Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite


politische Vriefe.
6. Das Aapitcil und die politischen Parteien.

lebt es Feinde des Kapitals? Den individuellen Kapitalbesitz ver¬
schmäht wohl keiner, dem er zugefallen, und wäre es nur, um
sich desselben zu entledigen, was unter allen Umständen eine
leichte und rasche, oftmals eine genußreiche oder andre Genug¬
thuung gebende Operation sein kann. Uber anch das Kapital hat
keine Feinde. Soweit sind die Erkenntnisse der nntionalökonomischen Wissen¬
schaft doch populär geworden, daß beinahe jeder das Kapital kennt als das erste
Werkzeug, mit welchem die angeborne Geisteskraft den Menschen ans der Tier-
heit hebt und dann immer neue Stufen baut, auf denen die geistige und sitt¬
liche Kultur emporsteigt. Das Kapital ist der über den zur Selbsterhaltung
erforderlichen Kraftaufwand hinaus produziere Kraftüberschuß, der als Produk-
tionskraft in Dienst gestellt ist, um höhere und erweiterte Bedürfnisse durch die
Möglichkeit der Befriedigung hervorzurufen. Das Kapital ist es, welches deu
Zustand der Menschheit über jede gegebene Stufe hinaus extensiv und intensiv
"nporzuhebeu ermöglicht. Diesen Satz mögen diejenigen belachen, welche das
Kapital nnr als den Diener und ErWecker materieller Genüsse ansehen. Diese
vergessen über, daß das materielle Bedürfnis den Menschen da am meisten
herunterdrücke, wo es am schwersten zu befriedigen ist, wo es "das Joch der
Notdurft" auflegt. Heinrich Leo spottete einmal über die moderne Zivilisation
mit ihren willkürlichen und zweckwidrigen Luxusbedürfnissen; er zeigte auf Sokrates,
der nicht einmal ein Hemd getragen, und sogar auf die Bedürfnislosigkeit des
Heilandes und der Apostel. Er hatte gewiß insofern Recht, als der individuelle
Luxus den einzelnen nicht hebt, vielmehr häufig genug zur Geschmacklosigkeit,
Sinnlosigkeit und zur zerstörenden Verschwendung führt, die an sich selbst siiud-
''


GniizlwNet IV. 18L2. 1


politische Vriefe.
6. Das Aapitcil und die politischen Parteien.

lebt es Feinde des Kapitals? Den individuellen Kapitalbesitz ver¬
schmäht wohl keiner, dem er zugefallen, und wäre es nur, um
sich desselben zu entledigen, was unter allen Umständen eine
leichte und rasche, oftmals eine genußreiche oder andre Genug¬
thuung gebende Operation sein kann. Uber anch das Kapital hat
keine Feinde. Soweit sind die Erkenntnisse der nntionalökonomischen Wissen¬
schaft doch populär geworden, daß beinahe jeder das Kapital kennt als das erste
Werkzeug, mit welchem die angeborne Geisteskraft den Menschen ans der Tier-
heit hebt und dann immer neue Stufen baut, auf denen die geistige und sitt¬
liche Kultur emporsteigt. Das Kapital ist der über den zur Selbsterhaltung
erforderlichen Kraftaufwand hinaus produziere Kraftüberschuß, der als Produk-
tionskraft in Dienst gestellt ist, um höhere und erweiterte Bedürfnisse durch die
Möglichkeit der Befriedigung hervorzurufen. Das Kapital ist es, welches deu
Zustand der Menschheit über jede gegebene Stufe hinaus extensiv und intensiv
"nporzuhebeu ermöglicht. Diesen Satz mögen diejenigen belachen, welche das
Kapital nnr als den Diener und ErWecker materieller Genüsse ansehen. Diese
vergessen über, daß das materielle Bedürfnis den Menschen da am meisten
herunterdrücke, wo es am schwersten zu befriedigen ist, wo es „das Joch der
Notdurft" auflegt. Heinrich Leo spottete einmal über die moderne Zivilisation
mit ihren willkürlichen und zweckwidrigen Luxusbedürfnissen; er zeigte auf Sokrates,
der nicht einmal ein Hemd getragen, und sogar auf die Bedürfnislosigkeit des
Heilandes und der Apostel. Er hatte gewiß insofern Recht, als der individuelle
Luxus den einzelnen nicht hebt, vielmehr häufig genug zur Geschmacklosigkeit,
Sinnlosigkeit und zur zerstörenden Verschwendung führt, die an sich selbst siiud-
''


