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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Wir schließen diese Skizze mit einem Wunsche. Möge es die österreichische
Archäologie, die erst vor kurzem an der Wiener Universität sich ein neues In¬
stitut geschaffen, bald als ihre Aufgabe betrachten, eine systematische Ausgrabung
und Durchforschung der Trümmer Viruuums vorzunehmen. Es giebt kein Land,
wo mehr Eifer und Geschick für die Erkenntniß mittelalterlicher und neuzeitlicher
Kunstdenkmäler aufgeboten würde und das ein trefflicheres Centralorgcm für
diese Forschungen besäße als Deutsch-Oesterreich. Eine versunkene Römerstadt
aber, bei der keine moderne Bebauung die Nachgrabungen hindert, nur Feld
und Wald die Reste decken, ist gewiß der Aufmerksamkeit werth. Ein Pompeji
freilich wird man nicht finden, aber nach dem Bisherigen darf man wohl mit
Sicherheit Kunstwerke mannigfacher Art erwarten und wird vor allem über die
ganze Anlage einer der bedeutendsten Römerstädte auf nun deutschem Boden
ins Klare kommen.


Otto Kaemmel.


Gottfried Keller.
Adolf Stern. von1.

In keiner zweiten Literatur sind die individuellen Verschiedenheiten des
Talents und der persönlichen Dichtererscheinung so groß und tiefgehend wie
in der deutschen, bei keinem zweiten Volke sollte die Gewöhnung an die Viel¬
artigkeit der Begabungen und Naturen eine so allgemein verbreitete sein wie bei
uns Deutschen. Gleichwohl empfinden wir jeden Tag, daß ein großer Theil des
Publikums und ein nicht unbeträchtlicher Theil der Kritik sich fort und fort in
höchst einseitigen Vorstellungen über die Eigenart und die Erscheinungsformen
des poetischen Talents bewegen. Wollte man nach Paradoxen haschen, so ließe
sich sagen und bis zu einem gewissen Punkte erweisen, daß ein Theil der
Deutschen seine Dichterideale wo nicht gar nach der Jammerfigur des Lorenz
Kindlein in Kotzebues "Armem Poeten", so doch nach dem Bilde des braven,
frommen Gellert einerseits und dem des jugendlich enthusiastischen Theodor
Körner andrerseits formt und dann regelmäßig enttäuscht ist, wenn ein Dichter
mit keinem Zuge an einen dieser beiden erinnert. Die hohe Tageskritik aber,
die natürlich sehr wohl weiß, daß die poetischen Darsteller der Welt mannig¬
faltig sind und sein müssen, wie die Welt selbst, hat wechselnde Lieblingsnei-


Wir schließen diese Skizze mit einem Wunsche. Möge es die österreichische
Archäologie, die erst vor kurzem an der Wiener Universität sich ein neues In¬
stitut geschaffen, bald als ihre Aufgabe betrachten, eine systematische Ausgrabung
und Durchforschung der Trümmer Viruuums vorzunehmen. Es giebt kein Land,
wo mehr Eifer und Geschick für die Erkenntniß mittelalterlicher und neuzeitlicher
Kunstdenkmäler aufgeboten würde und das ein trefflicheres Centralorgcm für
diese Forschungen besäße als Deutsch-Oesterreich. Eine versunkene Römerstadt
aber, bei der keine moderne Bebauung die Nachgrabungen hindert, nur Feld
und Wald die Reste decken, ist gewiß der Aufmerksamkeit werth. Ein Pompeji
freilich wird man nicht finden, aber nach dem Bisherigen darf man wohl mit
Sicherheit Kunstwerke mannigfacher Art erwarten und wird vor allem über die
ganze Anlage einer der bedeutendsten Römerstädte auf nun deutschem Boden
ins Klare kommen.


Otto Kaemmel.


Gottfried Keller.
Adolf Stern. von1.

