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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Augsburger
Gefangenenhandel im vorigen Jahrhundert.
v Adolf Buff. on 1.

Wenn in unserer Zeit ein unabhängiger Staat auf den Gedanken gerathen
wollte, seine Sträflinge einem anderen, fremden Staate zur Benutzung zu über¬
geben oder gar zu verkaufen, so würde das ohne Zweifel als etwas höchst An¬
stößiges betrachtet werden und überall strenge Verurtheilung finden. Unsere
Vorfahren vor hundertundfunfzig Jahren waren in diesem Punkte weniger fein¬
fühlig. Ihnen erschien eine derartige Manipulation als etwas durchaus Statt¬
haftes und Natürliches; kein Mensch sah ein Arg darin. Das Gefühl für staat¬
liche Selbständigkeit und staatliches Decorum stand eben in den meisten deutschen
Ländern damals auf einer ungemein niedrigen Stufe der Entwicklung, und
überdies befand man sich hinsichtlich der Frage, was mit den gefangenen und
überführten Verbrechern anzufangen sei, in der That in einer unendlich viel
schwierigeren Lage als dies jetzt der Fall ist.

Wir heutzutage sperren die große Masse unserer Bösewichte einfach auf
kürzere oder längere Frist hinter Schloß und Riegel. Zu jenen Zeiten war
dies Verfahren zwar keineswegs unbekannt, an einzelnen Orten Deutschlands gab
es sogar schon im 17. Jahrhundert reguläre Zuchthäuser. Allein Strafhaft auf
längere Dauer wurde im allgemeinen doch nur ausnahmsweise in Anwendung
gebracht. Fast überall fehlte es an den dazu nöthigen Anstalten, auch wider¬
strebte es dem Geiste der Zeit Uebelthäter lange auf öffentliche Kosten zu füt¬
tern und zu verpflegen. Die gewöhnlichen, von altersher überkommenen Züch¬
tigungsmittel aber standen theils nicht mehr recht im Einklange mit dem milder,
humaner werdenden Sinne des Jahrhunderts, theils waren sie völlig unzuläng¬
lich. Gegen die allzuhäufige Anwendung schwerer körperlicher Strafen, Ver¬
stümmlung, Köpfen, Hängen u. dergl. sträubte sich die Empfindung mehr und


Grenzboten IV. 18S0. 1
Augsburger
Gefangenenhandel im vorigen Jahrhundert.
v Adolf Buff. on 1.

Wenn in unserer Zeit ein unabhängiger Staat auf den Gedanken gerathen
wollte, seine Sträflinge einem anderen, fremden Staate zur Benutzung zu über¬
geben oder gar zu verkaufen, so würde das ohne Zweifel als etwas höchst An¬
stößiges betrachtet werden und überall strenge Verurtheilung finden. Unsere
Vorfahren vor hundertundfunfzig Jahren waren in diesem Punkte weniger fein¬
fühlig. Ihnen erschien eine derartige Manipulation als etwas durchaus Statt¬
haftes und Natürliches; kein Mensch sah ein Arg darin. Das Gefühl für staat¬
liche Selbständigkeit und staatliches Decorum stand eben in den meisten deutschen
Ländern damals auf einer ungemein niedrigen Stufe der Entwicklung, und
überdies befand man sich hinsichtlich der Frage, was mit den gefangenen und
überführten Verbrechern anzufangen sei, in der That in einer unendlich viel
schwierigeren Lage als dies jetzt der Fall ist.

Wir heutzutage sperren die große Masse unserer Bösewichte einfach auf
kürzere oder längere Frist hinter Schloß und Riegel. Zu jenen Zeiten war
dies Verfahren zwar keineswegs unbekannt, an einzelnen Orten Deutschlands gab
es sogar schon im 17. Jahrhundert reguläre Zuchthäuser. Allein Strafhaft auf
längere Dauer wurde im allgemeinen doch nur ausnahmsweise in Anwendung
gebracht. Fast überall fehlte es an den dazu nöthigen Anstalten, auch wider¬
strebte es dem Geiste der Zeit Uebelthäter lange auf öffentliche Kosten zu füt¬
tern und zu verpflegen. Die gewöhnlichen, von altersher überkommenen Züch¬
tigungsmittel aber standen theils nicht mehr recht im Einklange mit dem milder,
humaner werdenden Sinne des Jahrhunderts, theils waren sie völlig unzuläng¬
lich. Gegen die allzuhäufige Anwendung schwerer körperlicher Strafen, Ver¬
stümmlung, Köpfen, Hängen u. dergl. sträubte sich die Empfindung mehr und


Grenzboten IV. 18S0. 1
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[0005] Augsburger Gefangenenhandel im vorigen Jahrhundert. v Adolf Buff. on 1. Wenn in unserer Zeit ein unabhängiger Staat auf den Gedanken gerathen wollte, seine Sträflinge einem anderen, fremden Staate zur Benutzung zu über¬ geben oder gar zu verkaufen, so würde das ohne Zweifel als etwas höchst An¬ stößiges betrachtet werden und überall strenge Verurtheilung finden. Unsere Vorfahren vor hundertundfunfzig Jahren waren in diesem Punkte weniger fein¬ fühlig. Ihnen erschien eine derartige Manipulation als etwas durchaus Statt¬ haftes und Natürliches; kein Mensch sah ein Arg darin. Das Gefühl für staat¬ liche Selbständigkeit und staatliches Decorum stand eben in den meisten deutschen Ländern damals auf einer ungemein niedrigen Stufe der Entwicklung, und überdies befand man sich hinsichtlich der Frage, was mit den gefangenen und überführten Verbrechern anzufangen sei, in der That in einer unendlich viel schwierigeren Lage als dies jetzt der Fall ist. Wir heutzutage sperren die große Masse unserer Bösewichte einfach auf kürzere oder längere Frist hinter Schloß und Riegel. Zu jenen Zeiten war dies Verfahren zwar keineswegs unbekannt, an einzelnen Orten Deutschlands gab es sogar schon im 17. Jahrhundert reguläre Zuchthäuser. Allein Strafhaft auf längere Dauer wurde im allgemeinen doch nur ausnahmsweise in Anwendung gebracht. Fast überall fehlte es an den dazu nöthigen Anstalten, auch wider¬ strebte es dem Geiste der Zeit Uebelthäter lange auf öffentliche Kosten zu füt¬ tern und zu verpflegen. Die gewöhnlichen, von altersher überkommenen Züch¬ tigungsmittel aber standen theils nicht mehr recht im Einklange mit dem milder, humaner werdenden Sinne des Jahrhunderts, theils waren sie völlig unzuläng¬ lich. Gegen die allzuhäufige Anwendung schwerer körperlicher Strafen, Ver¬ stümmlung, Köpfen, Hängen u. dergl. sträubte sich die Empfindung mehr und Grenzboten IV. 18S0. 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/5>, abgerufen am 03.05.2024.