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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Die bulgarische Krisis.

ist aber, wie es scheint, gar nicht versucht worden infolge der von beiden con-
servativen Fractionen cingegmignen voreiligeir Transaction mit dem Centrum,
wolchc zu nichts geführt hat.

Was die nativuallibcrale Partei betrifft, so ist sehr zu bedauern, daß die
Fraction anfangs auf den subalternen Gedanken der Privateoncurrenz, wohl in¬
folge der privaten Thätigkeit der Privatvcrsichernngsgcsellschaften, verfiel. Als
diese Zulassung bei der zweiten Lesung gefallen war, hat sich die Partei gegen
den Bcrmittluugsantrag -- wir können es uns wenigstens nicht anders erklären --
aus zwei Gründen gesträubt: erstens weil mit ihr nicht verhandelt worden war
und zweitens weil der Vermittlungsantrag die Laudesaustälten enthielt.

Man sollte meinen, es konnte nichts im Wege stehen, daß die national-
liberale Partei sich für das Unfallversichernngsgesctz in der ursprünglichen Form
der Regierungsvorlage, aber mit der Befreiung der Arbeiter bis zur Lohnhöhe
von 1500 Mark erkläre. Denn es ist nicht wahr, daß der Staatssocialismus,
wie er in dieser Vorlage erscheint, den Boden der bestehenden Rechtsordnung
verlasse. In dieser Beziehung braucht den oben angeführten Ausführungen einer
seeessivnistischcn Feder nichts hinzugefügt zu werden. Die Furcht aber, daß
man von einem unbedenklichen Staatssocialismus nothwendig zu einem bedenk¬
lichen gelangen müsse, scheint uns einer Partei nicht würdig, die ihre Pflichten
kennt und die Stärke jeder guten Sache. Wie bedeutungsvoll ein derartiger
Beschluß der uationalliberaleu Partei bei rechtzeitiger Kundgebung für das Ver¬
hältniß der Partei zum Reichskanzler werden müßte, bedarf keiner Bemerkung-
Es scheint auch, daß auf die Möglichkeit, deu Weg der Verständigung mit dem
Reichskanzler wiederzufinden, anch innerhalb der nationalliberalen Partei noch
^ nicht die letzte Hoffnung aufgegeben worden.




Die bulgarische Krisis.

nlgcirien, das verzogne Kind Europas, macht jetzt eine Krisis von
höchster Wichtigkeit durch, von Bedeutung nicht bloß für das Land
selbst, sondern auch für weitre Kreise. Als vor ungefähr drei Jahren
die Großmächte ihm das Recht verliehen, sich selbst zu regieren,
fragten sich die mit den dortigen Verhältnissen vertrauten mit be¬
denklicher Miene: Wir haben die Bulgaren von dem türkischen Joche befreit, ihnen
die volle, uneingeschränkte Unabhängigkeit verliehen und dem neugebornen Staate


Die bulgarische Krisis.

ist aber, wie es scheint, gar nicht versucht worden infolge der von beiden con-
servativen Fractionen cingegmignen voreiligeir Transaction mit dem Centrum,
wolchc zu nichts geführt hat.

Was die nativuallibcrale Partei betrifft, so ist sehr zu bedauern, daß die
Fraction anfangs auf den subalternen Gedanken der Privateoncurrenz, wohl in¬
folge der privaten Thätigkeit der Privatvcrsichernngsgcsellschaften, verfiel. Als
diese Zulassung bei der zweiten Lesung gefallen war, hat sich die Partei gegen
den Bcrmittluugsantrag — wir können es uns wenigstens nicht anders erklären —
aus zwei Gründen gesträubt: erstens weil mit ihr nicht verhandelt worden war
und zweitens weil der Vermittlungsantrag die Laudesaustälten enthielt.

