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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Lösung der Maria Stuart-Frage.

Das Buch Hemans tritt in so selbstgewisser, gewinnender und eleganter
Form auf, daß wir eine etwas eingehendere Besprechung desselben für nötig
gehalten haben.




Die Lösung der Maria Stuart-Frage.

u den großen historischen Persönlichkeiten des Refvrmationszeit-
nltcrs, über welche die Akten noch nicht geschlossen sind, gehört
auch die unglückliche Königin von Schottland, Maria Stuart.
Sprechen auch die angesehensten Geschichtswerke ihrer und der
folgenden Zeit vou ihrer Schuld, so ist doch die Überzeugung von
ihrem Anteil an der Ermordung ihres Gemahles Darnley nie ganz durchge-
drungen. Zu jeder Zeit hat es noch Geschichtschreiber gegeben, die für ihre
Schuldlosigkeit eingetreten sind, und so blieb denn die Stuart-Frage eine offene.

Im Wintersemester 1878--1879 machte Professor Oncken in seinen historischen
Übungen auf dem Gebiete der neuern Geschichte die Regierung der Königin
Maria Stuart in Schottland zum Gegenstande der Untersuchung. Dabei wurde
auch die Frage aufgeworfen, ob die viel angefochtenen Briefe, welche Maria
Stuart an Bvthwcll geschrieben haben soll, als historische Urkunden zu verwenden
seien oder nicht, und zunächst der Versuch gemacht, lediglich den Thatbestand zu
ermitteln, ohne irgendwie zweifelhaftes Material, insbesondre jene Briefe, in
Betracht zu ziehen. So wurden fürs erste an der Hand von unangefochtenem,
echtem Quelleustosf, ohne Rücksicht auf Schuld oder Nichtschuld, die Frage be¬
antwortet, was in jener Epoche eigentlich geschehen sei und was Maria Stuart
selbst und ihre Umgebung nachweislich gethan und nicht gethan habe.

Diese Aufgabe hat ein junger Gelehrter, Dr. Ernst Bekker, gelöst,*) An
der Hand unzweifelhaft zuverlässiger Nachrichten gelangte er zu einem Bilde der
thatsächlichen Vorgänge unter Marias Regierung, das mit den Voraussetzungen
der viel berufenen Briefe nicht stimmen wollte.

Zunächst wies er für die Konflikte seit dem Sommer 1565 sachliche Be¬
weggründe nach, wo man bisher nur an persönliche Motive der Königin glaubte.
Maria hatte sich mit dem Katholiken Darnley vermählt, der protestantische Adel
und Klerus aber hatten die Verheiratung als eine offene Kriegserklärung an¬
gesehen. Es folgte die bewaffnete Erhebung des Halbbruders der Königin, des



Maria Stuart, Darley (so schreibt der Verfasser durchgehends statt des üblichen
Darnley), Bothwell. Von or. Ernst Bekker. Mit einem Vorwort von W, Oncken.
Gießen, I. Rickersche Buchhandlung, 1831.
Die Lösung der Maria Stuart-Frage.

Das Buch Hemans tritt in so selbstgewisser, gewinnender und eleganter
Form auf, daß wir eine etwas eingehendere Besprechung desselben für nötig
gehalten haben.




Die Lösung der Maria Stuart-Frage.

u den großen historischen Persönlichkeiten des Refvrmationszeit-
nltcrs, über welche die Akten noch nicht geschlossen sind, gehört
auch die unglückliche Königin von Schottland, Maria Stuart.
Sprechen auch die angesehensten Geschichtswerke ihrer und der
folgenden Zeit vou ihrer Schuld, so ist doch die Überzeugung von
ihrem Anteil an der Ermordung ihres Gemahles Darnley nie ganz durchge-
drungen. Zu jeder Zeit hat es noch Geschichtschreiber gegeben, die für ihre
Schuldlosigkeit eingetreten sind, und so blieb denn die Stuart-Frage eine offene.

Im Wintersemester 1878—1879 machte Professor Oncken in seinen historischen
Übungen auf dem Gebiete der neuern Geschichte die Regierung der Königin
Maria Stuart in Schottland zum Gegenstande der Untersuchung. Dabei wurde
auch die Frage aufgeworfen, ob die viel angefochtenen Briefe, welche Maria
Stuart an Bvthwcll geschrieben haben soll, als historische Urkunden zu verwenden
seien oder nicht, und zunächst der Versuch gemacht, lediglich den Thatbestand zu
ermitteln, ohne irgendwie zweifelhaftes Material, insbesondre jene Briefe, in
Betracht zu ziehen. So wurden fürs erste an der Hand von unangefochtenem,
echtem Quelleustosf, ohne Rücksicht auf Schuld oder Nichtschuld, die Frage be¬
antwortet, was in jener Epoche eigentlich geschehen sei und was Maria Stuart
selbst und ihre Umgebung nachweislich gethan und nicht gethan habe.

