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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Gleim an Bertuch.

n Nummer 10 und 11 der diesjährigen "Grenzboten" hat H. Pröhle
die Briefe Bertuchs an Gleim, soweit sie in dem Gleimschen Archiv
vorhanden sind, herausgegeben. Bei dieser Veröffentlichung hat
er einen Grundsatz befolgt, dem er bei seineu überaus zahlreichen
Brief-Publicationen des 18. Jahrhunderts bisher stets treu ge¬
blieben ist, nämlich den, die Briefe ganz unverkürzt mitzutheilen. Einen solchen
Grundsatz kann ich uun nicht allgemein für richtig halten, bekenne vielmehr, daß
die Befolgung desselben schon jetzt weit mehr Schaden als Nutzen gestiftet hat,
indem eine schwer übersehbare Masse überflüssiger, werthloser Briefe ins Publicum
gebracht sind, welche das Interesse vernichten statt es zu erregen, welche die
Literaturgeschichte, die eine Entwicklung mächtiger Ideen sein sollte, zu einem
Repertorium von Klatschgeschichten zu macheu geeignet sind. Was freilich die
hervorragendsten Geister unsrer Nation geschrieben haben, bleibt der Erhaltung
und der Mittheilung werth, und so mögen selbst kleine, verhältnißmäßig inhalt¬
lose Billete Goethes -- wie ich dies im Goethejahrbuch selbst thue oder durch
andre gern geschehen lasse -- mitgetheilt werden, weil sie, obschon vielleicht an
und für sich nicht sonderlich wichtig, dnrch die Persönlichkeit des Schreibers
Werth genug besitze!?. Anders verhält es sich indessen mit Schriftstellern zweiten
und dritten Ranges. Wollte man nämlich, um bei Gleim stehen zu bleiben, den
Versuch machen, sämmtliche Briefe, die dieser freundschaftsselige, schreiblnstige
und redefertige Manu während eines sehr langen, nicht eben von vielen Ge¬
schäften geplagten Lebens geschrieben hat, abzudrucken, so würde man den Umfang
eines kleinen Conversationslexikons ganz wohl erreichen. Gleim war ein wackrer
Mensch und ein geschickter Versemacher, aber er war ein kleiner Geist und ein
sehr großer Schwätzer, ein Mann, der mancherlei wußte und vieles zu wissen
begehrte, der daher unermüdlich war zu fragen und nicht minder eifrig, das
erzählte zu wiederholen, der unaufhörlich Freundschaftsversicherungen spenden
konnte und, wenn er wirklich einmal die Lust verlor, von andern zu sprechen,
nie müde wurde, von sich zu reden.

Diese Erwägungen veranlassen mich, von den mehr als fünfzig Briefen Gleims
an Bertuch, die ich durch die Güte der Besitzer des Bertuch-Froriepschcn Archivs
in Weimar benutzen durfte, in welchem diese nebst andern taufenden an Bertuch
und Froriep gerichteten sorgfältig aufbewahrt sind, nur wenige Brnchstttcke
einiger Briefe zu veröffentlichen. Was ich gebe, ist das, was sich mir bei einer


Gleim an Bertuch.

n Nummer 10 und 11 der diesjährigen „Grenzboten" hat H. Pröhle
die Briefe Bertuchs an Gleim, soweit sie in dem Gleimschen Archiv
vorhanden sind, herausgegeben. Bei dieser Veröffentlichung hat
er einen Grundsatz befolgt, dem er bei seineu überaus zahlreichen
Brief-Publicationen des 18. Jahrhunderts bisher stets treu ge¬
blieben ist, nämlich den, die Briefe ganz unverkürzt mitzutheilen. Einen solchen
Grundsatz kann ich uun nicht allgemein für richtig halten, bekenne vielmehr, daß
die Befolgung desselben schon jetzt weit mehr Schaden als Nutzen gestiftet hat,
indem eine schwer übersehbare Masse überflüssiger, werthloser Briefe ins Publicum
gebracht sind, welche das Interesse vernichten statt es zu erregen, welche die
Literaturgeschichte, die eine Entwicklung mächtiger Ideen sein sollte, zu einem
Repertorium von Klatschgeschichten zu macheu geeignet sind. Was freilich die
hervorragendsten Geister unsrer Nation geschrieben haben, bleibt der Erhaltung
und der Mittheilung werth, und so mögen selbst kleine, verhältnißmäßig inhalt¬
lose Billete Goethes — wie ich dies im Goethejahrbuch selbst thue oder durch
andre gern geschehen lasse — mitgetheilt werden, weil sie, obschon vielleicht an
und für sich nicht sonderlich wichtig, dnrch die Persönlichkeit des Schreibers
Werth genug besitze!?. Anders verhält es sich indessen mit Schriftstellern zweiten
und dritten Ranges. Wollte man nämlich, um bei Gleim stehen zu bleiben, den
Versuch machen, sämmtliche Briefe, die dieser freundschaftsselige, schreiblnstige
und redefertige Manu während eines sehr langen, nicht eben von vielen Ge¬
schäften geplagten Lebens geschrieben hat, abzudrucken, so würde man den Umfang
eines kleinen Conversationslexikons ganz wohl erreichen. Gleim war ein wackrer
Mensch und ein geschickter Versemacher, aber er war ein kleiner Geist und ein
sehr großer Schwätzer, ein Mann, der mancherlei wußte und vieles zu wissen
begehrte, der daher unermüdlich war zu fragen und nicht minder eifrig, das
erzählte zu wiederholen, der unaufhörlich Freundschaftsversicherungen spenden
konnte und, wenn er wirklich einmal die Lust verlor, von andern zu sprechen,
nie müde wurde, von sich zu reden.

