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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Bertuchs Briefe an Gleim,

Bestrebungen, in denen er selbständig einzugreifen hatte, sind mißlungen, nicht
durch seine Schuld, sondern infolge der traurigen Verhältnisse, in denen seine
schwache, haltungslose Regierung zu den übrigen Mächten stand. Und seine Lauf¬
bahn, die so glänzend begann, hat einen mühsam sich fortschleppenden, zeitweise
völlig unterbrochner Fortgang genommen. Nur in einer Hinsicht zeigt seine Ent¬
wicklung ein stetiges Wachsthum. Sein innrer Mensch ist fortgeschritten von
Jahr zu Jahr, auf dem Grunde echter Frömmigkeit reisend und sich vertiefend.


H. Jacoby.


Bertuchs Briefe an Gleim.
Zur Geschichte des Weimarer Hofes beim Regierungsantritte Lark Augusts.
Mitgetheilt von Heinrich Pröhle. (Schluß.)
6. Bertuch an Gleim. Weimar, den 14. April 1775.

lieber, Theurer Vater Gleim, das war ein hartes Fleck für mich,
das vom Anfange des Jänners bis itzt. Die Teufels mechanischen
Arbeiten, die alle wie Meereswogen über mich auf einmal herein¬
stürzten, hätten fast mein bißchen Geist und Seele erstickt und ersäuft,
nur über mein warmes Herz konnten sie nicht Herr werden. Dieß
liebte Sie, Theuerster Gleim, unter alle dem Gewühl, so inbrünstig
fort als jemals, ohngeachtet mein Kopf, mein armer wüster Kopf teilten Brief an
Sie gebcihren konnte, womit jenes zufrieden gewesen wäre. Gott sey Dank, nun
ist's meistens vorbey, ich springe mit Jubel heraus, schüttele meine struppichter
Schwingen mit Gefühl von Wohlbehagen ans, und fliege zu Ihnen, zu Ihnen
Theuerster Mann, mit unserm Wieland, in Ihre Arme und hohle mir Seele wieder.
Himmel, welch' ein Gedanke, den May bei Ihnen genießen! Ich fühle, er zieht
mein fast ganz abgelaufenes Uhrwerk wieder auf; alle Federn würken stärker, alle
Räder und Rädcrchen spielen leichter. O Liebster, wie wollen wir uns freuen,
uus genießen und mit Gleminde und unsern lieben Wieland's Wannetage leben.
Aber bester Gleim, eher als den 10. May ist's schlechterdings unmöglich, daß wir
von hier abreisen. Zwey Ursachen sind's, die uns hier aufhalten, erstens gewinnt
dadurch unsre liebe Wielandin, die sich noch immer nicht von ihrem letzten gefähr¬
lichen Zufalle erhöhten kann, noch etwas mehr Kräfte zur Reise, und zweytens
müssen wir uns nothwendig erst den Mny des Merkur vom Halse schaffen, daß
wir ruhiger bey Ihnen seyen. Der Gedanke, daß zu Hause nicht alles besorgt


Bertuchs Briefe an Gleim,

Bestrebungen, in denen er selbständig einzugreifen hatte, sind mißlungen, nicht
durch seine Schuld, sondern infolge der traurigen Verhältnisse, in denen seine
schwache, haltungslose Regierung zu den übrigen Mächten stand. Und seine Lauf¬
bahn, die so glänzend begann, hat einen mühsam sich fortschleppenden, zeitweise
völlig unterbrochner Fortgang genommen. Nur in einer Hinsicht zeigt seine Ent¬
wicklung ein stetiges Wachsthum. Sein innrer Mensch ist fortgeschritten von
Jahr zu Jahr, auf dem Grunde echter Frömmigkeit reisend und sich vertiefend.


H. Jacoby.


Bertuchs Briefe an Gleim.
Zur Geschichte des Weimarer Hofes beim Regierungsantritte Lark Augusts.
Mitgetheilt von Heinrich Pröhle. (Schluß.)
6. Bertuch an Gleim. Weimar, den 14. April 1775.

