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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Das Mädchen von Tisza - Gszlcir.

fahren, daß sich in einer der letztvergangenen Nächte mehrere Juden in auf¬
fälliger Weise am dortigen Friedhofe zu schaffen gemacht hätten. Die Dienstleute
hätten sie um schärfer ins Auge gefaßt und gesehen, daß dieselben mit eiuer
Last den Friedhof verlassen, dieselbe auf einen Wagen geladen hätten und in
der Richtung gegen den Theiß weggefahren wären. Daraufhin habe er Verdacht
gefaßt und das Grab seiner verstorbenen Nichte aufgraben lassen; zu seinein
Schrecken habe er gesehen, daß das Grab leer, der Leichnam sammt dem Sarge
fortgeschafft worden sei. So scheint zunächst konstatirt zu sein, woher die mi߬
brauchte Leiche kam. Dagegen fehlt noch jede Spur von der echten Leiche der
Solymosi? Ob sie zerstückelt und an verschiednen Orten verscharrt sein mag.

Die vorliegende Schrift enthält noch mehr und zum Teil sehr eingehende
Details. Unter anderm wird auch erzählt, daß am 14. Juli ein Überfall auf
den Untersuchungsrichter von Barry geplant gewesen sei, den nnr die Wach¬
samkeit des Haushundes vereitelt habe. Durch das Velten desselben sei der
Kutscher geweckt worden; leise herbeigekommen, habe er drei Juden in der Nähe
des Wohnhauses, im Innern des Hofes bemerkt, die nach der Gasse Zeichen
gegeben hätten. Am Eingange Hütten zwei in Kaftans gekleidete bärtige Juden
gestanden, die mit Revolvern bewaffnet gewesen wären und sich in auffälliger
Weise an der Eingangsthür zu schaffe" gemacht hätten; als der Kutscher sie an-
gerufen, wären sie geflohen, die zwei an der Thür über den Zaun, wobei einem
ein Bund Dietriche entfallen sei. In der Nähe der Hundehütte fand man am
nächsten Tage ein Stück Gänsebraten; bei der Untersuchung ergab sich, daß es
mit Arsenik vergiftet war. Hiernach war es unzweifelhaft auf Entwertung der
Akten abgesehen. Seitdem ist der Untersuchungsrichter nie ohne Bedeckung.

Die Nachrichten klingen so mysteriös, daß man fast mißtrauisch werden möchte,
umsomehr, als die Erzählung in der Broschüre breit, voller Wiederholungen
und nur eine lose Aneinanderreihung verschiedner Zeitungsnachrichten ist. Daß
aber die Berichte in der Hauptsache richtig sind, geht daraus hervor, daß auf
Grund der vorgenommenen Voruntersuchung den sämmtlichen Angeklagten um
29. Juli der Gerichtsbescheid über Beendigung der Vorerhebnngen vorgelesen
worden ist, und dieser lautet:

Vom königlich ungarischen Gerichtshof zu Nyiregyhaza.
Gerichtsbescheid.

Gegen die in Haft befindlichen Schächter Salomon Schwarz (Geburtsort
Beile), Leopold Adolf Braun (Geburtsort Michaldi) und Abraham Buxbaum
(Geburtsort Neu-sentez, Galizien) wird auf Grund des s 273 des ungarischen
Strafgesetzes die Beschuldigung des Mordes, beziehungsweise der direkten
Mitschuld am Morde, ferner gegen Josef Scharf, Tempeldiener (Geburtsort
Hajdu-namah), dessen Eheweib Lina geb. Müller (Geburtsort Makkos-Hottyka),
Adolf Junger (Geburtsort Sirvka), Abraham Braun (Geburtsort Baja). Samuel
Lustig (Geburtsort Makkos-Hottyka), Lazarus Weissenstein ivvw Weinstein
(Geburtsort Kis-Varda), Emanuel Taub (Geburtsort Nyiradvnyi.) wegen Ver-


