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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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ist), wo er gleichsam referirend verfährt, wird durch den köstlichen Humor, der
ihm eigen ist, bewirkt. Durch seinen Humor wird Keller in die Reihe der ersten
humoristischen Dichter gestellt; auf ihn trifft Jean Pauls Charakteristik, daß
Humor Lachen unter Thränen sei, genau so weit zu, als der Humor unseres
Dichters tief aus dem Gemüthe quillt und den innersten Antheil, ja das innigste
Mitleid an der verspotteten Thorheit und tragischen Beschränktheit der Menschen-
natur zur Voraussetzung hat. Daneben fehlt ihm auch der derbe, lustige Mutter¬
witz nicht, der über eine wirkliche Carricatur selbst ausgelassen lachen mag und das
Lachen der Andern herausfordert. Und doch ist unseres Dichters Humor keines¬
wegs der Todfeind des wirklich Erhabenen, denn er streift die Kehrseite des
letzteren kaum hie und da mit flüchtigem Blitz und wird immer im rechten
Augenblicke vom tiefsten Ernst und der schlicht sich an die Erscheinung hingeben¬
den Wärme abgelöst. Ja, die Mischung von Humor und Tragik, von über¬
legenem Spott des Dichters über die Gebrechlichkeit des Weltwesens und der
Menschennatur und die tief ergreifende und erschütternde Darstellung der leuch¬
tenden besten Seiten eben dieser Natur hat in der That etwas, was an Shake¬
speare gemahnt. Im Erstlingsroman ist diese Mischung noch nicht überall gleich
glücklich; gewisse Tiefen des Lebens haben sich dem Dichter noch nicht er¬
schlossen. Aber sie ist vorhanden und von mächtiger Wirkung. Es wird einst
eine Aufgabe für die eingehende Kritik sein, zu welcher dieser Dichter wie wenige
herausfordert, die Anfänge, die Keime aller seiner späteren Eigenthümlichkeiten
und Vorzüge im "Grünen Heinrich" nachzuweisen. Mit vollem Antheil harren
wir des Abschlusses der Neubearbeitung und überblicken inzwischen die Reihe
der Schöpfungen Kellers, die zwischen die erste Niederschrift seines Romans
und die neue Ausgabe desselben fallen, Schöpfungen, welche den Erfindungs¬
reichthum, die Phantasie wie die Gestaltungskraft des Dichters ins hellste
Licht setzen.




Die Ausstellung kunstgewerblicher Alterthümer
in Düsseldorf.

Auch die eifrigsten Förderer der modernen Bestrebungen auf dem Gebiete
des Kunstgewerbes werden es nicht leugnen, daß die so schnell in Fluß gekom¬
mene, von so lebhaftem Enthusiasmus getragene Bewegung auch manche Ueber-


ist), wo er gleichsam referirend verfährt, wird durch den köstlichen Humor, der
ihm eigen ist, bewirkt. Durch seinen Humor wird Keller in die Reihe der ersten
humoristischen Dichter gestellt; auf ihn trifft Jean Pauls Charakteristik, daß
Humor Lachen unter Thränen sei, genau so weit zu, als der Humor unseres
Dichters tief aus dem Gemüthe quillt und den innersten Antheil, ja das innigste
Mitleid an der verspotteten Thorheit und tragischen Beschränktheit der Menschen-
natur zur Voraussetzung hat. Daneben fehlt ihm auch der derbe, lustige Mutter¬
witz nicht, der über eine wirkliche Carricatur selbst ausgelassen lachen mag und das
Lachen der Andern herausfordert. Und doch ist unseres Dichters Humor keines¬
wegs der Todfeind des wirklich Erhabenen, denn er streift die Kehrseite des
letzteren kaum hie und da mit flüchtigem Blitz und wird immer im rechten
Augenblicke vom tiefsten Ernst und der schlicht sich an die Erscheinung hingeben¬
den Wärme abgelöst. Ja, die Mischung von Humor und Tragik, von über¬
legenem Spott des Dichters über die Gebrechlichkeit des Weltwesens und der
Menschennatur und die tief ergreifende und erschütternde Darstellung der leuch¬
tenden besten Seiten eben dieser Natur hat in der That etwas, was an Shake¬
speare gemahnt. Im Erstlingsroman ist diese Mischung noch nicht überall gleich
glücklich; gewisse Tiefen des Lebens haben sich dem Dichter noch nicht er¬
schlossen. Aber sie ist vorhanden und von mächtiger Wirkung. Es wird einst
eine Aufgabe für die eingehende Kritik sein, zu welcher dieser Dichter wie wenige
herausfordert, die Anfänge, die Keime aller seiner späteren Eigenthümlichkeiten
und Vorzüge im „Grünen Heinrich" nachzuweisen. Mit vollem Antheil harren
wir des Abschlusses der Neubearbeitung und überblicken inzwischen die Reihe
der Schöpfungen Kellers, die zwischen die erste Niederschrift seines Romans
und die neue Ausgabe desselben fallen, Schöpfungen, welche den Erfindungs¬
reichthum, die Phantasie wie die Gestaltungskraft des Dichters ins hellste
Licht setzen.




Die Ausstellung kunstgewerblicher Alterthümer
in Düsseldorf.

Auch die eifrigsten Förderer der modernen Bestrebungen auf dem Gebiete
des Kunstgewerbes werden es nicht leugnen, daß die so schnell in Fluß gekom¬
mene, von so lebhaftem Enthusiasmus getragene Bewegung auch manche Ueber-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/451>, abgerufen am 30.04.2024.