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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Lriefe Stolbergs an vos; über die Schweizerreise ^??5.

den Aufenthalt in Goethes Vaterhause. Wohl aber finden sich hie und da Aus¬
sprüche über Goethe, die überaus beachtenswert!) sind. Wie schön schildert zum
Beispiel Christian Stolberg das Wesen Goethes in den wenigen aus Frankfurt
am 12. Mai geschriebenen Worten: "Goethe kam bald zu uns, er war in wenigen
Tagen mit Haugwitz intim geworden und ward es auch gleich mit uns. Er aß
mit uns und wir waren, als Hütten wir uns Jahre lang gekannt. Es ist ein
gar herrlicher Mann, Die Fülle der heißen Empfindung strömt aus jedem Wort,
aus jeder Miene, Er ist bis zum Ungestüm lebhaft, aber auch aus dem Un¬
gestüm blickt das zärtlich liebende Herz hervor. Wir sind immer beisammen und
genießen zusammen alles Glück und Wohl, das die Freundschaft geben kann.
Er kann sich nicht von uns trennen und will zu unsrer größten Freude einen
Theil der Reise mit uns machen. O möchte es doch die ganze sein!"

Goethe war übrigens entschlossen, auf der Reise auch seine eigenen Wege
zu gehen. Sein anfänglicher Plan scheint der gewesen zu sein, die Schwester
Cornelia in Emmendingen zu besuchen. Dann mochte er sich darnach sehnen,
den Freund Lavater in der eignen Häuslichkeit zu Zürich zu begrüßen. Bei der
Schwester und bei dein Freunde wollte er -- wir dürfen es mit aller Bestimmt¬
heit vermuthen -- sein von der Liebe zu Lili bewegtes Herz von allen Qualen
und Zweifeln befreien, die ihm gerade diese Liebe schuf. Aber es gelang ihm
nicht, die Geliebte zu vergessen, "Sein Herz zieht ihn nach Frankfurt zurück,"
schreibt Fritz Stolberg schon am 31. Mai aus Straßburg. Auch die Sehnsucht,
vom Se. Gotthard nach Italien hinabzusteigen, überwand er. Anfang Juli schickte
er sich zur Heimreise an.

Die Brüder Stolberg blieben bis zum Monat November in der Schweiz.
Sie durchstreiften sie nach allen Richtungen. Die Briefe, die sie nach der
fernen Heimat sandten, zeigen, wie tief die großartige Gebirgswelt auf sie wirkte,
es spricht sich in ihnen ein Gefühl für die Natur aus, wie wir es selten in
jener Zeit antreffen. Von den Gedichten Friedrich Stolbergs sind gerade die¬
jenigen damals entstanden, die heute noch unvergessen sind.

So mögen denn auch die folgenden Briefe an den alten Genossen des
"Hains" zeugen von der Jugendzeit unsrer deutschen Poesie.

1.

Köpers, d: 18ten März 1775.

Ihr Brief vom 20sten Febr ist erst d: 13 März hier angekommen. Eine Reise
zu meiner Schwester ins Stift Walloe hat mich abgehalten Ihnen d: 14ten zu ant¬
worten. Mit warmem Gefühl des Herzens, mit unaussprechlicher Freude sage ich
meinem Voß daß ich ihn in etwa 4 bis 5 Wochen in Göttingen zu sehn hoffe,
mein Bruder u: ich machen eine Reise, Dies ist der Anlaß: Haugwitz schreibt
uns aus Paris u: schlägt uns vor mit ihm durch das südliche Deutschland u:
die Schweiz zu reisen. Im Fall wir könnten müsten wir am Ende vom April
in Franckfurt am Mahn sein, wo er auch sein will. Mit unaussprechlicher Freude


Lriefe Stolbergs an vos; über die Schweizerreise ^??5.

den Aufenthalt in Goethes Vaterhause. Wohl aber finden sich hie und da Aus¬
sprüche über Goethe, die überaus beachtenswert!) sind. Wie schön schildert zum
Beispiel Christian Stolberg das Wesen Goethes in den wenigen aus Frankfurt
am 12. Mai geschriebenen Worten: „Goethe kam bald zu uns, er war in wenigen
Tagen mit Haugwitz intim geworden und ward es auch gleich mit uns. Er aß
mit uns und wir waren, als Hütten wir uns Jahre lang gekannt. Es ist ein
gar herrlicher Mann, Die Fülle der heißen Empfindung strömt aus jedem Wort,
aus jeder Miene, Er ist bis zum Ungestüm lebhaft, aber auch aus dem Un¬
gestüm blickt das zärtlich liebende Herz hervor. Wir sind immer beisammen und
genießen zusammen alles Glück und Wohl, das die Freundschaft geben kann.
Er kann sich nicht von uns trennen und will zu unsrer größten Freude einen
Theil der Reise mit uns machen. O möchte es doch die ganze sein!"

Goethe war übrigens entschlossen, auf der Reise auch seine eigenen Wege
zu gehen. Sein anfänglicher Plan scheint der gewesen zu sein, die Schwester
Cornelia in Emmendingen zu besuchen. Dann mochte er sich darnach sehnen,
den Freund Lavater in der eignen Häuslichkeit zu Zürich zu begrüßen. Bei der
Schwester und bei dein Freunde wollte er — wir dürfen es mit aller Bestimmt¬
heit vermuthen — sein von der Liebe zu Lili bewegtes Herz von allen Qualen
und Zweifeln befreien, die ihm gerade diese Liebe schuf. Aber es gelang ihm
nicht, die Geliebte zu vergessen, „Sein Herz zieht ihn nach Frankfurt zurück,"
schreibt Fritz Stolberg schon am 31. Mai aus Straßburg. Auch die Sehnsucht,
vom Se. Gotthard nach Italien hinabzusteigen, überwand er. Anfang Juli schickte
er sich zur Heimreise an.

