Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Frankreich und die ägyptische Frage,

Nach der Vollendung des Don Carlos wandte sich Schiller bekanntlich
auf lauge Zeit von der poetischen Produktion ub und geschichtlichen und philo¬
sophischen Studien zu. Durch diese und die Einwirkung Goethes war er ein
ganz andrer geworden, als er zwölf Jahre später mit seinem Wallenstein her¬
vortrat. Aus dem Meere der Metaphern war er aufgetaucht, alles jugendlich
Nberschwäugliche war völlig abgestreift. Aber wie sehr man inzwischen über deu
Historiker und Philosophen teilweise den Dichter hatte vergessen können, dafür
ist eine Stelle in einer Besprechung des Geistersehers charakteristisch, wo es mit
Hinsicht auf Schillers damalige (1792) schwere, lebensgefährliche Erkrankung
heißt: "Welch ein unersetzlicher Verlust, wenn wir Schillern verlieren, wenn
seine Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande, seine Geschichte des
dreißigjährigen Krieges, und gegenwärtiger philosophisch-politischer Roman,
gewiß nicht das geringste seiner Werke, unvollendet bleiben sollte." Von dem
Verlust, deu die Muse der Dichtkunst erleiden würde, ist, wie man sieht, nicht
die Rede.




Frankreich und die ägyptische Frage.

cum in Paris wieder einmal ein Ministerwechsel stattgefunden hat,
so liegt die Veranlassung dazu lediglich in der ägyptischen Frage.
Das Interesse der Franzosen um Ägypten war früher zum guten
Teil Sache des Gefühls und der historischen Erinnerung. Der
Feldzug nach dein Lande der Pharaonen bildete eine von den
romantischen Episoden in der Geschichte des ersten Napoleon; dieses Unternehmen
brachte das älteste Land der Welt mit der jungen Republik in Verbindung,
dreitausendjährige Pyramiden sahen auf deren Siege herab. Thiers wurde, als
er 1840 Minister war, durch sein Studium der Napoleonischen Zeit beeinflußt
und zu dem Versuche bewogen, die Ziele der früheren französischen Politik am Nil
wieder ins Ange zu fasse", und wären die auswärtigen Angelegenheiten Englands
damals in schwachen und unentschlossenen Händen gewesen, so würde er ver¬
mutlich Ägypten unter Mehemed Ali ungefähr zu dem gemacht haben, was
Tunis und sein Bei jetzt unter dem französischen Protektorate sind. Eine weitere
Aussicht auf ein solches Verhältnis eröffnete sich für die Franzosen, als Na¬
poleon der Dritte als Förderer und Protektor des Herrn de Lesseps und seines
Kanals auftrat. Gegen das Ende seiner Regierung brauchte der französische
Generalkonsul in Kairo nur mit dem Finger zu winken, und Ägypten gehorchte.


Frankreich und die ägyptische Frage,

Nach der Vollendung des Don Carlos wandte sich Schiller bekanntlich
auf lauge Zeit von der poetischen Produktion ub und geschichtlichen und philo¬
sophischen Studien zu. Durch diese und die Einwirkung Goethes war er ein
ganz andrer geworden, als er zwölf Jahre später mit seinem Wallenstein her¬
vortrat. Aus dem Meere der Metaphern war er aufgetaucht, alles jugendlich
Nberschwäugliche war völlig abgestreift. Aber wie sehr man inzwischen über deu
Historiker und Philosophen teilweise den Dichter hatte vergessen können, dafür
ist eine Stelle in einer Besprechung des Geistersehers charakteristisch, wo es mit
Hinsicht auf Schillers damalige (1792) schwere, lebensgefährliche Erkrankung
heißt: „Welch ein unersetzlicher Verlust, wenn wir Schillern verlieren, wenn
seine Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande, seine Geschichte des
dreißigjährigen Krieges, und gegenwärtiger philosophisch-politischer Roman,
gewiß nicht das geringste seiner Werke, unvollendet bleiben sollte." Von dem
Verlust, deu die Muse der Dichtkunst erleiden würde, ist, wie man sieht, nicht
die Rede.




