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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Die Untersuchung nahm indessen ihren ungehinderten Fortgang und wurde
mit Ernst und Umständlichkeit zu Ende geführt. Soweit sich sehen läßt, sparte
man keine Mühe, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Selbst die Aussagen
des Wirthes zu Hohenwarth wurden eingeschickt und in Ueberlegung gezogen.
Ja man griff sogar in längst vergangene Zeiten zurück: eine Reihe von Sol¬
daten, die bei anderen derartigen Transportunternehmungen in Gesellschaft von
Bernauer mitgewirkt, wurden eingehend und detailliert vernommen, um festzu¬
stellen, inwieweit derselbe sich vielleicht früher schon ähnliche Vergehen, wie die
ihm jetzt vorgeworfenen, habe zu Schulden kommen. Zu seinem Glücke konnte
ihm aber nichts besonders Gravierendes nachgewiesen werden. Ueber ein paar
Kleinigkeiten drückten die Richter gnädig das Auge zu.

Das Kriegsgericht fällte am 24. Juni seine Entscheidung. Bernauer wurde
von allen Anschuldigungen freigesprochen und als ein in jeder Beziehung ehr¬
licher Soldat anerkannt. Dagegen sollte der Verleumder öffentlich vor der
Front vom Henker für infam erklärt und ausgestoßen werden. Der Rath be¬
stätigte am 9. Juli die erste Hälfte des Urtheils; die letzte, die sich auf den
Musketier Löser bezog, unterdrückte er stillschweigend, da derselbe seine Person
bereits in Sicherheit gebracht hatte.

Die Aufregung unter der Stadtgarde kam hierauf bald zur Ruhe. Bernauer
trat wieder in den Dienst zurück, mußte indeß über zwei Monate lang als Ge¬
meiner am Rathhause Schildwache stehen. Der Rest der Strafe wurde ihm
dann in Gnaden erlassen. Er hatte, wie 18 Jahre zuvor sein damaliger Haupt¬
mann, in jenem Transportgeschäfte ein Haar gefunden, und es scheint, daß er
sich ebenfalls in Zukunft "jenes Werkes gänzlich entschlagen" hat.




Gottfried Keller.
v Adolf Stern. on 3.

Zwischen seiner ersten großen Novellensammlung "Die Leute von Seld-
wyla" und der zweiten "Züricher Novellen" veröffentlichte Gottfried Keller nur
ein kleines Buch, welches indeß für die Gesammtbeurtheilung unseres Dichters
von großer Wichtigkeit ist: "Sieben Legenden". Ueber den gemeinsamen
Grundgedanken dieser Dichtungen, welche ein beinahe übermüthiges Lebensgefühl


Die Untersuchung nahm indessen ihren ungehinderten Fortgang und wurde
mit Ernst und Umständlichkeit zu Ende geführt. Soweit sich sehen läßt, sparte
man keine Mühe, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Selbst die Aussagen
des Wirthes zu Hohenwarth wurden eingeschickt und in Ueberlegung gezogen.
Ja man griff sogar in längst vergangene Zeiten zurück: eine Reihe von Sol¬
daten, die bei anderen derartigen Transportunternehmungen in Gesellschaft von
Bernauer mitgewirkt, wurden eingehend und detailliert vernommen, um festzu¬
stellen, inwieweit derselbe sich vielleicht früher schon ähnliche Vergehen, wie die
ihm jetzt vorgeworfenen, habe zu Schulden kommen. Zu seinem Glücke konnte
ihm aber nichts besonders Gravierendes nachgewiesen werden. Ueber ein paar
Kleinigkeiten drückten die Richter gnädig das Auge zu.

Das Kriegsgericht fällte am 24. Juni seine Entscheidung. Bernauer wurde
von allen Anschuldigungen freigesprochen und als ein in jeder Beziehung ehr¬
licher Soldat anerkannt. Dagegen sollte der Verleumder öffentlich vor der
Front vom Henker für infam erklärt und ausgestoßen werden. Der Rath be¬
stätigte am 9. Juli die erste Hälfte des Urtheils; die letzte, die sich auf den
Musketier Löser bezog, unterdrückte er stillschweigend, da derselbe seine Person
bereits in Sicherheit gebracht hatte.