Die Brüder Stolberg blieben bis zum Monat November in der Schweiz.
Sie durchstreiften sie nach allen Richtungen. Die Briefe, die sie nach der
fernen Heimat sandten, zeigen, wie tief die großartige Gebirgswelt auf sie wirkte,
es spricht sich in ihnen ein Gefühl für die Natur aus, wie wir es selten in
jener Zeit antreffen. Von den Gedichten Friedrich Stolbergs sind gerade die¬
jenigen damals entstanden, die heute noch unvergessen sind.

So mögen denn auch die folgenden Briefe an den alten Genossen des
„Hains" zeugen von der Jugendzeit unsrer deutschen Poesie.

1.

Köpers, d: 18ten März 1775.

Ihr Brief vom 20sten Febr ist erst d: 13 März hier angekommen. Eine Reise
zu meiner Schwester ins Stift Walloe hat mich abgehalten Ihnen d: 14ten zu ant¬
worten. Mit warmem Gefühl des Herzens, mit unaussprechlicher Freude sage ich
meinem Voß daß ich ihn in etwa 4 bis 5 Wochen in Göttingen zu sehn hoffe,
mein Bruder u: ich machen eine Reise, Dies ist der Anlaß: Haugwitz schreibt
uns aus Paris u: schlägt uns vor mit ihm durch das südliche Deutschland u:
die Schweiz zu reisen. Im Fall wir könnten müsten wir am Ende vom April
in Franckfurt am Mahn sein, wo er auch sein will. Mit unaussprechlicher Freude


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[0208] Lriefe Stolbergs an vos; über die Schweizerreise ^??5. den Aufenthalt in Goethes Vaterhause. Wohl aber finden sich hie und da Aus¬ sprüche über Goethe, die überaus beachtenswert!) sind. Wie schön schildert zum Beispiel Christian Stolberg das Wesen Goethes in den wenigen aus Frankfurt am 12. Mai geschriebenen Worten: „Goethe kam bald zu uns, er war in wenigen Tagen mit Haugwitz intim geworden und ward es auch gleich mit uns. Er aß mit uns und wir waren, als Hütten wir uns Jahre lang gekannt. Es ist ein gar herrlicher Mann, Die Fülle der heißen Empfindung strömt aus jedem Wort, aus jeder Miene, Er ist bis zum Ungestüm lebhaft, aber auch aus dem Un¬ gestüm blickt das zärtlich liebende Herz hervor. Wir sind immer beisammen und genießen zusammen alles Glück und Wohl, das die Freundschaft geben kann. Er kann sich nicht von uns trennen und will zu unsrer größten Freude einen Theil der Reise mit uns machen. O möchte es doch die ganze sein!" Goethe war übrigens entschlossen, auf der Reise auch seine eigenen Wege zu gehen. Sein anfänglicher Plan scheint der gewesen zu sein, die Schwester Cornelia in Emmendingen zu besuchen. Dann mochte er sich darnach sehnen, den Freund Lavater in der eignen Häuslichkeit zu Zürich zu begrüßen. Bei der Schwester und bei dein Freunde wollte er — wir dürfen es mit aller Bestimmt¬ heit vermuthen — sein von der Liebe zu Lili bewegtes Herz von allen Qualen und Zweifeln befreien, die ihm gerade diese Liebe schuf. Aber es gelang ihm nicht, die Geliebte zu vergessen, „Sein Herz zieht ihn nach Frankfurt zurück," schreibt Fritz Stolberg schon am 31. Mai aus Straßburg. Auch die Sehnsucht, vom Se. Gotthard nach Italien hinabzusteigen, überwand er. Anfang Juli schickte er sich zur Heimreise an. Die Brüder Stolberg blieben bis zum Monat November in der Schweiz. Sie durchstreiften sie nach allen Richtungen. Die Briefe, die sie nach der fernen Heimat sandten, zeigen, wie tief die großartige Gebirgswelt auf sie wirkte, es spricht sich in ihnen ein Gefühl für die Natur aus, wie wir es selten in jener Zeit antreffen. Von den Gedichten Friedrich Stolbergs sind gerade die¬ jenigen damals entstanden, die heute noch unvergessen sind. So mögen denn auch die folgenden Briefe an den alten Genossen des „Hains" zeugen von der Jugendzeit unsrer deutschen Poesie. 1. Köpers, d: 18ten März 1775. Ihr Brief vom 20sten Febr ist erst d: 13 März hier angekommen. Eine Reise zu meiner Schwester ins Stift Walloe hat mich abgehalten Ihnen d: 14ten zu ant¬ worten. Mit warmem Gefühl des Herzens, mit unaussprechlicher Freude sage ich meinem Voß daß ich ihn in etwa 4 bis 5 Wochen in Göttingen zu sehn hoffe, mein Bruder u: ich machen eine Reise, Dies ist der Anlaß: Haugwitz schreibt uns aus Paris u: schlägt uns vor mit ihm durch das südliche Deutschland u: die Schweiz zu reisen. Im Fall wir könnten müsten wir am Ende vom April in Franckfurt am Mahn sein, wo er auch sein will. Mit unaussprechlicher Freude

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/208>, abgerufen am 29.04.2024.