Man sollte meinen, es konnte nichts im Wege stehen, daß die national-
liberale Partei sich für das Unfallversichernngsgesctz in der ursprünglichen Form
der Regierungsvorlage, aber mit der Befreiung der Arbeiter bis zur Lohnhöhe
von 1500 Mark erkläre. Denn es ist nicht wahr, daß der Staatssocialismus,
wie er in dieser Vorlage erscheint, den Boden der bestehenden Rechtsordnung
verlasse. In dieser Beziehung braucht den oben angeführten Ausführungen einer
seeessivnistischcn Feder nichts hinzugefügt zu werden. Die Furcht aber, daß
man von einem unbedenklichen Staatssocialismus nothwendig zu einem bedenk¬
lichen gelangen müsse, scheint uns einer Partei nicht würdig, die ihre Pflichten
kennt und die Stärke jeder guten Sache. Wie bedeutungsvoll ein derartiger
Beschluß der uationalliberaleu Partei bei rechtzeitiger Kundgebung für das Ver¬
hältniß der Partei zum Reichskanzler werden müßte, bedarf keiner Bemerkung-
Es scheint auch, daß auf die Möglichkeit, deu Weg der Verständigung mit dem
Reichskanzler wiederzufinden, anch innerhalb der nationalliberalen Partei noch
^ nicht die letzte Hoffnung aufgegeben worden.




Die bulgarische Krisis.

nlgcirien, das verzogne Kind Europas, macht jetzt eine Krisis von
höchster Wichtigkeit durch, von Bedeutung nicht bloß für das Land
selbst, sondern auch für weitre Kreise. Als vor ungefähr drei Jahren
die Großmächte ihm das Recht verliehen, sich selbst zu regieren,
fragten sich die mit den dortigen Verhältnissen vertrauten mit be¬
denklicher Miene: Wir haben die Bulgaren von dem türkischen Joche befreit, ihnen
die volle, uneingeschränkte Unabhängigkeit verliehen und dem neugebornen Staate


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[0530] Die bulgarische Krisis. ist aber, wie es scheint, gar nicht versucht worden infolge der von beiden con- servativen Fractionen cingegmignen voreiligeir Transaction mit dem Centrum, wolchc zu nichts geführt hat. Was die nativuallibcrale Partei betrifft, so ist sehr zu bedauern, daß die Fraction anfangs auf den subalternen Gedanken der Privateoncurrenz, wohl in¬ folge der privaten Thätigkeit der Privatvcrsichernngsgcsellschaften, verfiel. Als diese Zulassung bei der zweiten Lesung gefallen war, hat sich die Partei gegen den Bcrmittluugsantrag — wir können es uns wenigstens nicht anders erklären — aus zwei Gründen gesträubt: erstens weil mit ihr nicht verhandelt worden war und zweitens weil der Vermittlungsantrag die Laudesaustälten enthielt. Man sollte meinen, es konnte nichts im Wege stehen, daß die national- liberale Partei sich für das Unfallversichernngsgesctz in der ursprünglichen Form der Regierungsvorlage, aber mit der Befreiung der Arbeiter bis zur Lohnhöhe von 1500 Mark erkläre. Denn es ist nicht wahr, daß der Staatssocialismus, wie er in dieser Vorlage erscheint, den Boden der bestehenden Rechtsordnung verlasse. In dieser Beziehung braucht den oben angeführten Ausführungen einer seeessivnistischcn Feder nichts hinzugefügt zu werden. Die Furcht aber, daß man von einem unbedenklichen Staatssocialismus nothwendig zu einem bedenk¬ lichen gelangen müsse, scheint uns einer Partei nicht würdig, die ihre Pflichten kennt und die Stärke jeder guten Sache. Wie bedeutungsvoll ein derartiger Beschluß der uationalliberaleu Partei bei rechtzeitiger Kundgebung für das Ver¬ hältniß der Partei zum Reichskanzler werden müßte, bedarf keiner Bemerkung- Es scheint auch, daß auf die Möglichkeit, deu Weg der Verständigung mit dem Reichskanzler wiederzufinden, anch innerhalb der nationalliberalen Partei noch ^ nicht die letzte Hoffnung aufgegeben worden. Die bulgarische Krisis. nlgcirien, das verzogne Kind Europas, macht jetzt eine Krisis von höchster Wichtigkeit durch, von Bedeutung nicht bloß für das Land selbst, sondern auch für weitre Kreise. Als vor ungefähr drei Jahren die Großmächte ihm das Recht verliehen, sich selbst zu regieren, fragten sich die mit den dortigen Verhältnissen vertrauten mit be¬ denklicher Miene: Wir haben die Bulgaren von dem türkischen Joche befreit, ihnen die volle, uneingeschränkte Unabhängigkeit verliehen und dem neugebornen Staate

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/530>, abgerufen am 07.05.2024.