Diese Aufgabe hat ein junger Gelehrter, Dr. Ernst Bekker, gelöst,*) An
der Hand unzweifelhaft zuverlässiger Nachrichten gelangte er zu einem Bilde der
thatsächlichen Vorgänge unter Marias Regierung, das mit den Voraussetzungen
der viel berufenen Briefe nicht stimmen wollte.

Zunächst wies er für die Konflikte seit dem Sommer 1565 sachliche Be¬
weggründe nach, wo man bisher nur an persönliche Motive der Königin glaubte.
Maria hatte sich mit dem Katholiken Darnley vermählt, der protestantische Adel
und Klerus aber hatten die Verheiratung als eine offene Kriegserklärung an¬
gesehen. Es folgte die bewaffnete Erhebung des Halbbruders der Königin, des



Maria Stuart, Darley (so schreibt der Verfasser durchgehends statt des üblichen
Darnley), Bothwell. Von or. Ernst Bekker. Mit einem Vorwort von W, Oncken.
Gießen, I. Rickersche Buchhandlung, 1831.
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[0125] Die Lösung der Maria Stuart-Frage. Das Buch Hemans tritt in so selbstgewisser, gewinnender und eleganter Form auf, daß wir eine etwas eingehendere Besprechung desselben für nötig gehalten haben. Die Lösung der Maria Stuart-Frage. u den großen historischen Persönlichkeiten des Refvrmationszeit- nltcrs, über welche die Akten noch nicht geschlossen sind, gehört auch die unglückliche Königin von Schottland, Maria Stuart. Sprechen auch die angesehensten Geschichtswerke ihrer und der folgenden Zeit vou ihrer Schuld, so ist doch die Überzeugung von ihrem Anteil an der Ermordung ihres Gemahles Darnley nie ganz durchge- drungen. Zu jeder Zeit hat es noch Geschichtschreiber gegeben, die für ihre Schuldlosigkeit eingetreten sind, und so blieb denn die Stuart-Frage eine offene. Im Wintersemester 1878—1879 machte Professor Oncken in seinen historischen Übungen auf dem Gebiete der neuern Geschichte die Regierung der Königin Maria Stuart in Schottland zum Gegenstande der Untersuchung. Dabei wurde auch die Frage aufgeworfen, ob die viel angefochtenen Briefe, welche Maria Stuart an Bvthwcll geschrieben haben soll, als historische Urkunden zu verwenden seien oder nicht, und zunächst der Versuch gemacht, lediglich den Thatbestand zu ermitteln, ohne irgendwie zweifelhaftes Material, insbesondre jene Briefe, in Betracht zu ziehen. So wurden fürs erste an der Hand von unangefochtenem, echtem Quelleustosf, ohne Rücksicht auf Schuld oder Nichtschuld, die Frage be¬ antwortet, was in jener Epoche eigentlich geschehen sei und was Maria Stuart selbst und ihre Umgebung nachweislich gethan und nicht gethan habe. Diese Aufgabe hat ein junger Gelehrter, Dr. Ernst Bekker, gelöst,*) An der Hand unzweifelhaft zuverlässiger Nachrichten gelangte er zu einem Bilde der thatsächlichen Vorgänge unter Marias Regierung, das mit den Voraussetzungen der viel berufenen Briefe nicht stimmen wollte. Zunächst wies er für die Konflikte seit dem Sommer 1565 sachliche Be¬ weggründe nach, wo man bisher nur an persönliche Motive der Königin glaubte. Maria hatte sich mit dem Katholiken Darnley vermählt, der protestantische Adel und Klerus aber hatten die Verheiratung als eine offene Kriegserklärung an¬ gesehen. Es folgte die bewaffnete Erhebung des Halbbruders der Königin, des Maria Stuart, Darley (so schreibt der Verfasser durchgehends statt des üblichen Darnley), Bothwell. Von or. Ernst Bekker. Mit einem Vorwort von W, Oncken. Gießen, I. Rickersche Buchhandlung, 1831.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/125>, abgerufen am 05.05.2024.