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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Blicke auf die politische Lage in auswärtigen Fragen.
2. Frankreich seit dem Ministerwechsel.

Als sich im vorigen Monate in Frankreich wieder einmal ein Minister¬
wechsel vollzog, machte das Ereigniß allenthalben und besonders in der deut¬
schen Presse namentlich insofern großen Eindruck, weil man die Ursache der
Krisis, die mit dem Rücktritte des Ministerpräsidenten Freycinet endigte, auf
dem Gebiete der auswärtigen Politik suchen zu müssen meinte. Man war der
Ansicht, daß Gambetta diesen Rücktritt veranlaßt habe, der in dem Rufe stand, das
französische Nevanchestreben zu verkörpern, und der dieser Annahme durch die
bekannte Cherbourger Rede neue Ncchruug gegeben hatte. Freycinet hatte sich,
so raisonnierte man, als zu unabhängig von dem mächtigen Kammerpräsidenten
und als durchaus friedliebend erwiesen, und Deutschland hatte ihm in Folge
dessen so viel Vertrauen geschenkt, als es überhaupt einem französischen Minister
entgegenzubringen im Staude war. Dies hatte, vermuthete man weiter, Gam¬
betta auf die Dauer nicht gefallen, und es war nun zu besorgen, daß der Nach¬
folger Freyeinets von ihm abhängiger sein und Gambetta mehr Spielraum zum
Eingreifen in die auswärtige Politik lasse" werde. Schwer war allerdings zu
sagen, wie sich eine ganz nach den Gedanken und Wünschen Gcunbettas geleitete
auswärtige Politik Frankreichs in den schwebenden Fragen gestalten würde, und
welche concreten Befürchtungen man an die Pariser Krisis zu knüpfen berechtigt
wäre, aber die allgemeine Empfindung ging dahin, daß man in Paris statt,
wie bisher, eine klare, zuverlässige und ehrliche Haltung künftig eine zu Intri¬
guen und Abenteuern geneigte Politik zu erwarten habe.

Wir konnten dieser Auffassung von Anfang an nur insoweit beipflichten,
als sie annahm, daß Gcunbettas Verhalten den Rücktritt Freyeinets verursacht
habe, und wir glaubten auch dann nicht an die Behauptung, daß jener eine
veränderte Politik Frankreichs in- auswärtigen Fragen gewünscht und deshalb
den ihm hierin unbequemen bisherigen Ministerpräsidenten von seiner Stellung
hinwegmanövriert habe, als der Pariser Correspondent der "Times" mit der


Grenzboten IV. 1880. 17
Blicke auf die politische Lage in auswärtigen Fragen.
2. Frankreich seit dem Ministerwechsel.

Als sich im vorigen Monate in Frankreich wieder einmal ein Minister¬
wechsel vollzog, machte das Ereigniß allenthalben und besonders in der deut¬
schen Presse namentlich insofern großen Eindruck, weil man die Ursache der
Krisis, die mit dem Rücktritte des Ministerpräsidenten Freycinet endigte, auf
dem Gebiete der auswärtigen Politik suchen zu müssen meinte. Man war der
Ansicht, daß Gambetta diesen Rücktritt veranlaßt habe, der in dem Rufe stand, das
französische Nevanchestreben zu verkörpern, und der dieser Annahme durch die
bekannte Cherbourger Rede neue Ncchruug gegeben hatte. Freycinet hatte sich,
so raisonnierte man, als zu unabhängig von dem mächtigen Kammerpräsidenten
und als durchaus friedliebend erwiesen, und Deutschland hatte ihm in Folge
dessen so viel Vertrauen geschenkt, als es überhaupt einem französischen Minister
entgegenzubringen im Staude war. Dies hatte, vermuthete man weiter, Gam¬
betta auf die Dauer nicht gefallen, und es war nun zu besorgen, daß der Nach¬
folger Freyeinets von ihm abhängiger sein und Gambetta mehr Spielraum zum
Eingreifen in die auswärtige Politik lasse» werde. Schwer war allerdings zu
sagen, wie sich eine ganz nach den Gedanken und Wünschen Gcunbettas geleitete
auswärtige Politik Frankreichs in den schwebenden Fragen gestalten würde, und
welche concreten Befürchtungen man an die Pariser Krisis zu knüpfen berechtigt
wäre, aber die allgemeine Empfindung ging dahin, daß man in Paris statt,
wie bisher, eine klare, zuverlässige und ehrliche Haltung künftig eine zu Intri¬
guen und Abenteuern geneigte Politik zu erwarten habe.

Wir konnten dieser Auffassung von Anfang an nur insoweit beipflichten,
als sie annahm, daß Gcunbettas Verhalten den Rücktritt Freyeinets verursacht
habe, und wir glaubten auch dann nicht an die Behauptung, daß jener eine
veränderte Politik Frankreichs in- auswärtigen Fragen gewünscht und deshalb
den ihm hierin unbequemen bisherigen Ministerpräsidenten von seiner Stellung
hinwegmanövriert habe, als der Pariser Correspondent der „Times" mit der


Grenzboten IV. 1880. 17
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[0129] Blicke auf die politische Lage in auswärtigen Fragen. 2. Frankreich seit dem Ministerwechsel. Als sich im vorigen Monate in Frankreich wieder einmal ein Minister¬ wechsel vollzog, machte das Ereigniß allenthalben und besonders in der deut¬ schen Presse namentlich insofern großen Eindruck, weil man die Ursache der Krisis, die mit dem Rücktritte des Ministerpräsidenten Freycinet endigte, auf dem Gebiete der auswärtigen Politik suchen zu müssen meinte. Man war der Ansicht, daß Gambetta diesen Rücktritt veranlaßt habe, der in dem Rufe stand, das französische Nevanchestreben zu verkörpern, und der dieser Annahme durch die bekannte Cherbourger Rede neue Ncchruug gegeben hatte. Freycinet hatte sich, so raisonnierte man, als zu unabhängig von dem mächtigen Kammerpräsidenten und als durchaus friedliebend erwiesen, und Deutschland hatte ihm in Folge dessen so viel Vertrauen geschenkt, als es überhaupt einem französischen Minister entgegenzubringen im Staude war. Dies hatte, vermuthete man weiter, Gam¬ betta auf die Dauer nicht gefallen, und es war nun zu besorgen, daß der Nach¬ folger Freyeinets von ihm abhängiger sein und Gambetta mehr Spielraum zum Eingreifen in die auswärtige Politik lasse» werde. Schwer war allerdings zu sagen, wie sich eine ganz nach den Gedanken und Wünschen Gcunbettas geleitete auswärtige Politik Frankreichs in den schwebenden Fragen gestalten würde, und welche concreten Befürchtungen man an die Pariser Krisis zu knüpfen berechtigt wäre, aber die allgemeine Empfindung ging dahin, daß man in Paris statt, wie bisher, eine klare, zuverlässige und ehrliche Haltung künftig eine zu Intri¬ guen und Abenteuern geneigte Politik zu erwarten habe. Wir konnten dieser Auffassung von Anfang an nur insoweit beipflichten, als sie annahm, daß Gcunbettas Verhalten den Rücktritt Freyeinets verursacht habe, und wir glaubten auch dann nicht an die Behauptung, daß jener eine veränderte Politik Frankreichs in- auswärtigen Fragen gewünscht und deshalb den ihm hierin unbequemen bisherigen Ministerpräsidenten von seiner Stellung hinwegmanövriert habe, als der Pariser Correspondent der „Times" mit der Grenzboten IV. 1880. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/129>, abgerufen am 02.05.2024.