Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Aur Naturgeschichte des Zentrums.

Wir haben alle Ursache, beim Erscheine" der "Kleinen prosaischen Schriften"
Schwabs anzuerkennen, daß sie rühmliche Entlastungszeuguisse für einen viel
verkannten Mann, eine viel geschmähte Zeit und eine bis zur Ungebühr ver¬
unglimpfte Eigenart der deutschen Bildung sind, eine Eigenart, von der ein guter
Teil wieder anstehe" muß, wenn wir uns in Leben und Literatur erst wieder
zu gesunde" Verhältniss ^ en dnrchger""gen habe" werden.




Zur Naturgeschichte des Zentrums.

ur wenige Wochen noch trennen uns von dem Zusammentritt des
deutschen Reichstages, ""verändert ist die Phhsiogiwmie des Hauses
gebliebe", und der Kampf der Parteien, die Redetnrniere und Ab-
sti"n"""gsschlachte" werden in alter Weise aufs neue beginnen.
Müde des scheinbar fruchtlosen Haders, abgestoßen von einem
Parteileben, das nicht jedermanns Sache ist, hat sich ein großer Teil der Nation
in den politischen Schmollwinkel zurückgezogen, und das Interesse, welches früher
die Verhandlungen in Berlin erregte", hat merklich abgenommen. Aber wenn auch
die stille Zeit gesetzgeberischer Arbeit, die allmähliche Ausbildung des deutschen
Reiches nach fnianzieller, politischer und sozialer Seite hin unmöglich das deutsche
Volk so bis in seine innersten Fasern erregen kann wie seine politische Gründung
vor elf Jahre", so wäre es doch ein großer politischer Fehler, völlig teilnahmlos
anf der Seite zu stehen; die Vergeltung würde sicherlich nicht ausbleiben.

Von allen Parteilnlduugeu des Reichstages ist das Zentrum gewiß die
eigentümlichste und darum anch die interessanteste. Nicht wegen der Meuge be¬
deutender Geister, hervorragender Persönlichkeiten, welche es in seiner Mitte zählt.
Es fehlt zwar nicht an solchen, aber im Verhältnis zur Mitgliederzahl der
Partei sind ihrer nicht allzuviele. Ebensowenig kann man nur jene pathologische
Teilnahme ihm entgegenbringen, welche der Naturforscher einem seltnen Wunder¬
tier, einem überraschenden Naturereignis zollt. Wie in die tiefsten Lebensinter¬
essen unsrer Nation greift diese Partei ein, in der Zerklüftung unsers nationalen
Lebens hat sie allein an Stärke und Bedeutung zugenommen, und an dem un¬
erquicklichen Schauspiel, welches das innere politische Leben des deutscheu Reiches
in den letzten Jahren bot, trug das Zentrum nicht die wenigste Schuld. Eine
soeben über das Zentrum erschienene Broschüre,^) von sachkundiger Feder klar
und maßvoll geschrieben, verdient daher alle Beachtung.



Zur Naturgeschichte des Zentrums. Sozial-politische Betrachtungen von Otto
Mejer. Freiburg und Tübingen, I. C, B. Mohr, 1832.
Aur Naturgeschichte des Zentrums.

Wir haben alle Ursache, beim Erscheine» der „Kleinen prosaischen Schriften"
Schwabs anzuerkennen, daß sie rühmliche Entlastungszeuguisse für einen viel
verkannten Mann, eine viel geschmähte Zeit und eine bis zur Ungebühr ver¬
unglimpfte Eigenart der deutschen Bildung sind, eine Eigenart, von der ein guter
Teil wieder anstehe» muß, wenn wir uns in Leben und Literatur erst wieder
zu gesunde» Verhältniss ^ en dnrchger»»gen habe» werden.




Zur Naturgeschichte des Zentrums.

ur wenige Wochen noch trennen uns von dem Zusammentritt des
deutschen Reichstages, »»verändert ist die Phhsiogiwmie des Hauses
gebliebe», und der Kampf der Parteien, die Redetnrniere und Ab-
sti»n»»»gsschlachte» werden in alter Weise aufs neue beginnen.
Müde des scheinbar fruchtlosen Haders, abgestoßen von einem
Parteileben, das nicht jedermanns Sache ist, hat sich ein großer Teil der Nation
in den politischen Schmollwinkel zurückgezogen, und das Interesse, welches früher
die Verhandlungen in Berlin erregte», hat merklich abgenommen. Aber wenn auch
die stille Zeit gesetzgeberischer Arbeit, die allmähliche Ausbildung des deutschen
Reiches nach fnianzieller, politischer und sozialer Seite hin unmöglich das deutsche
Volk so bis in seine innersten Fasern erregen kann wie seine politische Gründung
vor elf Jahre», so wäre es doch ein großer politischer Fehler, völlig teilnahmlos
anf der Seite zu stehen; die Vergeltung würde sicherlich nicht ausbleiben.

