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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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politische Briefe.
^, Europa und der ^ Z. März,

wei Wochen sind vorüber, seit Europa durch die Kunde einer
Schandthat erschreckt wurde, von derengleichen das lebende Ge¬
schlecht nur aus der Ueberlieferung andrer Zeiten wußte, So
mag die Hinrichtung Ludwigs XVI. die Völker mit Entsetzen ge¬
schlagen haben, so die Morde an dem Ornnier und Heinrich IV.
Aber wenn die Frevelthat in Se. Petersburg nicht einzig in ihrer Art ist, so
ist sie doch unerreicht in ihrer Scheußlichkeit und beispiellos in ihrem grausamen
und gotteslästerlichen Muthwillen. Die Morde des religiösen Fanatismus
räumten bedeutende Gegner aus mächtigen Stellungen weg; sie verwandelten den
ehrlichen Kampf in meuchlerischen Anfall, aber sie entsprangen einem Conflict
welthistorischer Mächte. Dein Justizmord des Convents war bei allen Zeichen
theatralischen Uebermuths und deelamatorischer Selbstcrhitzung immerhin die poli¬
tische Berechnung beigemischt, in der Person eines entwaffnete" und nie von
tyrannischer Gesinnung erfüllten Trägers ein feindliches Prineip tödtlich zu
treffen. Nichts von alledem in Se. Petersburg. Allein der herostrntische Kitzel
abgelebter Buben und der mißbrauchte Fanatismus beschränkter Naturen, die
einem Zwecke zu dienen glauben, ohne ihn zu verstehen, und ein Uebel auszu¬
rotten, dessen Wurzeln sie nicht sehen, haben hier theils ohne Wahl, theils mit
sinnloser Wahl auf unschuldige Opfer die furchtbarsten Werkzeuge der Zerstörung
geschlendert.

Die erste Lehre, welche unser Zeitalter diesem grauenvollen Ereigniß ent¬
nehmen sollte, wäre die Mäßigung in der Überschätzung jener mechanischen und


Gu'nztwtni II. IL81. 1


politische Briefe.
^, Europa und der ^ Z. März,

wei Wochen sind vorüber, seit Europa durch die Kunde einer
Schandthat erschreckt wurde, von derengleichen das lebende Ge¬
schlecht nur aus der Ueberlieferung andrer Zeiten wußte, So
mag die Hinrichtung Ludwigs XVI. die Völker mit Entsetzen ge¬
schlagen haben, so die Morde an dem Ornnier und Heinrich IV.
Aber wenn die Frevelthat in Se. Petersburg nicht einzig in ihrer Art ist, so
ist sie doch unerreicht in ihrer Scheußlichkeit und beispiellos in ihrem grausamen
und gotteslästerlichen Muthwillen. Die Morde des religiösen Fanatismus
räumten bedeutende Gegner aus mächtigen Stellungen weg; sie verwandelten den
ehrlichen Kampf in meuchlerischen Anfall, aber sie entsprangen einem Conflict
welthistorischer Mächte. Dein Justizmord des Convents war bei allen Zeichen
theatralischen Uebermuths und deelamatorischer Selbstcrhitzung immerhin die poli¬
tische Berechnung beigemischt, in der Person eines entwaffnete» und nie von
tyrannischer Gesinnung erfüllten Trägers ein feindliches Prineip tödtlich zu
treffen. Nichts von alledem in Se. Petersburg. Allein der herostrntische Kitzel
abgelebter Buben und der mißbrauchte Fanatismus beschränkter Naturen, die
einem Zwecke zu dienen glauben, ohne ihn zu verstehen, und ein Uebel auszu¬
rotten, dessen Wurzeln sie nicht sehen, haben hier theils ohne Wahl, theils mit
sinnloser Wahl auf unschuldige Opfer die furchtbarsten Werkzeuge der Zerstörung
geschlendert.

Die erste Lehre, welche unser Zeitalter diesem grauenvollen Ereigniß ent¬
nehmen sollte, wäre die Mäßigung in der Überschätzung jener mechanischen und


Gu'nztwtni II. IL81. 1
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[0005] [Abbildung] politische Briefe. ^, Europa und der ^ Z. März, wei Wochen sind vorüber, seit Europa durch die Kunde einer Schandthat erschreckt wurde, von derengleichen das lebende Ge¬ schlecht nur aus der Ueberlieferung andrer Zeiten wußte, So mag die Hinrichtung Ludwigs XVI. die Völker mit Entsetzen ge¬ schlagen haben, so die Morde an dem Ornnier und Heinrich IV. Aber wenn die Frevelthat in Se. Petersburg nicht einzig in ihrer Art ist, so ist sie doch unerreicht in ihrer Scheußlichkeit und beispiellos in ihrem grausamen und gotteslästerlichen Muthwillen. Die Morde des religiösen Fanatismus räumten bedeutende Gegner aus mächtigen Stellungen weg; sie verwandelten den ehrlichen Kampf in meuchlerischen Anfall, aber sie entsprangen einem Conflict welthistorischer Mächte. Dein Justizmord des Convents war bei allen Zeichen theatralischen Uebermuths und deelamatorischer Selbstcrhitzung immerhin die poli¬ tische Berechnung beigemischt, in der Person eines entwaffnete» und nie von tyrannischer Gesinnung erfüllten Trägers ein feindliches Prineip tödtlich zu treffen. Nichts von alledem in Se. Petersburg. Allein der herostrntische Kitzel abgelebter Buben und der mißbrauchte Fanatismus beschränkter Naturen, die einem Zwecke zu dienen glauben, ohne ihn zu verstehen, und ein Uebel auszu¬ rotten, dessen Wurzeln sie nicht sehen, haben hier theils ohne Wahl, theils mit sinnloser Wahl auf unschuldige Opfer die furchtbarsten Werkzeuge der Zerstörung geschlendert. Die erste Lehre, welche unser Zeitalter diesem grauenvollen Ereigniß ent¬ nehmen sollte, wäre die Mäßigung in der Überschätzung jener mechanischen und Gu'nztwtni II. IL81. 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/5>, abgerufen am 06.05.2024.