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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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peinigt hatten, fingen nun an, sich etwas zu mindern. Je weiter wir uns vom
Kriegsschauplatze entfernten, desto öfterer wurden wir in warme Stuben ein¬
quartiert, desto mehr Mitleiden schenkte man uns, desto mehr Geneigtheit zur
Erleichterung unseres Schicksals kam uns entgegen. So kam es, daß ich in der
Gegend von Ostrow und Pleskow mit neuem Lebensmuthe allmählich auch wieder
zu einigem Gebrauche meiner Lebenskräfte gelangte.

(Schluß folgt.)




Moderne Literaturzustände.

Der Tiefsinn des deutschen Volksmärchens hat es oft und drastisch genug
dargestellt, wie die dämonisch wachsenden, nie zu stillender eigenen Wünsche des
Menschen zu feindseligen Gewalten werden, die ihren Urheber vernichten, oder
er hat auch mit humoristischer Wendung jene nothgedrungene Selbsterkenntniß
geschildert, die aus der Ueberhebung falschen Glückes zur gedeihlichen Beschränkt¬
heit zurückkehrt. Von der Fischerin im Pot, die nacheinander Edelfrau, Fürstin,
Kaiserin und Papst wird, um beim letzten frevelhaften Wunsche, Gott zu sein, glück¬
lich wieder in ihren Pot zurückgeschleudert zu werden, bis zu Hans im Glücke,
der schließlich dem Himmel dankt, leer, wie er ausgegangen, aber heiler Haut
wieder heimzukommen -- welch' eine Reihe von Erzählungen, die das eine
Thema behandeln! Dagegen wüßten wir uns keines Märchens zu erinnern,
das einen minder hastigen Umschwung als den von einem Extrem zum anderen
mit Vorliebe schilderte oder einen rückläufig gewandten Helden sich unterwegs
besinnen ließe. Die Gewalt der Thatsachen und der Bildung mag besonnene
Umkehr und Einkehr bewirken; in der Menschennatur liegt der Zug und Drang
zum Aeußersten nur allzu tief, und auf jedem Gebiete ist die Gefahr eines
plötzlichen Polwechsels vorhanden. Kluge Politiker vermögen es mit allem Auf¬
gebot von Scharfsinn und Kraft nicht zu hindern, daß die öffentliche Meinung
von rechts nach links umspringt und umgekehrt, und selbst in ästhetischen
Dingen, wo das Individuum scheinbar alles und die wetterwendische Nei¬
gung der Masse nichts bedeutet, stehen denen Überraschungen bevor, welche
allzu fest auf den endgiltigen Sieg einer Richtung -- und wäre es die ge¬
sündeste und beste -- vertraut haben. Der Herrschaft des einen Extrems droht
um so sicherer die des andern zu folgen. Wer mit Sorge die neueste Wendung
des künstlerischen, namentlich des poetischen Realismus zum brutalen Naturalis¬
mus und der inhaltslosesten Modellcopie obenein kläglichster Modelle sah, der


Grenzboten Hi. 1830. S3

peinigt hatten, fingen nun an, sich etwas zu mindern. Je weiter wir uns vom
Kriegsschauplatze entfernten, desto öfterer wurden wir in warme Stuben ein¬
quartiert, desto mehr Mitleiden schenkte man uns, desto mehr Geneigtheit zur
Erleichterung unseres Schicksals kam uns entgegen. So kam es, daß ich in der
Gegend von Ostrow und Pleskow mit neuem Lebensmuthe allmählich auch wieder
zu einigem Gebrauche meiner Lebenskräfte gelangte.

(Schluß folgt.)




Moderne Literaturzustände.

Der Tiefsinn des deutschen Volksmärchens hat es oft und drastisch genug
dargestellt, wie die dämonisch wachsenden, nie zu stillender eigenen Wünsche des
Menschen zu feindseligen Gewalten werden, die ihren Urheber vernichten, oder
er hat auch mit humoristischer Wendung jene nothgedrungene Selbsterkenntniß
geschildert, die aus der Ueberhebung falschen Glückes zur gedeihlichen Beschränkt¬
heit zurückkehrt. Von der Fischerin im Pot, die nacheinander Edelfrau, Fürstin,
Kaiserin und Papst wird, um beim letzten frevelhaften Wunsche, Gott zu sein, glück¬
lich wieder in ihren Pot zurückgeschleudert zu werden, bis zu Hans im Glücke,
der schließlich dem Himmel dankt, leer, wie er ausgegangen, aber heiler Haut
wieder heimzukommen — welch' eine Reihe von Erzählungen, die das eine
Thema behandeln! Dagegen wüßten wir uns keines Märchens zu erinnern,
das einen minder hastigen Umschwung als den von einem Extrem zum anderen
mit Vorliebe schilderte oder einen rückläufig gewandten Helden sich unterwegs
besinnen ließe. Die Gewalt der Thatsachen und der Bildung mag besonnene
Umkehr und Einkehr bewirken; in der Menschennatur liegt der Zug und Drang
zum Aeußersten nur allzu tief, und auf jedem Gebiete ist die Gefahr eines
plötzlichen Polwechsels vorhanden. Kluge Politiker vermögen es mit allem Auf¬
gebot von Scharfsinn und Kraft nicht zu hindern, daß die öffentliche Meinung
von rechts nach links umspringt und umgekehrt, und selbst in ästhetischen
Dingen, wo das Individuum scheinbar alles und die wetterwendische Nei¬
gung der Masse nichts bedeutet, stehen denen Überraschungen bevor, welche
allzu fest auf den endgiltigen Sieg einer Richtung — und wäre es die ge¬
sündeste und beste — vertraut haben. Der Herrschaft des einen Extrems droht
um so sicherer die des andern zu folgen. Wer mit Sorge die neueste Wendung
des künstlerischen, namentlich des poetischen Realismus zum brutalen Naturalis¬
mus und der inhaltslosesten Modellcopie obenein kläglichster Modelle sah, der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/414>, abgerufen am 30.04.2024.