Die Aufregung unter der Stadtgarde kam hierauf bald zur Ruhe. Bernauer
trat wieder in den Dienst zurück, mußte indeß über zwei Monate lang als Ge¬
meiner am Rathhause Schildwache stehen. Der Rest der Strafe wurde ihm
dann in Gnaden erlassen. Er hatte, wie 18 Jahre zuvor sein damaliger Haupt¬
mann, in jenem Transportgeschäfte ein Haar gefunden, und es scheint, daß er
sich ebenfalls in Zukunft „jenes Werkes gänzlich entschlagen" hat.




Gottfried Keller.
v Adolf Stern. on 3.

Zwischen seiner ersten großen Novellensammlung „Die Leute von Seld-
wyla" und der zweiten „Züricher Novellen" veröffentlichte Gottfried Keller nur
ein kleines Buch, welches indeß für die Gesammtbeurtheilung unseres Dichters
von großer Wichtigkeit ist: „Sieben Legenden". Ueber den gemeinsamen
Grundgedanken dieser Dichtungen, welche ein beinahe übermüthiges Lebensgefühl


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[0070] Die Untersuchung nahm indessen ihren ungehinderten Fortgang und wurde mit Ernst und Umständlichkeit zu Ende geführt. Soweit sich sehen läßt, sparte man keine Mühe, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Selbst die Aussagen des Wirthes zu Hohenwarth wurden eingeschickt und in Ueberlegung gezogen. Ja man griff sogar in längst vergangene Zeiten zurück: eine Reihe von Sol¬ daten, die bei anderen derartigen Transportunternehmungen in Gesellschaft von Bernauer mitgewirkt, wurden eingehend und detailliert vernommen, um festzu¬ stellen, inwieweit derselbe sich vielleicht früher schon ähnliche Vergehen, wie die ihm jetzt vorgeworfenen, habe zu Schulden kommen. Zu seinem Glücke konnte ihm aber nichts besonders Gravierendes nachgewiesen werden. Ueber ein paar Kleinigkeiten drückten die Richter gnädig das Auge zu. Das Kriegsgericht fällte am 24. Juni seine Entscheidung. Bernauer wurde von allen Anschuldigungen freigesprochen und als ein in jeder Beziehung ehr¬ licher Soldat anerkannt. Dagegen sollte der Verleumder öffentlich vor der Front vom Henker für infam erklärt und ausgestoßen werden. Der Rath be¬ stätigte am 9. Juli die erste Hälfte des Urtheils; die letzte, die sich auf den Musketier Löser bezog, unterdrückte er stillschweigend, da derselbe seine Person bereits in Sicherheit gebracht hatte. Die Aufregung unter der Stadtgarde kam hierauf bald zur Ruhe. Bernauer trat wieder in den Dienst zurück, mußte indeß über zwei Monate lang als Ge¬ meiner am Rathhause Schildwache stehen. Der Rest der Strafe wurde ihm dann in Gnaden erlassen. Er hatte, wie 18 Jahre zuvor sein damaliger Haupt¬ mann, in jenem Transportgeschäfte ein Haar gefunden, und es scheint, daß er sich ebenfalls in Zukunft „jenes Werkes gänzlich entschlagen" hat. Gottfried Keller. v Adolf Stern. on 3. Zwischen seiner ersten großen Novellensammlung „Die Leute von Seld- wyla" und der zweiten „Züricher Novellen" veröffentlichte Gottfried Keller nur ein kleines Buch, welches indeß für die Gesammtbeurtheilung unseres Dichters von großer Wichtigkeit ist: „Sieben Legenden". Ueber den gemeinsamen Grundgedanken dieser Dichtungen, welche ein beinahe übermüthiges Lebensgefühl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/70>, abgerufen am 02.05.2024.