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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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politische Briefe.
2. Die nationalliberale Partei und das parlamentarische
Regiment.

an darf mit gutem Rechte sagen, daß zwischen dem Kanzler und
der nationalliberalen Partei sich kein stärkerer Trennungsgrund
befindet als der Glaube der letztern, daß das sogenannte par¬
lamentarische Regiment das unaufgebliche Ziel jeder modernen
Staatsentwicklung, sozusagen der Höhepunkt der öffentlichen
Sittlichkeit sei. Wenn dieser Glaube ein reiner Zukunftsglaube wäre, so
etwas wie die Hoffnung auf einen schönen Stern, der eines Tages vom
Himmel auf die Erde niedersteigen werde, dann wäre er zwar noch keines¬
wegs unschädlich, weil er immer noch die Gegenwart von der Erkenntniß ihrer
wahren Ziele abzulenken geeignet bliebe, aber man könnte ihn doch zeitweise
auf sich beruhen lassen. So wie jener Glaube sich aber darstellt, nämlich als
ein durchaus praktischer Glaube, kann man das nicht. Nationalliberale Organe
haben mehrfach sich etwa folgendermaßen vernehmen lassen: Warum sollen wir
den Glauben an das parlamentarische Regiment gewissermaßen abschwören? Ist
es nicht überflüssig, eine Sache zu bestreiten, die sich von selbst machen muß,
sobald einmal eine starke Partei vorhanden ist, die im Stande ist, die Majo¬
rität einige Legislaturen hintereinander zu behaupten?

Nun, wenn die Sache so stünde, so läge vielleicht keine Schwierigkeit vor.
Aber die Sache steht weit anders. Einmal ist es schon gefährlich, wen<immer
Zur Bildung einer großen Partei aufgefordert wird, welche nicht auf den über-


Grenzboten I. 1881. 14


politische Briefe.
2. Die nationalliberale Partei und das parlamentarische
Regiment.

an darf mit gutem Rechte sagen, daß zwischen dem Kanzler und
der nationalliberalen Partei sich kein stärkerer Trennungsgrund
befindet als der Glaube der letztern, daß das sogenannte par¬
lamentarische Regiment das unaufgebliche Ziel jeder modernen
Staatsentwicklung, sozusagen der Höhepunkt der öffentlichen
Sittlichkeit sei. Wenn dieser Glaube ein reiner Zukunftsglaube wäre, so
etwas wie die Hoffnung auf einen schönen Stern, der eines Tages vom
Himmel auf die Erde niedersteigen werde, dann wäre er zwar noch keines¬
wegs unschädlich, weil er immer noch die Gegenwart von der Erkenntniß ihrer
wahren Ziele abzulenken geeignet bliebe, aber man könnte ihn doch zeitweise
auf sich beruhen lassen. So wie jener Glaube sich aber darstellt, nämlich als
ein durchaus praktischer Glaube, kann man das nicht. Nationalliberale Organe
haben mehrfach sich etwa folgendermaßen vernehmen lassen: Warum sollen wir
den Glauben an das parlamentarische Regiment gewissermaßen abschwören? Ist
es nicht überflüssig, eine Sache zu bestreiten, die sich von selbst machen muß,
sobald einmal eine starke Partei vorhanden ist, die im Stande ist, die Majo¬
rität einige Legislaturen hintereinander zu behaupten?

Nun, wenn die Sache so stünde, so läge vielleicht keine Schwierigkeit vor.
Aber die Sache steht weit anders. Einmal ist es schon gefährlich, wen<immer
Zur Bildung einer großen Partei aufgefordert wird, welche nicht auf den über-


Grenzboten I. 1881. 14
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[0105] [Abbildung] politische Briefe. 2. Die nationalliberale Partei und das parlamentarische Regiment. an darf mit gutem Rechte sagen, daß zwischen dem Kanzler und der nationalliberalen Partei sich kein stärkerer Trennungsgrund befindet als der Glaube der letztern, daß das sogenannte par¬ lamentarische Regiment das unaufgebliche Ziel jeder modernen Staatsentwicklung, sozusagen der Höhepunkt der öffentlichen Sittlichkeit sei. Wenn dieser Glaube ein reiner Zukunftsglaube wäre, so etwas wie die Hoffnung auf einen schönen Stern, der eines Tages vom Himmel auf die Erde niedersteigen werde, dann wäre er zwar noch keines¬ wegs unschädlich, weil er immer noch die Gegenwart von der Erkenntniß ihrer wahren Ziele abzulenken geeignet bliebe, aber man könnte ihn doch zeitweise auf sich beruhen lassen. So wie jener Glaube sich aber darstellt, nämlich als ein durchaus praktischer Glaube, kann man das nicht. Nationalliberale Organe haben mehrfach sich etwa folgendermaßen vernehmen lassen: Warum sollen wir den Glauben an das parlamentarische Regiment gewissermaßen abschwören? Ist es nicht überflüssig, eine Sache zu bestreiten, die sich von selbst machen muß, sobald einmal eine starke Partei vorhanden ist, die im Stande ist, die Majo¬ rität einige Legislaturen hintereinander zu behaupten? Nun, wenn die Sache so stünde, so läge vielleicht keine Schwierigkeit vor. Aber die Sache steht weit anders. Einmal ist es schon gefährlich, wen<immer Zur Bildung einer großen Partei aufgefordert wird, welche nicht auf den über- Grenzboten I. 1881. 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/105>, abgerufen am 29.04.2024.