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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Line nationale Krankheit.

diejenigen, welche es als ein eigenhändiges Werk des Meisters aus seinen frühern
Jahren proclamiren. Gegen die erster" spricht schon die Thatsache, daß sich in
der Gemäldegalerie in Gotha eine Copie des Bildes befindet, die noch aus dem
17. Jahrhundert herrührt. Daß die Directoren der Berliner Galerie zu der
zweiten Kategorie gehören, ist nur zu erklärlich, da allein durch unbedingtes Fest¬
halten an der vollständigen Ausführung des Bildes durch Rubens selbst der
dafür gezahlte Preis von 200 000 Mark gerechtfertigt werden kann.

Aber selbst wenn nachgewiesen werden könnte, daß Rubens einen großen
Antheil an dem Bilde gehabt hat, der über die Erfindung hinaus auf eine Aus¬
führung der Hauptpartieen von seiner Hand auszudehnen wäre, was mir jedoch
nicht wahrscheinlich ist, fo wird mir und mit mir der Majorität der Künstler
und des Publicums niemand die Ueberzeugung aufdrängen tonnen, daß die Berliner
Galerie um ein schönes, für den Meister charakteristisches und seiner würdiges
Bild bereichert worden ist.


Adolf Rosenberg.


Eine nationale Krankheit.

n frühern Zeiten pflegte man dem Deutschen nachzurühmen, daß
er das Familienleben besonders hochhalte und daß, während die
Frau wirthschaftlich und sorgsam im Hause walte, der Mann neben
seinem Amte oder Geschäft seine Zeit vor allem der Erziehung
seiner Kinder widme. Es mag einmal eine solche Zeit gegeben
haben, für einen großen Theil Deutschlands ist sie gewiß längst vorüber. Nur
das Dogma ist übrig geblieben. Je weniger aber dies der Wirklichkeit entspricht,
um so hartnäckiger wird es verfochten, um so erbarmungsloser das Anathema
gegen den anders denkenden Ausländer geschleudert und um so wohlgefälliger
die Genugthuung ausgesprochen, die der Deutsche haben müsse, wenn er gegen¬
über slavischer Sittenlosigkeit oder romanischem Verfall die reichen Segnungen
betrachte, die täglich zum Heile der Nation aus einem innigen Familienleben
hervorgingen. Und doch müssen wir einer solchen optimistischen Auffassung gegen¬
über festhalten: das deutsche Familienleben, das man als einen Nati-
vnalvorzug rühmt, ist eine Fabel, eine Fabel wie die viel gepriesne deutsche


Line nationale Krankheit.

diejenigen, welche es als ein eigenhändiges Werk des Meisters aus seinen frühern
Jahren proclamiren. Gegen die erster» spricht schon die Thatsache, daß sich in
der Gemäldegalerie in Gotha eine Copie des Bildes befindet, die noch aus dem
17. Jahrhundert herrührt. Daß die Directoren der Berliner Galerie zu der
zweiten Kategorie gehören, ist nur zu erklärlich, da allein durch unbedingtes Fest¬
halten an der vollständigen Ausführung des Bildes durch Rubens selbst der
dafür gezahlte Preis von 200 000 Mark gerechtfertigt werden kann.

Aber selbst wenn nachgewiesen werden könnte, daß Rubens einen großen
Antheil an dem Bilde gehabt hat, der über die Erfindung hinaus auf eine Aus¬
führung der Hauptpartieen von seiner Hand auszudehnen wäre, was mir jedoch
nicht wahrscheinlich ist, fo wird mir und mit mir der Majorität der Künstler
und des Publicums niemand die Ueberzeugung aufdrängen tonnen, daß die Berliner
Galerie um ein schönes, für den Meister charakteristisches und seiner würdiges
Bild bereichert worden ist.


Adolf Rosenberg.


Eine nationale Krankheit.

n frühern Zeiten pflegte man dem Deutschen nachzurühmen, daß
er das Familienleben besonders hochhalte und daß, während die
Frau wirthschaftlich und sorgsam im Hause walte, der Mann neben
seinem Amte oder Geschäft seine Zeit vor allem der Erziehung
seiner Kinder widme. Es mag einmal eine solche Zeit gegeben
haben, für einen großen Theil Deutschlands ist sie gewiß längst vorüber. Nur
das Dogma ist übrig geblieben. Je weniger aber dies der Wirklichkeit entspricht,
um so hartnäckiger wird es verfochten, um so erbarmungsloser das Anathema
gegen den anders denkenden Ausländer geschleudert und um so wohlgefälliger
die Genugthuung ausgesprochen, die der Deutsche haben müsse, wenn er gegen¬
über slavischer Sittenlosigkeit oder romanischem Verfall die reichen Segnungen
betrachte, die täglich zum Heile der Nation aus einem innigen Familienleben
hervorgingen. Und doch müssen wir einer solchen optimistischen Auffassung gegen¬
über festhalten: das deutsche Familienleben, das man als einen Nati-
vnalvorzug rühmt, ist eine Fabel, eine Fabel wie die viel gepriesne deutsche


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[0191] Line nationale Krankheit. diejenigen, welche es als ein eigenhändiges Werk des Meisters aus seinen frühern Jahren proclamiren. Gegen die erster» spricht schon die Thatsache, daß sich in der Gemäldegalerie in Gotha eine Copie des Bildes befindet, die noch aus dem 17. Jahrhundert herrührt. Daß die Directoren der Berliner Galerie zu der zweiten Kategorie gehören, ist nur zu erklärlich, da allein durch unbedingtes Fest¬ halten an der vollständigen Ausführung des Bildes durch Rubens selbst der dafür gezahlte Preis von 200 000 Mark gerechtfertigt werden kann. Aber selbst wenn nachgewiesen werden könnte, daß Rubens einen großen Antheil an dem Bilde gehabt hat, der über die Erfindung hinaus auf eine Aus¬ führung der Hauptpartieen von seiner Hand auszudehnen wäre, was mir jedoch nicht wahrscheinlich ist, fo wird mir und mit mir der Majorität der Künstler und des Publicums niemand die Ueberzeugung aufdrängen tonnen, daß die Berliner Galerie um ein schönes, für den Meister charakteristisches und seiner würdiges Bild bereichert worden ist. Adolf Rosenberg. Eine nationale Krankheit. n frühern Zeiten pflegte man dem Deutschen nachzurühmen, daß er das Familienleben besonders hochhalte und daß, während die Frau wirthschaftlich und sorgsam im Hause walte, der Mann neben seinem Amte oder Geschäft seine Zeit vor allem der Erziehung seiner Kinder widme. Es mag einmal eine solche Zeit gegeben haben, für einen großen Theil Deutschlands ist sie gewiß längst vorüber. Nur das Dogma ist übrig geblieben. Je weniger aber dies der Wirklichkeit entspricht, um so hartnäckiger wird es verfochten, um so erbarmungsloser das Anathema gegen den anders denkenden Ausländer geschleudert und um so wohlgefälliger die Genugthuung ausgesprochen, die der Deutsche haben müsse, wenn er gegen¬ über slavischer Sittenlosigkeit oder romanischem Verfall die reichen Segnungen betrachte, die täglich zum Heile der Nation aus einem innigen Familienleben hervorgingen. Und doch müssen wir einer solchen optimistischen Auffassung gegen¬ über festhalten: das deutsche Familienleben, das man als einen Nati- vnalvorzug rühmt, ist eine Fabel, eine Fabel wie die viel gepriesne deutsche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/191>, abgerufen am 06.05.2024.