lieber, Theurer Vater Gleim, das war ein hartes Fleck für mich,
das vom Anfange des Jänners bis itzt. Die Teufels mechanischen
Arbeiten, die alle wie Meereswogen über mich auf einmal herein¬
stürzten, hätten fast mein bißchen Geist und Seele erstickt und ersäuft,
nur über mein warmes Herz konnten sie nicht Herr werden. Dieß
liebte Sie, Theuerster Gleim, unter alle dem Gewühl, so inbrünstig
fort als jemals, ohngeachtet mein Kopf, mein armer wüster Kopf teilten Brief an
Sie gebcihren konnte, womit jenes zufrieden gewesen wäre. Gott sey Dank, nun
ist's meistens vorbey, ich springe mit Jubel heraus, schüttele meine struppichter
Schwingen mit Gefühl von Wohlbehagen ans, und fliege zu Ihnen, zu Ihnen
Theuerster Mann, mit unserm Wieland, in Ihre Arme und hohle mir Seele wieder.
Himmel, welch' ein Gedanke, den May bei Ihnen genießen! Ich fühle, er zieht
mein fast ganz abgelaufenes Uhrwerk wieder auf; alle Federn würken stärker, alle
Räder und Rädcrchen spielen leichter. O Liebster, wie wollen wir uns freuen,
uus genießen und mit Gleminde und unsern lieben Wieland's Wannetage leben.
Aber bester Gleim, eher als den 10. May ist's schlechterdings unmöglich, daß wir
von hier abreisen. Zwey Ursachen sind's, die uns hier aufhalten, erstens gewinnt
dadurch unsre liebe Wielandin, die sich noch immer nicht von ihrem letzten gefähr¬
lichen Zufalle erhöhten kann, noch etwas mehr Kräfte zur Reise, und zweytens
müssen wir uns nothwendig erst den Mny des Merkur vom Halse schaffen, daß
wir ruhiger bey Ihnen seyen. Der Gedanke, daß zu Hause nicht alles besorgt


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[0480] Bertuchs Briefe an Gleim, Bestrebungen, in denen er selbständig einzugreifen hatte, sind mißlungen, nicht durch seine Schuld, sondern infolge der traurigen Verhältnisse, in denen seine schwache, haltungslose Regierung zu den übrigen Mächten stand. Und seine Lauf¬ bahn, die so glänzend begann, hat einen mühsam sich fortschleppenden, zeitweise völlig unterbrochner Fortgang genommen. Nur in einer Hinsicht zeigt seine Ent¬ wicklung ein stetiges Wachsthum. Sein innrer Mensch ist fortgeschritten von Jahr zu Jahr, auf dem Grunde echter Frömmigkeit reisend und sich vertiefend. H. Jacoby. Bertuchs Briefe an Gleim. Zur Geschichte des Weimarer Hofes beim Regierungsantritte Lark Augusts. Mitgetheilt von Heinrich Pröhle. (Schluß.) 6. Bertuch an Gleim. Weimar, den 14. April 1775. lieber, Theurer Vater Gleim, das war ein hartes Fleck für mich, das vom Anfange des Jänners bis itzt. Die Teufels mechanischen Arbeiten, die alle wie Meereswogen über mich auf einmal herein¬ stürzten, hätten fast mein bißchen Geist und Seele erstickt und ersäuft, nur über mein warmes Herz konnten sie nicht Herr werden. Dieß liebte Sie, Theuerster Gleim, unter alle dem Gewühl, so inbrünstig fort als jemals, ohngeachtet mein Kopf, mein armer wüster Kopf teilten Brief an Sie gebcihren konnte, womit jenes zufrieden gewesen wäre. Gott sey Dank, nun ist's meistens vorbey, ich springe mit Jubel heraus, schüttele meine struppichter Schwingen mit Gefühl von Wohlbehagen ans, und fliege zu Ihnen, zu Ihnen Theuerster Mann, mit unserm Wieland, in Ihre Arme und hohle mir Seele wieder. Himmel, welch' ein Gedanke, den May bei Ihnen genießen! Ich fühle, er zieht mein fast ganz abgelaufenes Uhrwerk wieder auf; alle Federn würken stärker, alle Räder und Rädcrchen spielen leichter. O Liebster, wie wollen wir uns freuen, uus genießen und mit Gleminde und unsern lieben Wieland's Wannetage leben. Aber bester Gleim, eher als den 10. May ist's schlechterdings unmöglich, daß wir von hier abreisen. Zwey Ursachen sind's, die uns hier aufhalten, erstens gewinnt dadurch unsre liebe Wielandin, die sich noch immer nicht von ihrem letzten gefähr¬ lichen Zufalle erhöhten kann, noch etwas mehr Kräfte zur Reise, und zweytens müssen wir uns nothwendig erst den Mny des Merkur vom Halse schaffen, daß wir ruhiger bey Ihnen seyen. Der Gedanke, daß zu Hause nicht alles besorgt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/480>, abgerufen am 29.04.2024.