Das Mädchen von Tisza - Gszlcir.

fahren, daß sich in einer der letztvergangenen Nächte mehrere Juden in auf¬
fälliger Weise am dortigen Friedhofe zu schaffen gemacht hätten. Die Dienstleute
hätten sie um schärfer ins Auge gefaßt und gesehen, daß dieselben mit eiuer
Last den Friedhof verlassen, dieselbe auf einen Wagen geladen hätten und in
der Richtung gegen den Theiß weggefahren wären. Daraufhin habe er Verdacht
gefaßt und das Grab seiner verstorbenen Nichte aufgraben lassen; zu seinein
Schrecken habe er gesehen, daß das Grab leer, der Leichnam sammt dem Sarge
fortgeschafft worden sei. So scheint zunächst konstatirt zu sein, woher die mi߬
brauchte Leiche kam. Dagegen fehlt noch jede Spur von der echten Leiche der
Solymosi? Ob sie zerstückelt und an verschiednen Orten verscharrt sein mag.

Die vorliegende Schrift enthält noch mehr und zum Teil sehr eingehende
Details. Unter anderm wird auch erzählt, daß am 14. Juli ein Überfall auf
den Untersuchungsrichter von Barry geplant gewesen sei, den nnr die Wach¬
samkeit des Haushundes vereitelt habe. Durch das Velten desselben sei der
Kutscher geweckt worden; leise herbeigekommen, habe er drei Juden in der Nähe
des Wohnhauses, im Innern des Hofes bemerkt, die nach der Gasse Zeichen
gegeben hätten. Am Eingange Hütten zwei in Kaftans gekleidete bärtige Juden
gestanden, die mit Revolvern bewaffnet gewesen wären und sich in auffälliger
Weise an der Eingangsthür zu schaffe« gemacht hätten; als der Kutscher sie an-
gerufen, wären sie geflohen, die zwei an der Thür über den Zaun, wobei einem
ein Bund Dietriche entfallen sei. In der Nähe der Hundehütte fand man am
nächsten Tage ein Stück Gänsebraten; bei der Untersuchung ergab sich, daß es
mit Arsenik vergiftet war. Hiernach war es unzweifelhaft auf Entwertung der
Akten abgesehen. Seitdem ist der Untersuchungsrichter nie ohne Bedeckung.

Die Nachrichten klingen so mysteriös, daß man fast mißtrauisch werden möchte,
umsomehr, als die Erzählung in der Broschüre breit, voller Wiederholungen
und nur eine lose Aneinanderreihung verschiedner Zeitungsnachrichten ist. Daß
aber die Berichte in der Hauptsache richtig sind, geht daraus hervor, daß auf
Grund der vorgenommenen Voruntersuchung den sämmtlichen Angeklagten um
29. Juli der Gerichtsbescheid über Beendigung der Vorerhebnngen vorgelesen
worden ist, und dieser lautet:

Vom königlich ungarischen Gerichtshof zu Nyiregyhaza.
Gerichtsbescheid.

Gegen die in Haft befindlichen Schächter Salomon Schwarz (Geburtsort
Beile), Leopold Adolf Braun (Geburtsort Michaldi) und Abraham Buxbaum
(Geburtsort Neu-sentez, Galizien) wird auf Grund des s 273 des ungarischen
Strafgesetzes die Beschuldigung des Mordes, beziehungsweise der direkten
Mitschuld am Morde, ferner gegen Josef Scharf, Tempeldiener (Geburtsort
Hajdu-namah), dessen Eheweib Lina geb. Müller (Geburtsort Makkos-Hottyka),
Adolf Junger (Geburtsort Sirvka), Abraham Braun (Geburtsort Baja). Samuel
Lustig (Geburtsort Makkos-Hottyka), Lazarus Weissenstein ivvw Weinstein
(Geburtsort Kis-Varda), Emanuel Taub (Geburtsort Nyiradvnyi.) wegen Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/168>, abgerufen am 06.05.2024.