Von allen Parteilnlduugeu des Reichstages ist das Zentrum gewiß die
eigentümlichste und darum anch die interessanteste. Nicht wegen der Meuge be¬
deutender Geister, hervorragender Persönlichkeiten, welche es in seiner Mitte zählt.
Es fehlt zwar nicht an solchen, aber im Verhältnis zur Mitgliederzahl der
Partei sind ihrer nicht allzuviele. Ebensowenig kann man nur jene pathologische
Teilnahme ihm entgegenbringen, welche der Naturforscher einem seltnen Wunder¬
tier, einem überraschenden Naturereignis zollt. Wie in die tiefsten Lebensinter¬
essen unsrer Nation greift diese Partei ein, in der Zerklüftung unsers nationalen
Lebens hat sie allein an Stärke und Bedeutung zugenommen, und an dem un¬
erquicklichen Schauspiel, welches das innere politische Leben des deutscheu Reiches
in den letzten Jahren bot, trug das Zentrum nicht die wenigste Schuld. Eine
soeben über das Zentrum erschienene Broschüre,^) von sachkundiger Feder klar
und maßvoll geschrieben, verdient daher alle Beachtung.



Zur Naturgeschichte des Zentrums. Sozial-politische Betrachtungen von Otto
Mejer. Freiburg und Tübingen, I. C, B. Mohr, 1832.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0348" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194326"/>
          <fw type="header" place="top"> Aur Naturgeschichte des Zentrums.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1298"> Wir haben alle Ursache, beim Erscheine» der &#x201E;Kleinen prosaischen Schriften"<lb/>
Schwabs anzuerkennen, daß sie rühmliche Entlastungszeuguisse für einen viel<lb/>
verkannten Mann, eine viel geschmähte Zeit und eine bis zur Ungebühr ver¬<lb/>
unglimpfte Eigenart der deutschen Bildung sind, eine Eigenart, von der ein guter<lb/>
Teil wieder anstehe» muß, wenn wir uns in Leben und Literatur erst wieder<lb/>
zu gesunde» Verhältniss<note type="byline"> ^</note> en dnrchger»»gen habe» werden. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zur Naturgeschichte des Zentrums.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1299"> ur wenige Wochen noch trennen uns von dem Zusammentritt des<lb/>
deutschen Reichstages, »»verändert ist die Phhsiogiwmie des Hauses<lb/>
gebliebe», und der Kampf der Parteien, die Redetnrniere und Ab-<lb/>
sti»n»»»gsschlachte» werden in alter Weise aufs neue beginnen.<lb/>
Müde des scheinbar fruchtlosen Haders, abgestoßen von einem<lb/>
Parteileben, das nicht jedermanns Sache ist, hat sich ein großer Teil der Nation<lb/>
in den politischen Schmollwinkel zurückgezogen, und das Interesse, welches früher<lb/>
die Verhandlungen in Berlin erregte», hat merklich abgenommen. Aber wenn auch<lb/>
die stille Zeit gesetzgeberischer Arbeit, die allmähliche Ausbildung des deutschen<lb/>
Reiches nach fnianzieller, politischer und sozialer Seite hin unmöglich das deutsche<lb/>
Volk so bis in seine innersten Fasern erregen kann wie seine politische Gründung<lb/>
vor elf Jahre», so wäre es doch ein großer politischer Fehler, völlig teilnahmlos<lb/>
anf der Seite zu stehen; die Vergeltung würde sicherlich nicht ausbleiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1300"> Von allen Parteilnlduugeu des Reichstages ist das Zentrum gewiß die<lb/>
eigentümlichste und darum anch die interessanteste. Nicht wegen der Meuge be¬<lb/>
deutender Geister, hervorragender Persönlichkeiten, welche es in seiner Mitte zählt.<lb/>
Es fehlt zwar nicht an solchen, aber im Verhältnis zur Mitgliederzahl der<lb/>
Partei sind ihrer nicht allzuviele. Ebensowenig kann man nur jene pathologische<lb/>
Teilnahme ihm entgegenbringen, welche der Naturforscher einem seltnen Wunder¬<lb/>