In keiner zweiten Literatur sind die individuellen Verschiedenheiten des
Talents und der persönlichen Dichtererscheinung so groß und tiefgehend wie
in der deutschen, bei keinem zweiten Volke sollte die Gewöhnung an die Viel¬
artigkeit der Begabungen und Naturen eine so allgemein verbreitete sein wie bei
uns Deutschen. Gleichwohl empfinden wir jeden Tag, daß ein großer Theil des
Publikums und ein nicht unbeträchtlicher Theil der Kritik sich fort und fort in
höchst einseitigen Vorstellungen über die Eigenart und die Erscheinungsformen
des poetischen Talents bewegen. Wollte man nach Paradoxen haschen, so ließe
sich sagen und bis zu einem gewissen Punkte erweisen, daß ein Theil der
Deutschen seine Dichterideale wo nicht gar nach der Jammerfigur des Lorenz
Kindlein in Kotzebues „Armem Poeten", so doch nach dem Bilde des braven,
frommen Gellert einerseits und dem des jugendlich enthusiastischen Theodor
Körner andrerseits formt und dann regelmäßig enttäuscht ist, wenn ein Dichter
mit keinem Zuge an einen dieser beiden erinnert. Die hohe Tageskritik aber,
die natürlich sehr wohl weiß, daß die poetischen Darsteller der Welt mannig¬
faltig sind und sein müssen, wie die Welt selbst, hat wechselnde Lieblingsnei-


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[0445] Wir schließen diese Skizze mit einem Wunsche. Möge es die österreichische Archäologie, die erst vor kurzem an der Wiener Universität sich ein neues In¬ stitut geschaffen, bald als ihre Aufgabe betrachten, eine systematische Ausgrabung und Durchforschung der Trümmer Viruuums vorzunehmen. Es giebt kein Land, wo mehr Eifer und Geschick für die Erkenntniß mittelalterlicher und neuzeitlicher Kunstdenkmäler aufgeboten würde und das ein trefflicheres Centralorgcm für diese Forschungen besäße als Deutsch-Oesterreich. Eine versunkene Römerstadt aber, bei der keine moderne Bebauung die Nachgrabungen hindert, nur Feld und Wald die Reste decken, ist gewiß der Aufmerksamkeit werth. Ein Pompeji freilich wird man nicht finden, aber nach dem Bisherigen darf man wohl mit Sicherheit Kunstwerke mannigfacher Art erwarten und wird vor allem über die ganze Anlage einer der bedeutendsten Römerstädte auf nun deutschem Boden ins Klare kommen. Otto Kaemmel. Gottfried Keller. Adolf Stern. von1. In keiner zweiten Literatur sind die individuellen Verschiedenheiten des Talents und der persönlichen Dichtererscheinung so groß und tiefgehend wie in der deutschen, bei keinem zweiten Volke sollte die Gewöhnung an die Viel¬ artigkeit der Begabungen und Naturen eine so allgemein verbreitete sein wie bei uns Deutschen. Gleichwohl empfinden wir jeden Tag, daß ein großer Theil des Publikums und ein nicht unbeträchtlicher Theil der Kritik sich fort und fort in höchst einseitigen Vorstellungen über die Eigenart und die Erscheinungsformen des poetischen Talents bewegen. Wollte man nach Paradoxen haschen, so ließe sich sagen und bis zu einem gewissen Punkte erweisen, daß ein Theil der Deutschen seine Dichterideale wo nicht gar nach der Jammerfigur des Lorenz Kindlein in Kotzebues „Armem Poeten", so doch nach dem Bilde des braven, frommen Gellert einerseits und dem des jugendlich enthusiastischen Theodor Körner andrerseits formt und dann regelmäßig enttäuscht ist, wenn ein Dichter mit keinem Zuge an einen dieser beiden erinnert. Die hohe Tageskritik aber, die natürlich sehr wohl weiß, daß die poetischen Darsteller der Welt mannig¬ faltig sind und sein müssen, wie die Welt selbst, hat wechselnde Lieblingsnei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/445>, abgerufen am 30.04.2024.