Frankreich und die ägyptische Frage.

cum in Paris wieder einmal ein Ministerwechsel stattgefunden hat,
so liegt die Veranlassung dazu lediglich in der ägyptischen Frage.
Das Interesse der Franzosen um Ägypten war früher zum guten
Teil Sache des Gefühls und der historischen Erinnerung. Der
Feldzug nach dein Lande der Pharaonen bildete eine von den
romantischen Episoden in der Geschichte des ersten Napoleon; dieses Unternehmen
brachte das älteste Land der Welt mit der jungen Republik in Verbindung,
dreitausendjährige Pyramiden sahen auf deren Siege herab. Thiers wurde, als
er 1840 Minister war, durch sein Studium der Napoleonischen Zeit beeinflußt
und zu dem Versuche bewogen, die Ziele der früheren französischen Politik am Nil
wieder ins Ange zu fasse», und wären die auswärtigen Angelegenheiten Englands
damals in schwachen und unentschlossenen Händen gewesen, so würde er ver¬
mutlich Ägypten unter Mehemed Ali ungefähr zu dem gemacht haben, was
Tunis und sein Bei jetzt unter dem französischen Protektorate sind. Eine weitere
Aussicht auf ein solches Verhältnis eröffnete sich für die Franzosen, als Na¬
poleon der Dritte als Förderer und Protektor des Herrn de Lesseps und seines
Kanals auftrat. Gegen das Ende seiner Regierung brauchte der französische
Generalkonsul in Kairo nur mit dem Finger zu winken, und Ägypten gehorchte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0320" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193661"/>
          <fw type="header" place="top"> Frankreich und die ägyptische Frage,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1052"> Nach der Vollendung des Don Carlos wandte sich Schiller bekanntlich<lb/>
auf lauge Zeit von der poetischen Produktion ub und geschichtlichen und philo¬<lb/>
sophischen Studien zu. Durch diese und die Einwirkung Goethes war er ein<lb/>
ganz andrer geworden, als er zwölf Jahre später mit seinem Wallenstein her¬<lb/>
vortrat. Aus dem Meere der Metaphern war er aufgetaucht, alles jugendlich<lb/>
Nberschwäugliche war völlig abgestreift. Aber wie sehr man inzwischen über deu<lb/>
Historiker und Philosophen teilweise den Dichter hatte vergessen können, dafür<lb/>
ist eine Stelle in einer Besprechung des Geistersehers charakteristisch, wo es mit<lb/>
Hinsicht auf Schillers damalige (1792) schwere, lebensgefährliche Erkrankung<lb/>
heißt: &#x201E;Welch ein unersetzlicher Verlust, wenn wir Schillern verlieren, wenn<lb/>
seine Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande, seine Geschichte des<lb/>
dreißigjährigen Krieges, und gegenwärtiger philosophisch-politischer Roman,<lb/>
gewiß nicht das geringste seiner Werke, unvollendet bleiben sollte." Von dem<lb/>
Verlust, deu die Muse der Dichtkunst erleiden würde, ist, wie man sieht, nicht<lb/>
die Rede.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Frankreich und die ägyptische Frage.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1053" next="#ID_1054"> cum in Paris wieder einmal ein Ministerwechsel stattgefunden hat,<lb/>
so liegt die Veranlassung dazu lediglich in der ägyptischen Frage.<lb/>
Das Interesse der Franzosen um Ägypten war früher zum guten<lb/>
Teil Sache des Gefühls und der historischen Erinnerung. Der<lb/>
Feldzug nach dein Lande der Pharaonen bildete eine von den<lb/>
romantischen Episoden in der Geschichte des ersten Napoleon; dieses Unternehmen<lb/>
brachte das älteste Land der Welt mit der jungen Republik in Verbindung,<lb/>
dreitausendjährige Pyramiden sahen auf deren Siege herab. Thiers wurde, als<lb/>