tier, einem überraschenden Naturereignis zollt. Wie in die tiefsten Lebensinter¬<lb/>
essen unsrer Nation greift diese Partei ein, in der Zerklüftung unsers nationalen<lb/>
Lebens hat sie allein an Stärke und Bedeutung zugenommen, und an dem un¬<lb/>
erquicklichen Schauspiel, welches das innere politische Leben des deutscheu Reiches<lb/>
in den letzten Jahren bot, trug das Zentrum nicht die wenigste Schuld. Eine<lb/>
soeben über das Zentrum erschienene Broschüre,^) von sachkundiger Feder klar<lb/>
und maßvoll geschrieben, verdient daher alle Beachtung.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_38" place="foot"> Zur Naturgeschichte des Zentrums. Sozial-politische Betrachtungen von Otto<lb/>
Mejer.  Freiburg und Tübingen, I. C, B. Mohr, 1832.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0348] Aur Naturgeschichte des Zentrums. Wir haben alle Ursache, beim Erscheine» der „Kleinen prosaischen Schriften" Schwabs anzuerkennen, daß sie rühmliche Entlastungszeuguisse für einen viel verkannten Mann, eine viel geschmähte Zeit und eine bis zur Ungebühr ver¬ unglimpfte Eigenart der deutschen Bildung sind, eine Eigenart, von der ein guter Teil wieder anstehe» muß, wenn wir uns in Leben und Literatur erst wieder zu gesunde» Verhältniss ^ en dnrchger»»gen habe» werden. Zur Naturgeschichte des Zentrums. ur wenige Wochen noch trennen uns von dem Zusammentritt des deutschen Reichstages, »»verändert ist die Phhsiogiwmie des Hauses gebliebe», und der Kampf der Parteien, die Redetnrniere und Ab- sti»n»»»gsschlachte» werden in alter Weise aufs neue beginnen. Müde des scheinbar fruchtlosen Haders, abgestoßen von einem Parteileben, das nicht jedermanns Sache ist, hat sich ein großer Teil der Nation in den politischen Schmollwinkel zurückgezogen, und das Interesse, welches früher die Verhandlungen in Berlin erregte», hat merklich abgenommen. Aber wenn auch die stille Zeit gesetzgeberischer Arbeit, die allmähliche Ausbildung des deutschen Reiches nach fnianzieller, politischer und sozialer Seite hin unmöglich das deutsche Volk so bis in seine innersten Fasern erregen kann wie seine politische Gründung vor elf Jahre», so wäre es doch ein großer politischer Fehler, völlig teilnahmlos anf der Seite zu stehen; die Vergeltung würde sicherlich nicht ausbleiben. Von allen Parteilnlduugeu des Reichstages ist das Zentrum gewiß die eigentümlichste und darum anch die interessanteste. Nicht wegen der Meuge be¬ deutender Geister, hervorragender Persönlichkeiten, welche es in seiner Mitte zählt. Es fehlt zwar nicht an solchen, aber im Verhältnis zur Mitgliederzahl der Partei sind ihrer nicht allzuviele. Ebensowenig kann man nur jene pathologische Teilnahme ihm entgegenbringen, welche der Naturforscher einem seltnen Wunder¬ tier, einem überraschenden Naturereignis zollt. Wie in die tiefsten Lebensinter¬ essen unsrer Nation greift diese Partei ein, in der Zerklüftung unsers nationalen Lebens hat sie allein an Stärke und Bedeutung zugenommen, und an dem un¬ erquicklichen Schauspiel, welches das innere politische Leben des deutscheu Reiches in den letzten Jahren bot, trug das Zentrum nicht die wenigste Schuld. Eine soeben über das Zentrum erschienene Broschüre,^) von sachkundiger Feder klar und maßvoll geschrieben, verdient daher alle Beachtung. Zur Naturgeschichte des Zentrums. Sozial-politische Betrachtungen von Otto Mejer. Freiburg und Tübingen, I. C, B. Mohr, 1832.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/348
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/348>, abgerufen am 06.05.2024.