Diese Erwägungen veranlassen mich, von den mehr als fünfzig Briefen Gleims
an Bertuch, die ich durch die Güte der Besitzer des Bertuch-Froriepschcn Archivs
in Weimar benutzen durfte, in welchem diese nebst andern taufenden an Bertuch
und Froriep gerichteten sorgfältig aufbewahrt sind, nur wenige Brnchstttcke
einiger Briefe zu veröffentlichen. Was ich gebe, ist das, was sich mir bei einer


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[0446] Gleim an Bertuch. n Nummer 10 und 11 der diesjährigen „Grenzboten" hat H. Pröhle die Briefe Bertuchs an Gleim, soweit sie in dem Gleimschen Archiv vorhanden sind, herausgegeben. Bei dieser Veröffentlichung hat er einen Grundsatz befolgt, dem er bei seineu überaus zahlreichen Brief-Publicationen des 18. Jahrhunderts bisher stets treu ge¬ blieben ist, nämlich den, die Briefe ganz unverkürzt mitzutheilen. Einen solchen Grundsatz kann ich uun nicht allgemein für richtig halten, bekenne vielmehr, daß die Befolgung desselben schon jetzt weit mehr Schaden als Nutzen gestiftet hat, indem eine schwer übersehbare Masse überflüssiger, werthloser Briefe ins Publicum gebracht sind, welche das Interesse vernichten statt es zu erregen, welche die Literaturgeschichte, die eine Entwicklung mächtiger Ideen sein sollte, zu einem Repertorium von Klatschgeschichten zu macheu geeignet sind. Was freilich die hervorragendsten Geister unsrer Nation geschrieben haben, bleibt der Erhaltung und der Mittheilung werth, und so mögen selbst kleine, verhältnißmäßig inhalt¬ lose Billete Goethes — wie ich dies im Goethejahrbuch selbst thue oder durch andre gern geschehen lasse — mitgetheilt werden, weil sie, obschon vielleicht an und für sich nicht sonderlich wichtig, dnrch die Persönlichkeit des Schreibers Werth genug besitze!?. Anders verhält es sich indessen mit Schriftstellern zweiten und dritten Ranges. Wollte man nämlich, um bei Gleim stehen zu bleiben, den Versuch machen, sämmtliche Briefe, die dieser freundschaftsselige, schreiblnstige und redefertige Manu während eines sehr langen, nicht eben von vielen Ge¬ schäften geplagten Lebens geschrieben hat, abzudrucken, so würde man den Umfang eines kleinen Conversationslexikons ganz wohl erreichen. Gleim war ein wackrer Mensch und ein geschickter Versemacher, aber er war ein kleiner Geist und ein sehr großer Schwätzer, ein Mann, der mancherlei wußte und vieles zu wissen begehrte, der daher unermüdlich war zu fragen und nicht minder eifrig, das erzählte zu wiederholen, der unaufhörlich Freundschaftsversicherungen spenden konnte und, wenn er wirklich einmal die Lust verlor, von andern zu sprechen, nie müde wurde, von sich zu reden. Diese Erwägungen veranlassen mich, von den mehr als fünfzig Briefen Gleims an Bertuch, die ich durch die Güte der Besitzer des Bertuch-Froriepschcn Archivs in Weimar benutzen durfte, in welchem diese nebst andern taufenden an Bertuch und Froriep gerichteten sorgfältig aufbewahrt sind, nur wenige Brnchstttcke einiger Briefe zu veröffentlichen. Was ich gebe, ist das, was sich mir bei einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/446>, abgerufen am 06.05.2024.