er 1840 Minister war, durch sein Studium der Napoleonischen Zeit beeinflußt<lb/>
und zu dem Versuche bewogen, die Ziele der früheren französischen Politik am Nil<lb/>
wieder ins Ange zu fasse», und wären die auswärtigen Angelegenheiten Englands<lb/>
damals in schwachen und unentschlossenen Händen gewesen, so würde er ver¬<lb/>
mutlich Ägypten unter Mehemed Ali ungefähr zu dem gemacht haben, was<lb/>
Tunis und sein Bei jetzt unter dem französischen Protektorate sind. Eine weitere<lb/>
Aussicht auf ein solches Verhältnis eröffnete sich für die Franzosen, als Na¬<lb/>
poleon der Dritte als Förderer und Protektor des Herrn de Lesseps und seines<lb/>
Kanals auftrat. Gegen das Ende seiner Regierung brauchte der französische<lb/>
Generalkonsul in Kairo nur mit dem Finger zu winken, und Ägypten gehorchte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0320] Frankreich und die ägyptische Frage, Nach der Vollendung des Don Carlos wandte sich Schiller bekanntlich auf lauge Zeit von der poetischen Produktion ub und geschichtlichen und philo¬ sophischen Studien zu. Durch diese und die Einwirkung Goethes war er ein ganz andrer geworden, als er zwölf Jahre später mit seinem Wallenstein her¬ vortrat. Aus dem Meere der Metaphern war er aufgetaucht, alles jugendlich Nberschwäugliche war völlig abgestreift. Aber wie sehr man inzwischen über deu Historiker und Philosophen teilweise den Dichter hatte vergessen können, dafür ist eine Stelle in einer Besprechung des Geistersehers charakteristisch, wo es mit Hinsicht auf Schillers damalige (1792) schwere, lebensgefährliche Erkrankung heißt: „Welch ein unersetzlicher Verlust, wenn wir Schillern verlieren, wenn seine Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande, seine Geschichte des dreißigjährigen Krieges, und gegenwärtiger philosophisch-politischer Roman, gewiß nicht das geringste seiner Werke, unvollendet bleiben sollte." Von dem Verlust, deu die Muse der Dichtkunst erleiden würde, ist, wie man sieht, nicht die Rede. Frankreich und die ägyptische Frage. cum in Paris wieder einmal ein Ministerwechsel stattgefunden hat, so liegt die Veranlassung dazu lediglich in der ägyptischen Frage. Das Interesse der Franzosen um Ägypten war früher zum guten Teil Sache des Gefühls und der historischen Erinnerung. Der Feldzug nach dein Lande der Pharaonen bildete eine von den romantischen Episoden in der Geschichte des ersten Napoleon; dieses Unternehmen brachte das älteste Land der Welt mit der jungen Republik in Verbindung, dreitausendjährige Pyramiden sahen auf deren Siege herab. Thiers wurde, als er 1840 Minister war, durch sein Studium der Napoleonischen Zeit beeinflußt und zu dem Versuche bewogen, die Ziele der früheren französischen Politik am Nil wieder ins Ange zu fasse», und wären die auswärtigen Angelegenheiten Englands damals in schwachen und unentschlossenen Händen gewesen, so würde er ver¬ mutlich Ägypten unter Mehemed Ali ungefähr zu dem gemacht haben, was Tunis und sein Bei jetzt unter dem französischen Protektorate sind. Eine weitere Aussicht auf ein solches Verhältnis eröffnete sich für die Franzosen, als Na¬ poleon der Dritte als Förderer und Protektor des Herrn de Lesseps und seines Kanals auftrat. Gegen das Ende seiner Regierung brauchte der französische Generalkonsul in Kairo nur mit dem Finger zu winken, und Ägypten gehorchte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/320
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/320>, abgerufen am 05.05.2024.