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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Glenn an Bertuch.

genauen Prüfung des Inhalts als literarhistorisch wichtig oder interessant heraus¬
gestellt hat. Daß bei einer derartigen Auswahl nicht ganz ohne Willkür ver¬
fahren werden kann, ist gewiß, aber es ist sicherlich ein geringres Unglück, eine
oder die andre Notiz auszulassen, die nur einem allzu pietätsvollen Kleinigkeits¬
krämer heilig vorkommen könnte, als eine schwere Masse Ballast wie kostbares
Gut mitzutheilen.

Nur zwei Bemerkungen mögen den Briefen vorausgehn: die eine, daß, wie
Pröhle richtig vermuthet, der Briefwechsel nicht 1777 aufgehört, sondern, wie
aus den folgenden Fragmenten hervorgeht, mindestens bis 1799 gedauert hat;
die andre, daß, entgegen Pröhles Voraussetzung, der Gleim-Bertuchsche Brief¬
wechsel schwerlich viele Bemerkungen über Goethe und Aufklärungen über das
wcimarische Treiben jener Zeit enthalten haben kann. Von Gimils Briefen
kann ich dies sicher behaupten, denn da ich bei meinen Studien im Bertuchschen
Archiv zunächst hauptsächlich darauf ausging, Mittheilungen über Goethe zu
finden -- eine Beschränkung, die ich mir freilich bei der überraschenden Fülle
des Materials nicht lange gestatten konnte --, so forschte ich auch in den Gleimschen
Briefen darnach und die Ausbeute waren zwei magere Notizen (15. Januar bis
14. Februar 1776 und 13. April 1777), die ich schon im Goethe-Jahrbuch
(II, S. 386 und 394) abdrucken ließ und deshalb hier nicht wiederholen mag.
Die Brieffragmente selbst lauten folgendermaßen:

1.

Halberstadt, den l. Nov. 1774.*)

... Ich habe dem Knaben-Muthwille", der wider unsern Wieland so Possir-
lich zu rasen weiß, in die Augen gesehn und die Achseln gezuckt; leider, mein
bester Bertuch sinds ungerathene Schüler des guten Gellerts und, wie ich nicht
ohn' Ursach argwohne, meines lieben Joh. Andr. Cramers, des itzigen Vice-
Kcmzlers in Kiel, um den mir bang ist, weil er so hoch auf jener Leiter steht,
von welcher Spalding so tief in den Abgrund der Hölle gestürzt ist. Dieses
meines lieben Cramers Sohn, der mit einem andern Vornamen im Musenalmanach
auch als ein frommer Dichter, andere nicht-fromme Dichter niedersingend mehr¬
malen vorkommt, besuchte mich vor etlichen Wochen und dcclcunirte gegen die un¬
moralischen Dichter, mit einem Ernst, nicht Ernst, mit einer Gravität, die seinem
Vater angestanden hätte; Sie mögen sich vorstellen, lieber junger Freund, mit
welchem Eifer ich den jungen Mann zurechte wies. Und als er weg war, da
schrieb ich in mein rothes Buch:**)




*) Der Brief ist die Antwort auf Ur. 2 bei Pröhle vom 24. October 1774.
**
) Halladat oder das rothe Buch, die unförmliche Dichtung Gleims, für welche thätig
zu sein Bertuch am 24. October versprochen hatte. In der ersten Ausgabe des Buches
(Hamburg, gedruckt bei Bode, 1774) stehen übrigens die mitgetheilten Verse nicht.
Glenn an Bertuch.

genauen Prüfung des Inhalts als literarhistorisch wichtig oder interessant heraus¬
gestellt hat. Daß bei einer derartigen Auswahl nicht ganz ohne Willkür ver¬
fahren werden kann, ist gewiß, aber es ist sicherlich ein geringres Unglück, eine
oder die andre Notiz auszulassen, die nur einem allzu pietätsvollen Kleinigkeits¬
krämer heilig vorkommen könnte, als eine schwere Masse Ballast wie kostbares
Gut mitzutheilen.

Nur zwei Bemerkungen mögen den Briefen vorausgehn: die eine, daß, wie
Pröhle richtig vermuthet, der Briefwechsel nicht 1777 aufgehört, sondern, wie
aus den folgenden Fragmenten hervorgeht, mindestens bis 1799 gedauert hat;
die andre, daß, entgegen Pröhles Voraussetzung, der Gleim-Bertuchsche Brief¬
wechsel schwerlich viele Bemerkungen über Goethe und Aufklärungen über das
wcimarische Treiben jener Zeit enthalten haben kann. Von Gimils Briefen
kann ich dies sicher behaupten, denn da ich bei meinen Studien im Bertuchschen
Archiv zunächst hauptsächlich darauf ausging, Mittheilungen über Goethe zu
finden — eine Beschränkung, die ich mir freilich bei der überraschenden Fülle
des Materials nicht lange gestatten konnte —, so forschte ich auch in den Gleimschen
Briefen darnach und die Ausbeute waren zwei magere Notizen (15. Januar bis
14. Februar 1776 und 13. April 1777), die ich schon im Goethe-Jahrbuch
(II, S. 386 und 394) abdrucken ließ und deshalb hier nicht wiederholen mag.
Die Brieffragmente selbst lauten folgendermaßen:

1.

