutende Männer und Frauen aus der Nähe und
Ferne kennen zu lernen. Zeitgenossen werden sich gern noch der in diesen
Räumen genossenen belehrenden und anregenden wissenschaftlichen Unterhaltung
erinnern, einzelne Bevorzugte wohl auch dankbar des menschenfreundlichen
Mannes gedenken, der ihnen durch eine sinnige Weihnachtsbescheerung Freude
bereitete und in dem großen Berlin ihnen die Heimat an diesem Kinderabend
zu ersetzen suchte.

Seine Mußestunden, die meist der Nacht angehörten, weil Meusebach gegen
das "Laster des Schlafes" eiferte, wurden fast ausschließlich germanistischen
Studien und Forschungen gewidmet. Namentlich beschäftigte ihn das deutsche


Physignomien, die aus deren Fenstern schauen, und man wird sich sagen, daß
sich in der deutschen Kaiserstadt erfüllt hat, was Friedrich der Große in Breslau
verhütet wisse» wollte, daß hier „gantze Fölkersch after von Juden angebracht
und ein gcmtzes Jerusalem daraus gemacht ist."




Freiherr von Meusebach und die Gebrüder Grimm.

Ein reichbegabter und in mehrfacher Hinsicht bedeutender Mann war Carl
Hartwig Gregor Freiherr von Meusebach. Er war nicht nur ein ge¬
lehrter und scharfsinniger Jurist, soudern auch ein vielseitiger und gründlicher
Kenner der deutschen Literatur, zudem ein Mann von edler Sittlichkeit, theil-
nehmender Liebenswürdigkeit, feinem Blick und unerschöpflichen Humor. Frei¬
lich lag auch eine übergroße Nervosität und leicht aufbrausende Heftigkeit in
seinem Wesen; langjährige Schwerhörigkeit machte ihn mißtrauisch, oft selbst
gegen den verwandtschaftlich oder freundschaftlich Nahestehenden.

Geboren am 6. Juni 1781 in Neubrandenburg (Mecklenburg - Strelitz),
wurde er, nachdem er seine Studien in Göttingen und Leipzig beendet, in Nassau
Auditor und Assessor, verfolgt im Bergischen — wie er selbst im Jahre 1830
äußerte — „mit Lust und Liebe die Verbrechen", bekam im Jahre l814 die
Leitung des Justizwesens in Trier und wurde 1815 zum Präsidenten des für
die Rheinlande provisorisch errichteten Revisionshofes in Coblenz ernannt. In
den dortigen Kreis einflußreicher Männer und geistvoller Frauen brachte er das
erheiternde und belebende Element; er hieß „der Präsident der Coblenzer Lie¬
benswürdigkeit". Er hatte damals Lebenslust und Freude am Verkehr mit
Menschen, und diesen Pflegte er auch weiter, als er 1819 als Geheimer Ober-
Nevisions-Rath nach Berlin versetzt wurde. Seine Wohnung (Carlsstraße 26)
gewährte Gelegenheit, viele bedeutende Männer und Frauen aus der Nähe und
Ferne kennen zu lernen. Zeitgenossen werden sich gern noch der in diesen
Räumen genossenen belehrenden und anregenden wissenschaftlichen Unterhaltung
erinnern, einzelne Bevorzugte wohl auch dankbar des menschenfreundlichen
Mannes gedenken, der ihnen durch eine sinnige Weihnachtsbescheerung Freude
bereitete und in dem großen Berlin ihnen die Heimat an diesem Kinderabend
zu ersetzen suchte.

Seine Mußestunden, die meist der Nacht angehörten, weil Meusebach gegen
das „Laster des Schlafes" eiferte, wurden fast ausschließlich germanistischen
Studien und Forschungen gewidmet. Namentlich beschäftigte ihn das deutsche


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[0339] Physignomien, die aus deren Fenstern schauen, und man wird sich sagen, daß sich in der deutschen Kaiserstadt erfüllt hat, was Friedrich der Große in Breslau verhütet wisse» wollte, daß hier „gantze Fölkersch after von Juden angebracht und ein gcmtzes Jerusalem daraus gemacht ist." Freiherr von Meusebach und die Gebrüder Grimm. Ein reichbegabter und in mehrfacher Hinsicht bedeutender Mann war Carl Hartwig Gregor Freiherr von Meusebach. Er war nicht nur ein ge¬ lehrter und scharfsinniger Jurist, soudern auch ein vielseitiger und gründlicher Kenner der deutschen Literatur, zudem ein Mann von edler Sittlichkeit, theil- nehmender Liebenswürdigkeit, feinem Blick und unerschöpflichen Humor. Frei¬ lich lag auch eine übergroße Nervosität und leicht aufbrausende Heftigkeit in seinem Wesen; langjährige Schwerhörigkeit machte ihn mißtrauisch, oft selbst gegen den verwandtschaftlich oder freundschaftlich Nahestehenden. Geboren am 6. Juni 1781 in Neubrandenburg (Mecklenburg - Strelitz), wurde er, nachdem er seine Studien in Göttingen und Leipzig beendet, in Nassau Auditor und Assessor, verfolgt im Bergischen — wie er selbst im Jahre 1830 äußerte — „mit Lust und Liebe die Verbrechen", bekam im Jahre l814 die Leitung des Justizwesens in Trier und wurde 1815 zum Präsidenten des für die Rheinlande provisorisch errichteten Revisionshofes in Coblenz ernannt. In den dortigen Kreis einflußreicher Männer und geistvoller Frauen brachte er das erheiternde und belebende Element; er hieß „der Präsident der Coblenzer Lie¬ benswürdigkeit". Er hatte damals Lebenslust und Freude am Verkehr mit Menschen, und diesen Pflegte er auch weiter, als er 1819 als Geheimer Ober- Nevisions-Rath nach Berlin versetzt wurde. Seine Wohnung (Carlsstraße 26) gewährte Gelegenheit, viele bedeutende Männer und Frauen aus der Nähe und Ferne kennen zu lernen. Zeitgenossen werden sich gern noch der in diesen Räumen genossenen belehrenden und anregenden wissenschaftlichen Unterhaltung erinnern, einzelne Bevorzugte wohl auch dankbar des menschenfreundlichen Mannes gedenken, der ihnen durch eine sinnige Weihnachtsbescheerung Freude bereitete und in dem großen Berlin ihnen die Heimat an diesem Kinderabend zu ersetzen suchte. Seine Mußestunden, die meist der Nacht angehörten, weil Meusebach gegen das „Laster des Schlafes" eiferte, wurden fast ausschließlich germanistischen Studien und Forschungen gewidmet. Namentlich beschäftigte ihn das deutsche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/339>, abgerufen am 30.04.2024.