GniizlwNet IV. 18L2. 1
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0005" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193983"/>
              <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341835_359176/figures/grenzboten_341835_359176_193983_000.jpg"/><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> politische Vriefe.<lb/>
6. Das Aapitcil und die politischen Parteien.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_9" next="#ID_10"> lebt es Feinde des Kapitals? Den individuellen Kapitalbesitz ver¬<lb/>
schmäht wohl keiner, dem er zugefallen, und wäre es nur, um<lb/>
sich desselben zu entledigen, was unter allen Umständen eine<lb/>
leichte und rasche, oftmals eine genußreiche oder andre Genug¬<lb/>
thuung gebende Operation sein kann. Uber anch das Kapital hat<lb/>
keine Feinde. Soweit sind die Erkenntnisse der nntionalökonomischen Wissen¬<lb/>
schaft doch populär geworden, daß beinahe jeder das Kapital kennt als das erste<lb/>
Werkzeug, mit welchem die angeborne Geisteskraft den Menschen ans der Tier-<lb/>
heit hebt und dann immer neue Stufen baut, auf denen die geistige und sitt¬<lb/>
liche Kultur emporsteigt. Das Kapital ist der über den zur Selbsterhaltung<lb/>
erforderlichen Kraftaufwand hinaus produziere Kraftüberschuß, der als Produk-<lb/>
tionskraft in Dienst gestellt ist, um höhere und erweiterte Bedürfnisse durch die<lb/>
Möglichkeit der Befriedigung hervorzurufen. Das Kapital ist es, welches deu<lb/>
Zustand der Menschheit über jede gegebene Stufe hinaus extensiv und intensiv<lb/>
"nporzuhebeu ermöglicht. Diesen Satz mögen diejenigen belachen, welche das<lb/>
Kapital nnr als den Diener und ErWecker materieller Genüsse ansehen. Diese<lb/>
vergessen über, daß das materielle Bedürfnis den Menschen da am meisten<lb/>
herunterdrücke, wo es am schwersten zu befriedigen ist, wo es &#x201E;das Joch der<lb/>
Notdurft" auflegt. Heinrich Leo spottete einmal über die moderne Zivilisation<lb/>
mit ihren willkürlichen und zweckwidrigen Luxusbedürfnissen; er zeigte auf Sokrates,<lb/>
der nicht einmal ein Hemd getragen, und sogar auf die Bedürfnislosigkeit des<lb/>
Heilandes und der Apostel. Er hatte gewiß insofern Recht, als der individuelle<lb/>
Luxus den einzelnen nicht hebt, vielmehr häufig genug zur Geschmacklosigkeit,<lb/>
Sinnlosigkeit und zur zerstörenden Verschwendung führt, die an sich selbst siiud-<lb/>
''</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> GniizlwNet IV. 18L2. 1</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0005] [Abbildung] politische Vriefe. 6. Das Aapitcil und die politischen Parteien. lebt es Feinde des Kapitals? Den individuellen Kapitalbesitz ver¬ schmäht wohl keiner, dem er zugefallen, und wäre es nur, um sich desselben zu entledigen, was unter allen Umständen eine leichte und rasche, oftmals eine genußreiche oder andre Genug¬ thuung gebende Operation sein kann. Uber anch das Kapital hat keine Feinde. Soweit sind die Erkenntnisse der nntionalökonomischen Wissen¬ schaft doch populär geworden, daß beinahe jeder das Kapital kennt als das erste Werkzeug, mit welchem die angeborne Geisteskraft den Menschen ans der Tier- heit hebt und dann immer neue Stufen baut, auf denen die geistige und sitt¬ liche Kultur emporsteigt. Das Kapital ist der über den zur Selbsterhaltung erforderlichen Kraftaufwand hinaus produziere Kraftüberschuß, der als Produk- tionskraft in Dienst gestellt ist, um höhere und erweiterte Bedürfnisse durch die Möglichkeit der Befriedigung hervorzurufen. Das Kapital ist es, welches deu Zustand der Menschheit über jede gegebene Stufe hinaus extensiv und intensiv "nporzuhebeu ermöglicht. Diesen Satz mögen diejenigen belachen, welche das Kapital nnr als den Diener und ErWecker materieller Genüsse ansehen. Diese vergessen über, daß das materielle Bedürfnis den Menschen da am meisten herunterdrücke, wo es am schwersten zu befriedigen ist, wo es „das Joch der Notdurft" auflegt. Heinrich Leo spottete einmal über die moderne Zivilisation mit ihren willkürlichen und zweckwidrigen Luxusbedürfnissen; er zeigte auf Sokrates, der nicht einmal ein Hemd getragen, und sogar auf die Bedürfnislosigkeit des Heilandes und der Apostel. Er hatte gewiß insofern Recht, als der individuelle Luxus den einzelnen nicht hebt, vielmehr häufig genug zur Geschmacklosigkeit, Sinnlosigkeit und zur zerstörenden Verschwendung führt, die an sich selbst siiud- '' GniizlwNet IV. 18L2. 1

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/5
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/5>, abgerufen am 06.05.2024.