Halberstadt, den l. Nov. 1774.*)

... Ich habe dem Knaben-Muthwille», der wider unsern Wieland so Possir-
lich zu rasen weiß, in die Augen gesehn und die Achseln gezuckt; leider, mein
bester Bertuch sinds ungerathene Schüler des guten Gellerts und, wie ich nicht
ohn' Ursach argwohne, meines lieben Joh. Andr. Cramers, des itzigen Vice-
Kcmzlers in Kiel, um den mir bang ist, weil er so hoch auf jener Leiter steht,
von welcher Spalding so tief in den Abgrund der Hölle gestürzt ist. Dieses
meines lieben Cramers Sohn, der mit einem andern Vornamen im Musenalmanach
auch als ein frommer Dichter, andere nicht-fromme Dichter niedersingend mehr¬
malen vorkommt, besuchte mich vor etlichen Wochen und dcclcunirte gegen die un¬
moralischen Dichter, mit einem Ernst, nicht Ernst, mit einer Gravität, die seinem
Vater angestanden hätte; Sie mögen sich vorstellen, lieber junger Freund, mit
welchem Eifer ich den jungen Mann zurechte wies. Und als er weg war, da
schrieb ich in mein rothes Buch:**)




*) Der Brief ist die Antwort auf Ur. 2 bei Pröhle vom 24. October 1774.
**
) Halladat oder das rothe Buch, die unförmliche Dichtung Gleims, für welche thätig
zu sein Bertuch am 24. October versprochen hatte. In der ersten Ausgabe des Buches
(Hamburg, gedruckt bei Bode, 1774) stehen übrigens die mitgetheilten Verse nicht.
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[0447] Glenn an Bertuch. genauen Prüfung des Inhalts als literarhistorisch wichtig oder interessant heraus¬ gestellt hat. Daß bei einer derartigen Auswahl nicht ganz ohne Willkür ver¬ fahren werden kann, ist gewiß, aber es ist sicherlich ein geringres Unglück, eine oder die andre Notiz auszulassen, die nur einem allzu pietätsvollen Kleinigkeits¬ krämer heilig vorkommen könnte, als eine schwere Masse Ballast wie kostbares Gut mitzutheilen. Nur zwei Bemerkungen mögen den Briefen vorausgehn: die eine, daß, wie Pröhle richtig vermuthet, der Briefwechsel nicht 1777 aufgehört, sondern, wie aus den folgenden Fragmenten hervorgeht, mindestens bis 1799 gedauert hat; die andre, daß, entgegen Pröhles Voraussetzung, der Gleim-Bertuchsche Brief¬ wechsel schwerlich viele Bemerkungen über Goethe und Aufklärungen über das wcimarische Treiben jener Zeit enthalten haben kann. Von Gimils Briefen kann ich dies sicher behaupten, denn da ich bei meinen Studien im Bertuchschen Archiv zunächst hauptsächlich darauf ausging, Mittheilungen über Goethe zu finden — eine Beschränkung, die ich mir freilich bei der überraschenden Fülle des Materials nicht lange gestatten konnte —, so forschte ich auch in den Gleimschen Briefen darnach und die Ausbeute waren zwei magere Notizen (15. Januar bis 14. Februar 1776 und 13. April 1777), die ich schon im Goethe-Jahrbuch (II, S. 386 und 394) abdrucken ließ und deshalb hier nicht wiederholen mag. Die Brieffragmente selbst lauten folgendermaßen: 1. Halberstadt, den l. Nov. 1774.*) ... Ich habe dem Knaben-Muthwille», der wider unsern Wieland so Possir- lich zu rasen weiß, in die Augen gesehn und die Achseln gezuckt; leider, mein bester Bertuch sinds ungerathene Schüler des guten Gellerts und, wie ich nicht ohn' Ursach argwohne, meines lieben Joh. Andr. Cramers, des itzigen Vice- Kcmzlers in Kiel, um den mir bang ist, weil er so hoch auf jener Leiter steht, von welcher Spalding so tief in den Abgrund der Hölle gestürzt ist. Dieses meines lieben Cramers Sohn, der mit einem andern Vornamen im Musenalmanach auch als ein frommer Dichter, andere nicht-fromme Dichter niedersingend mehr¬ malen vorkommt, besuchte mich vor etlichen Wochen und dcclcunirte gegen die un¬ moralischen Dichter, mit einem Ernst, nicht Ernst, mit einer Gravität, die seinem Vater angestanden hätte; Sie mögen sich vorstellen, lieber junger Freund, mit welchem Eifer ich den jungen Mann zurechte wies. Und als er weg war, da schrieb ich in mein rothes Buch:**) *) Der Brief ist die Antwort auf Ur. 2 bei Pröhle vom 24. October 1774. ** ) Halladat oder das rothe Buch, die unförmliche Dichtung Gleims, für welche thätig zu sein Bertuch am 24. October versprochen hatte. In der ersten Ausgabe des Buches (Hamburg, gedruckt bei Bode, 1774) stehen übrigens die mitgetheilten Verse nicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/447>, abgerufen am 06.05.2024.