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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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In russischer Gefangenschaft.
(Aus den Aufzeichnungen eines thüringischen Schulmeisters.)
Mitgetheilt von Robert Reil. 7.
Pleskow. Riga. Heimkehr.

Das Hospital zu Pleskow war es, wo wir Aufnahme, Pflege und völlige
Wiederherstellung finden sollten. Wenige jedoch von unserem Häuflein erreichten
diese Stelle. Bei Ostrow waren von den 6V Mann, die bei Beginn des Trans¬
portes unsere kleine Schaar bildeten, zwar mehrere Hildburghäuser und Coburger,
aber von den Weimaranern nur noch 5 Personen, vom Feldwebel abwärts,
vorhanden. Von diesen fünfen erreichte außer mir nur noch einer, Namens
Müller -- widerwärtigen Andenkens -- die uns in Pleskow erwartende Ruhe-
und Erholungsstätte; die übrigen drei waren im Spitale zu Ostrow gestorben,
wie uns noch vor unserem Abmärsche aus dieser Stadt mitgetheilt wurde.

Freilich ging auch ich in dem Krankenhause zu Pleskow, das, eigentlich ein
fürstliches Schloß, erst jetzt schnell nach Möglichkeit zu einem Spitale eingerichtet
worden war, keineswegs mit Riesenschritten meiner gänzlichen Genesung entgegen.
Erst nach einigen Monaten, nachdem ich dem Tode mehrmals nahe gewesen,
wurde ich so weit hergestellt, daß man mich zu den Gesunden zählen konnte, und
daß neue Lebenslust und neuer Frohsinn in mein so lange verdüstertes Gemüth
einzogen.

Aus jener Periode, als ich in Pleskow als Reconvalescent lag, sind mir
erfreuende, betrübende und tragikomische Erinnerungen geblieben. Einer unserer
Offiziere, der einige Wochen nach uuserer Ankunft dieses Spital besuchte, gab
mir seine herzliche Freude darüber zu erkennen, daß ich noch am Leben sei, und
schenkte mir einen Dukaten mit den Worten: "Thun Sie sich etwas zu Gute,
damit Sie erhalten bleiben und wir wenigstens einen Gedanken von Weimaraner
in unser Vaterland zurückbringen." Zufällig war ich zwischen einem Römer
und einem Spanier zu liegen gekommen, welche unaufhörlich auf die uus ge¬
reichten, einzig in schlechtem Wasser, Kapuste und Grütze bestehenden Victualien
schimpften- Ein die Krankensäle besuchender, deutsch sprechender russischer General
redete mich, über dessen Kopfe das Wort "Sachse" geschrieben stand, mit der
Frage an: "Wie geht es?" Veranlaßt durch die fortwährenden Klagen meiner
Nachbarn und selbst indignirt über die unzulängliche, unzweckmäßige Verpfle-


In russischer Gefangenschaft.
(Aus den Aufzeichnungen eines thüringischen Schulmeisters.)
Mitgetheilt von Robert Reil. 7.
Pleskow. Riga. Heimkehr.

Das Hospital zu Pleskow war es, wo wir Aufnahme, Pflege und völlige
Wiederherstellung finden sollten. Wenige jedoch von unserem Häuflein erreichten
diese Stelle. Bei Ostrow waren von den 6V Mann, die bei Beginn des Trans¬
portes unsere kleine Schaar bildeten, zwar mehrere Hildburghäuser und Coburger,
aber von den Weimaranern nur noch 5 Personen, vom Feldwebel abwärts,
vorhanden. Von diesen fünfen erreichte außer mir nur noch einer, Namens
Müller — widerwärtigen Andenkens — die uns in Pleskow erwartende Ruhe-
und Erholungsstätte; die übrigen drei waren im Spitale zu Ostrow gestorben,
wie uns noch vor unserem Abmärsche aus dieser Stadt mitgetheilt wurde.

Freilich ging auch ich in dem Krankenhause zu Pleskow, das, eigentlich ein
fürstliches Schloß, erst jetzt schnell nach Möglichkeit zu einem Spitale eingerichtet
worden war, keineswegs mit Riesenschritten meiner gänzlichen Genesung entgegen.
Erst nach einigen Monaten, nachdem ich dem Tode mehrmals nahe gewesen,
wurde ich so weit hergestellt, daß man mich zu den Gesunden zählen konnte, und
daß neue Lebenslust und neuer Frohsinn in mein so lange verdüstertes Gemüth
einzogen.

