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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Die Reichsinteressen und die jreihafenstellung der
Hansestädte.

Alle großen Fragen des staatlichen Lebens gelangen endlich einmal kraft
einer naturgesetzlicher oder, wenn man lieber will, geschichtlichen Nothwendigkeit
an einen Punkt, wo ihre Erledigung schlechterdings unabweisbar ist. Der
Kampf der Parteien, die Leidenschaft ihrer Führer, die Begehrlichkeit nach Wah¬
rung leidiger Sonderinteressen, das rhetorische Blendwerk, mit dem der eine
den anderen zu täuschen trachtete, die unhaltbaren und wurmstichigen Gründe,
welche mit der Prätention "liberaler" Unfehlbarkeit in die Debatte geworfen
wurden -- dies alles muß verstummen, wenn der geschichtliche Moment mit
Donnerstimme die praktische Lösung einer großen politischen oder ökonomischen
Frage verlangt.

Die Frage, ob das Interesse Deutschlands die Einschließung der beiden
norddeutschen Seestädte, Hamburg und Bremen, in die gemeinschaftliche Zoll¬
grenze erheischt, ist eine solche Frage, und sie ist an einen solchen Puukt ge¬
laugt. Ja, dieser Zeitpunkt war schon gekommen, ehe ein gewaltiger Wille sein
erfolgsicheres Wort sür ihre Lösung einsetzte. Und wenn die Lösung noch nicht ge¬
schah, und ihr auch jetzt noch Hemmnisse auf Hemmnisse entgegengeschleudert werden,
so verschulden dies die Apostel des falschen Liberalismus, die Ritter der wirth¬
schaftlichen Willkür. Sie sind es, die über alle Völker das Füllhorn materieller
und geistiger Wohlfahrt ausschütten möchten, ausgenommen über das eigene
Volk. Deshalb nennen sich diese wunderlichen Philanthropen auch mit befrie¬
digten Eigendünkel "liberal", wenngleich keine ökonomische Partei so illiberal
gegen die eigene Nation verfährt, wie gerade sie. Wenn in England, dem Lande
des Erbfreihandels, eine Partei erstünde, die es wagte, gegen das Interesse des
eigenen Staates, in der Presse, in Vereinen, im Parlamente dieselben Reden
zu führen, dieselben Vorschlüge zu machen und denselben Willen zu offenbaren,
wie im deutschen Reiche die Partei des antinationalen weil kosmopolitischen
Freihandels -- die öffentliche Meinung würde ihre Führer geradezu des Landes-


Grcnzboten III. 1880. 7
Die Reichsinteressen und die jreihafenstellung der
Hansestädte.

Alle großen Fragen des staatlichen Lebens gelangen endlich einmal kraft
einer naturgesetzlicher oder, wenn man lieber will, geschichtlichen Nothwendigkeit
an einen Punkt, wo ihre Erledigung schlechterdings unabweisbar ist. Der
Kampf der Parteien, die Leidenschaft ihrer Führer, die Begehrlichkeit nach Wah¬
rung leidiger Sonderinteressen, das rhetorische Blendwerk, mit dem der eine
den anderen zu täuschen trachtete, die unhaltbaren und wurmstichigen Gründe,
welche mit der Prätention „liberaler" Unfehlbarkeit in die Debatte geworfen
wurden — dies alles muß verstummen, wenn der geschichtliche Moment mit
Donnerstimme die praktische Lösung einer großen politischen oder ökonomischen
Frage verlangt.

Die Frage, ob das Interesse Deutschlands die Einschließung der beiden
norddeutschen Seestädte, Hamburg und Bremen, in die gemeinschaftliche Zoll¬
grenze erheischt, ist eine solche Frage, und sie ist an einen solchen Puukt ge¬
laugt. Ja, dieser Zeitpunkt war schon gekommen, ehe ein gewaltiger Wille sein
erfolgsicheres Wort sür ihre Lösung einsetzte. Und wenn die Lösung noch nicht ge¬
schah, und ihr auch jetzt noch Hemmnisse auf Hemmnisse entgegengeschleudert werden,
so verschulden dies die Apostel des falschen Liberalismus, die Ritter der wirth¬
schaftlichen Willkür. Sie sind es, die über alle Völker das Füllhorn materieller
und geistiger Wohlfahrt ausschütten möchten, ausgenommen über das eigene
Volk. Deshalb nennen sich diese wunderlichen Philanthropen auch mit befrie¬
digten Eigendünkel „liberal", wenngleich keine ökonomische Partei so illiberal
gegen die eigene Nation verfährt, wie gerade sie. Wenn in England, dem Lande
des Erbfreihandels, eine Partei erstünde, die es wagte, gegen das Interesse des
eigenen Staates, in der Presse, in Vereinen, im Parlamente dieselben Reden
zu führen, dieselben Vorschlüge zu machen und denselben Willen zu offenbaren,
wie im deutschen Reiche die Partei des antinationalen weil kosmopolitischen
Freihandels — die öffentliche Meinung würde ihre Führer geradezu des Landes-


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[0057] Die Reichsinteressen und die jreihafenstellung der Hansestädte. Alle großen Fragen des staatlichen Lebens gelangen endlich einmal kraft einer naturgesetzlicher oder, wenn man lieber will, geschichtlichen Nothwendigkeit an einen Punkt, wo ihre Erledigung schlechterdings unabweisbar ist. Der Kampf der Parteien, die Leidenschaft ihrer Führer, die Begehrlichkeit nach Wah¬ rung leidiger Sonderinteressen, das rhetorische Blendwerk, mit dem der eine den anderen zu täuschen trachtete, die unhaltbaren und wurmstichigen Gründe, welche mit der Prätention „liberaler" Unfehlbarkeit in die Debatte geworfen wurden — dies alles muß verstummen, wenn der geschichtliche Moment mit Donnerstimme die praktische Lösung einer großen politischen oder ökonomischen Frage verlangt. Die Frage, ob das Interesse Deutschlands die Einschließung der beiden norddeutschen Seestädte, Hamburg und Bremen, in die gemeinschaftliche Zoll¬ grenze erheischt, ist eine solche Frage, und sie ist an einen solchen Puukt ge¬ laugt. Ja, dieser Zeitpunkt war schon gekommen, ehe ein gewaltiger Wille sein erfolgsicheres Wort sür ihre Lösung einsetzte. Und wenn die Lösung noch nicht ge¬ schah, und ihr auch jetzt noch Hemmnisse auf Hemmnisse entgegengeschleudert werden, so verschulden dies die Apostel des falschen Liberalismus, die Ritter der wirth¬ schaftlichen Willkür. Sie sind es, die über alle Völker das Füllhorn materieller und geistiger Wohlfahrt ausschütten möchten, ausgenommen über das eigene Volk. Deshalb nennen sich diese wunderlichen Philanthropen auch mit befrie¬ digten Eigendünkel „liberal", wenngleich keine ökonomische Partei so illiberal gegen die eigene Nation verfährt, wie gerade sie. Wenn in England, dem Lande des Erbfreihandels, eine Partei erstünde, die es wagte, gegen das Interesse des eigenen Staates, in der Presse, in Vereinen, im Parlamente dieselben Reden zu führen, dieselben Vorschlüge zu machen und denselben Willen zu offenbaren, wie im deutschen Reiche die Partei des antinationalen weil kosmopolitischen Freihandels — die öffentliche Meinung würde ihre Führer geradezu des Landes- Grcnzboten III. 1880. 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/57>, abgerufen am 30.04.2024.