Aus jener Periode, als ich in Pleskow als Reconvalescent lag, sind mir
erfreuende, betrübende und tragikomische Erinnerungen geblieben. Einer unserer
Offiziere, der einige Wochen nach uuserer Ankunft dieses Spital besuchte, gab
mir seine herzliche Freude darüber zu erkennen, daß ich noch am Leben sei, und
schenkte mir einen Dukaten mit den Worten: „Thun Sie sich etwas zu Gute,
damit Sie erhalten bleiben und wir wenigstens einen Gedanken von Weimaraner
in unser Vaterland zurückbringen." Zufällig war ich zwischen einem Römer
und einem Spanier zu liegen gekommen, welche unaufhörlich auf die uus ge¬
reichten, einzig in schlechtem Wasser, Kapuste und Grütze bestehenden Victualien
schimpften- Ein die Krankensäle besuchender, deutsch sprechender russischer General
redete mich, über dessen Kopfe das Wort „Sachse" geschrieben stand, mit der
Frage an: „Wie geht es?" Veranlaßt durch die fortwährenden Klagen meiner
Nachbarn und selbst indignirt über die unzulängliche, unzweckmäßige Verpfle-


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[0482] In russischer Gefangenschaft. (Aus den Aufzeichnungen eines thüringischen Schulmeisters.) Mitgetheilt von Robert Reil. 7. Pleskow. Riga. Heimkehr. Das Hospital zu Pleskow war es, wo wir Aufnahme, Pflege und völlige Wiederherstellung finden sollten. Wenige jedoch von unserem Häuflein erreichten diese Stelle. Bei Ostrow waren von den 6V Mann, die bei Beginn des Trans¬ portes unsere kleine Schaar bildeten, zwar mehrere Hildburghäuser und Coburger, aber von den Weimaranern nur noch 5 Personen, vom Feldwebel abwärts, vorhanden. Von diesen fünfen erreichte außer mir nur noch einer, Namens Müller — widerwärtigen Andenkens — die uns in Pleskow erwartende Ruhe- und Erholungsstätte; die übrigen drei waren im Spitale zu Ostrow gestorben, wie uns noch vor unserem Abmärsche aus dieser Stadt mitgetheilt wurde. Freilich ging auch ich in dem Krankenhause zu Pleskow, das, eigentlich ein fürstliches Schloß, erst jetzt schnell nach Möglichkeit zu einem Spitale eingerichtet worden war, keineswegs mit Riesenschritten meiner gänzlichen Genesung entgegen. Erst nach einigen Monaten, nachdem ich dem Tode mehrmals nahe gewesen, wurde ich so weit hergestellt, daß man mich zu den Gesunden zählen konnte, und daß neue Lebenslust und neuer Frohsinn in mein so lange verdüstertes Gemüth einzogen. Aus jener Periode, als ich in Pleskow als Reconvalescent lag, sind mir erfreuende, betrübende und tragikomische Erinnerungen geblieben. Einer unserer Offiziere, der einige Wochen nach uuserer Ankunft dieses Spital besuchte, gab mir seine herzliche Freude darüber zu erkennen, daß ich noch am Leben sei, und schenkte mir einen Dukaten mit den Worten: „Thun Sie sich etwas zu Gute, damit Sie erhalten bleiben und wir wenigstens einen Gedanken von Weimaraner in unser Vaterland zurückbringen." Zufällig war ich zwischen einem Römer und einem Spanier zu liegen gekommen, welche unaufhörlich auf die uus ge¬ reichten, einzig in schlechtem Wasser, Kapuste und Grütze bestehenden Victualien schimpften- Ein die Krankensäle besuchender, deutsch sprechender russischer General redete mich, über dessen Kopfe das Wort „Sachse" geschrieben stand, mit der Frage an: „Wie geht es?" Veranlaßt durch die fortwährenden Klagen meiner Nachbarn und selbst indignirt über die unzulängliche, unzweckmäßige Verpfle-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/482>, abgerufen am 30.04.2024.